«Scheitern ist immer noch ein Makel»
Das Klima für Firmengründungen in der Schweiz hat sich verbessert. Dennoch gibt es für Grow-Geschäftsführer Dolf van Loon und Start-up-Coach Michael Stucky noch viel zu tun – vor allem bei der gesellschaftlichen Akzeptanz des Scheiterns.
Die Politik scheint kein Herz für Jungfirmen zu haben: Eine im Frühjahr im Ständerat eingereichte Motion verlangte, Firmengründern aus Nicht-EU-Ländern in der Schweiz ein zeitlich befristetes Start-up-Visum zu erteilen. Die Idee fiel im Ständerat aber kürzlich durch. Bedauern Sie das?Michael Stucky: Viel wichtiger als ein solches Visum wäre für mich, der Problematik entgegenzutreten, die mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative entstanden ist. Als Start-up war es schon bisher nicht einfach, Leute aus dem Nicht-EU-Ausland anzustellen. Die Arbeitsbewilligungen für Drittstaatenangehörige sind strikte kontingentiert. Gerade im Biotechbereich sind diese Spezialisten in der EU nicht leicht zu finden. Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht ins eigene Fleisch schneiden. Sonst könnte es passieren, dass Schweizer Unternehmen ins Ausland abwandern.
Wäre es überhaupt legitim, für Start-ups Speziallösungen zu schaffen und sie gegenüber anderen Firmen zu privilegieren?Dolf van Loon: Wenn es die Zielsetzung ist, die eigene Wirtschaft zu fördern, sollten die Hürden so niedrig wie möglich gehalten werden. Wenn wir etwa über Lifesciences sprechen, einen Bereich, in dem sich viele Start-ups bewegen, sind sehr hohe Anfangsinvestitionen nötig. Es gibt zwar eine wissenschaftliche Idee, die eine gewisse Aussicht auf Erfolg hat. Aber das Projekt ist mit jahrelangen Risiken, Entbehrungen, Verzögerungen und dem Einsatz einer ganzen Karriere verbunden. Jene, die das grosse Geld machen, sind die Ausnahme.
Michael Stucky: Wir müssen den langfristigen Nutzen dieser Fördernetze für den Standort Schweiz sehen. Es gibt zig Studien für Europa und die USA, die belegen, dass das Wachstum bei den Arbeitsplätzen heutzutage über Start-ups erfolgt. Natürlich gehen davon auch viele wieder verloren. Aber das relativ dynamische Wirtschaftswachstum der letzten Jahre kommt aus dieser Ecke und nicht von den grossen Firmen. Diese bauen tendenziell eher Arbeitsplätze ab und bauen sie – wenn überhaupt – anderswo wieder auf. Wenn wir Start-ups nicht in irgendeiner Form unterstützen, nehmen die Leute noch weniger das Risiko auf sich, in die Selbstständigkeit zu gehen. Das gilt gerade für die Schweiz, wo Scheitern immer noch ein Makel ist.
«Jene, die das grosse Geld machen, sind die Ausnahme».
Hat sich die steuerliche Situation für die Start-ups im Kanton Zürich mit dem Erlass der Regierung vom 1. November 2016 nicht verbessert? Immerhin werden nun Start-ups in der Aufbauphase länger als zuvor zum geringen Substanzwert besteuert, der sich am Eigenkapital der Firma orientiert.Michael Stucky: Der Erlass hat lediglich einen Teil der schleichenden Verschlechterung der Steuerpraxis über die letzten Jahre wieder wettgemacht. Aber wir sind noch nicht dort, wo wir vor zwölf, dreizehn Jahren waren, als ich unternehmerisch tätig wurde und als es eine ganz klare und einfache Handhabung gab. Alle wussten, woran sie waren.
Dolf van Loon: Der Wert einer klassischen Firma – als Grundlage der Besteuerung – basiert auf Umsatz und Gewinn und den erzielten Einkünften. Bei jungen Lifesciences-Firmen hingegen wird der Firmenwert von den Erwartungen der Geldgeber hinsichtlich möglicher zukünftiger Einkünften bestimmt. Dies ist so, obwohl die Firma noch viele Jahre nur Verluste macht und das investierte Geld für die kostspielige Produktentwicklung braucht.
Was beschäftigt neben der Steuerthematik die Start-ups hierzulande derzeit am meisten?Dolf van Loon: Die Finanzierung. Wenn eine Firma nach Jahren bewiesen hat, dass sie sich am Markt behaupten kann, fliesst genügend Geld. Aber vor dieser Zeit muss ein Investor den Glauben aufbringen, dass diese Firma eine Erfindung macht und das Projekt zum Fliegen bringen kann. Dieser Glauben ist in der Finanzwelt oft nicht sehr ausgeprägt. Geldgeber wollen Fakten sehen, und die Fakten, die sie von den Start-ups am liebsten hören, sind: Wir haben als Firma Geld verdient und möchten jetzt noch etwas Geld von euch, wir brauchen es aber eigentlich nicht.
«Das Wachstum bei den Arbeitsplätzen erfolgt über Start-ups».
Michael Stucky: Das sehe ich auch so. Dabei geht es nicht um das Startkapital. Es geht um die zweite weitaus grössere Finanzierungsrunde, bei der Leute eingestellt und zahlreiche Daten generiert werden müssen, gerade im Lifesciences-Bereich. Die Investoren wollen eben diese Daten sehen, um Risikokapital zu geben. Umgekehrt braucht ein Start-up dieses Geld, um überhaupt an die Daten heranzukommen. Aber ich sehe diesbezüglich auch Fortschritte in den letzten Jahren. Gerade jüngere Unternehmer, die in den letzten Jahren mit dem Verkauf ihrer Firma Kasse gemacht haben, kehren nun selbst als Investoren zurück.
Wie ist es eigentlich um den Unternehmergeist von jungen Menschen bestellt, gerade auch im Umfeld der Hochschulen?Dolf van Loon: Der Geist hat sich verbessert, aber es gibt immer noch Luft nach oben. Zum Teil