Schweizer Motorrad-Hoffnung«Es gibt eigentlich kein Training, in dem ich nicht am Boden liege»
Seit dem Abgang von Tom Lüthi ist er der erste Schweizer, der in der Motorrad-WM mitfährt. Doch wer ist dieser 18-jährige Noah Dettwiler, den die Sportschulen allesamt ablehnten?
Noah Dettwiler zückt sein Handy und zeigt ein Video seines dramatischen Abflugs. Es geschah im Rennen von Misano im vergangenen Jahr: Nach einem Highsider fliegt der junge Pilot unkontrolliert drei Meter hoch durch die Luft und erleidet beim heftigen Aufprall auf dem Asphalt mehrere Knochenbrüche im Fuss. Drei Wochen nach dem Unfall, wenn Normalsterbliche sich aufmachen, um beim Arzt ihre Krankschreibung zu verlängern, setzt sich Dettwiler wieder auf seinen Renntöff, um sich mit über 200 km/h und etlichen neuen Eisenplatten im Fuss in die nächste Kurvenkombination zu stürzen. «Zum Glück wusste mein Arzt nichts davon», sagt Dettwiler und lächelt. Diese Episode kann den Anschein machen, als sei die Schweizer Nachwuchshoffnung naiv – mitnichten.
Kühn, sprachgewandt, unaufgeregt und sich den Gefahren seines Sports in vollem Umfang bewusst – das sind Attribute, welche dem in der Solothurner Enklave Hofstetten-Flüh aufgewachsene, selbstbekennenden Basler, eher gerecht werden. So wusste er auch, welche Risiken und Leiden eine solch frühe Rückkehr auf die Rennstrecke mit sich bringen. Doch für den jungen Mann, der schon seit seinem fünften Lebensjahr quasi symbiotisch mit dem Motorrad verbunden ist, geht es an besagtem Rennwochenende nur darum, das Gefühl und das Vertrauen in sich und seine Moto3-Maschine zurückzugewinnen. Mit Erfolg: Drei Wochen später kann er im Rennen in Valencia wieder in alter Stärke und Kühnheit auftreten und Punkte sammeln.
Kein Platz in Sportschulen
Es ist immer ein schmaler Grat in der Karriere des jungen Baslers – dieses Abwägen von Risiken und den potenziellen Folgen. Denn in diesem Sport gilt es, hohe Risiken einzugehen. «Es gibt eigentlich kein Training, in dem ich nicht am Boden liege. Dies gehört dazu, um die Grenzen des Machbaren auszuloten», sagt Dettwiler.
Die Grenzen des Machbaren ausloten, das kennt der 18-Jährige auch von seiner Karriereplanung. Ganz hürdenfrei verläuft sie nicht. So will ihn keine Sportschule aufnehmen, der Sport sei nicht olympisch, und daher gäbe es auch keinen Platz, wird ihm immer wieder erklärt. Also muss er in einer Privatschule unterkommen und mit dieser aushandeln, dass er schon unter der Woche zu seinen Rennen anreisen darf.
Für die professionelle Ausführung seines Sports zieht Dettwiler Anfang 2020 in die Nähe von Valencia, wo er perfekte Trainingsbedingungen vorfindet. Früh erkennt er, dass es einer anderen Intensität bedarf, um mit den jungen, vor allem spanischen Konkurrenten mitzuhalten, die ab dem 13. Lebensjahr nichts anderes mehr machen als diesen einen Sport. Seine Eltern folgen ihm zur Unterstützung nach Spanien.
Weil die Rennstrecken wegen Corona längere Zeit geschlossen bleiben, baut er im Garten eine eigene kleine Motocrosspiste – er habe seinen Spass, seine Mutter sei weniger begeistert, erzählt er belustigt. Ein paar Monate später kann Dettwiler dann endlich wieder auf einer asphaltierten Strecke und mit seinem Team trainieren.
Tom Lüthi als Mentor
Cuna de Campeones, Wiege der Sieger, so nennt sich das Team, bei dem Dettwiler seit nun über zwei Jahren fährt. Mit diesem nimmt er aktuell in der FIM Junior-GP-Weltmeisterschaft teil. In einer Equipe, in der die spanische Sprache klar dominiert, fällt es Dettwiler zu Beginn nicht leicht, mit seinen Mechanikern und Ingenieuren zu kommunizieren. Inzwischen bereitet dem Sprachtalent, das fünf Sprachen beherrscht, der Austausch auf Spanisch keine Probleme mehr.
In seiner Muttersprache kommuniziert der Teenager dafür mit seinem Manager Tom Lüthi. Manager ist der langjährige WM-Fahrer und einstige Weltmeister jedoch vor allem auf dem Papier – für Dettwiler ist er vielmehr Freund, Mentor und Familienmitglied. Ein Freund, mit dem er auch mal über anderes sprechen kann als über das Motorradfahren. Ein Mentor, der die grosse Karriere, auf die Dettwiler hinarbeitet, schon hinter sich hat. Ein Familienmitglied, da Lüthi seit mehreren Jahren mit Noelle Dettwiler, der Schwester von Noah, liiert ist.
Zusammen haben Dettwiler und Lüthi nun einen ersten Meilenstein erreicht: einen Wildcard-Platz im Rennen der Moto3-WM am Sonntag in Spielberg (AUT). Das Ziel ist klar: Der Basler will Spass haben und von der Konkurrenz lernen. Dass Dettwiler in die Top 15 und damit in die Punkteränge fährt, käme nahezu einer Sensation gleich – noch keinem Schweizer gelang dies beim Debüt. Lüthi war bei seiner WM-Premiere am 21. Juli 2002 auf dem Sachsenring 26. geworden.
Nervosität aufgrund seiner Premiere ist Dettwiler jedoch keine anzumerken. Er wirkt entspannt und freut sich auf eine Strecke, die er, bis auf wenige Neuerungen, aus früheren Tagen vom Red Bull Rookies Cup kennt. Doch sein durchschnittlicher Rennpuls von rund 170 dürfte schon am Samstag im Qualifying, welches er auf dem 23. Platz beendete, ein erstes Mal erhöht gewesen sein.
Was jedoch gleich bleibt, ist die Unterstützung der Familie. Alle sind vor Ort – die Schwester sogar als sein persönliches Gridgirl.
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