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Milliardär Ernesto Bertarelli benutzt ihn genauso wie Roche-Erbin Gigi Oeri oder Swatch-Chef Nick Hayek: den Privatjet, die exklusivste Möglichkeit, um von A nach B zu kommen – und die mit Abstand schmutzigste. Privatjets sind enorm schädlich für das Klima. In nur drei Flugstunden stossen sie zwischen drei und fünfzehn Tonnen CO2 in die Atmosphäre. Letzteres ist etwas mehr, als die gesamten Emissionen einer Durchschnittsschweizerin in einem ganzen Jahr.

Allen Klimawarnungen zum Trotz: Privatjets boomen. Laut einer Studie des US-Thinktanks Institute for Policy Studies hat sich die Zahl der Privat- und Businessjets in den letzten zwei Jahrzehnten weltweit mehr als verdoppelt. Die Pandemie hat das Wachstum noch beschleunigt. 

Und die Schweiz ist ein Hotspot. Gemäss einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Studie hoben die privat oder geschäftlich genutzten Flugzeuge mit Düsenantrieb letztes Jahr über 35’000-mal von Schweizer Flugplätzen ab – das sind fast 100 Starts jeden Tag. Damit belegt die Schweiz laut Studie Rang 6 aller europäischen Länder. Relativ zur Bevölkerungszahl ist die Schweiz – abgesehen vom kleinen Inselstaat Malta – sogar mit Abstand die Nummer 1. Pro Kopf fliegen die Privatjets hierzulande etwa dreimal so oft wie in Frankreich oder England – und fast sechsmal so oft wie in Deutschland.

Die Greenpeace-Studie befeuert eine Debatte, die weltweit immer drängender diskutiert wird. Ist es gerecht, dass eine kleine Gruppe von sehr reichen Leuten Umwelt und Klima übermässig belastet – während wiederum der ärmste Teil der Weltbevölkerung am stärksten unter dem Klimawandel leidet? Nein, sagt Greenpeace Schweiz und fordert ein Verbot der Privatjets. Alles halb so schlimm, sagt der Schweizer Branchenverband für Privat- und Businessfliegerei und weist auf Zehntausende Arbeitsplätze und Milliarden an Wertschöpfung hin.

Doch wer genau ist für den Jet-Boom in der Schweiz überhaupt verantwortlich? Um dies herauszufinden, haben der Recherchedesk und das Datenteam von Tamedia alle Flugbewegungen 2022 auf Schweizer Flugplätzen analysiert. Obwohl sich viele Jet-Nutzerinnen und -Nutzer hinter anonymen Firmen verbergen, konnte dabei eine Reihe von Schweizer Vielfliegern identifiziert werden.

Ein weiterer Schweizer Milliardär, der Privatjet fliegt, ist Unternehmer Ernesto Bertarelli. Er nutzt einen der grössten und luxuriösesten derzeit erhältlichen Jets, einen Bombardier Global 7500 (Kosten: rund 70 Millionen Franken), der 2022 fast 400 Stunden in der Luft war. Eine Sprecherin bestätigt auf Anfrage, dass Bertarelli dieses Flugzeug nutzt. Jedoch gehöre es weder ihm noch seiner Familie und werde «von vielen verschiedenen Organisationen und Personen gemietet, darunter gelegentlich auch von Herrn Bertarelli».

Damit sind wir bei der grossen Blackbox der Privatjet-Branche: Wer völlig anonym unterwegs sein will, chartert eine Maschine. Per Mausklick kann man bequem einen Flug buchen. Auf einer Kurzstrecke ist man ab 6000 Franken für einen Roundtrip dabei, bei einem Flug innerhalb Europas muss man schon mit 20’000 Franken Kosten rechnen. 

Für die Söhne des verstorbenen Robert Louis-Dreyfus, deren Familienvermögen die «Bilanz» auf 3,25 Milliarden Franken schätzt, leicht erschwinglich. So posten Kyril und Maurice Louis-Dreyfus auf ihren Social-Media-Kanälen offen Bilder ihrer Reisen in geschlossener Gesellschaft. Dafür chartern sie je nach Bedarf einen Heli, einen Privatjet oder ein ganzes Linienflugzeug. Damit fliegen sie mit Familie und Freunden nach Rio, Ibiza, Lappland oder auch einfach für einen Daytrip in den Europapark. In den Kommentarspalten erhalten sie dafür Applaus von der Schweizer Cervelat-Prominenz: «Legende», schreibt etwa Ex-Bachelor Vujo Gavric.

Auch die Milliardenerben Kyril und Maurice Louis-Dreyfus liessen eine Anfrage zu ihrem CO2-Fussabdruck unbeantwortet. 

166’000 Tonnen CO2 pro Jahr

Die über 35’000 Schweizer Privatjetflüge von 2022 verursachten laut Greenpeace-Studie einen CO2-Ausstoss von über 166’000 Tonnen. Das ist gleich viel, wie rund 12’000 Durchschnittschweizerinnen für alle Lebensbereiche im Jahr emittieren.

Greenpeace-Sprecher Roland Gysin ist nicht überrascht, dass die Schweiz auf der europäischen Rangliste der Privatjetnutzer so weit vorne liegt. «Die Schweiz ist ein Land mit vielen Superreichen. Für sie ist der Privatjet ein beliebtes Fortbewegungsmittel.»

Diese kleine Finanzelite verursache rund 4 Prozent der gesamten Luftfahrtemissionen in der Schweiz. Privatjets einfach massiv zu besteuern, bringe aber nichts, erklärt Gysin. «Geld spielt für Superreiche keine Rolle – deshalb fordert Greenpeace ein Privatjetverbot.» 

Aussagen der Privatjetnutzer, wonach sie ihren CO2-Ausstoss kompensieren, hält Gysin für Lippenbekenntnisse: «CO2 entsteht sofort, die Entfernung aus der Atmosphäre dauert jedoch Jahrzehnte, zum Beispiel wenn Bäume gepflanzt werden», so Gysin. Der kritische Zustand der Gletscher, Ozeane und Wälder fordere jedoch ein rasches Handeln. Die meisten Kompensationsangebote seien zudem eine Art moderner Ablasshandel. «Das Freikaufen lenkt davon ab, dass wir verzichten müssen», sagt Gysin. 

Jets pulverisieren das CO2-Budget von uns allen

Man kann das Problem auch noch anders beschreiben: Um das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 oder 2 Grad zu beschränken, noch zu erreichen, dürfte jeder Mensch ab sofort nur noch wenige Tonnen CO2 pro Jahr ausstossen – und schon bald gar nichts mehr. Wenn also heute einige Superreiche x-mal mehr vom verbleibenden CO2-Budget verbrauchen als die grosse Mehrheit, müssen sich künftig alle anderen noch mehr einschränken, damit die Klimaerwärmung doch noch rechtzeitig gebremst werden kann. 

Philosoph Dominic Roser ist Forschungsrat am Interdisziplinären Institut für Ethik und Menschenrechte der Universität Freiburg. Er hat sich auf Fragen der Klimagerechtigkeit spezialisiert. Roser sagt: «Natürlich ist es zutiefst ungerecht, wenn einige wenige ein Vielfaches an CO2 verbrauchen: CO2 tötet und die meisten Privatjetflüge befriedigen keine Grundbedürfnisse, sondern sind Luxusflüge.» 

Deshalb, so Roser, hätte ein Verbot dieser Flüge fast nur Vorteile. Trotzdem sei es ein Nebenschauplatz. «Die Superreichen eignen sich zwar als Sündenbock. Doch um die Klimakrise zu lösen, reicht es nicht, sich auf Sündenböcke einzuschiessen», sagt Roser. Entscheidend sei, dass Personen und Länder, die dank den fossilen Energien reich geworden seien, nun die Technologien finanzierten, mit denen andere fossilfrei der Armut entfliehen könnten. «Das ist ihre ethische Verpflichtung.»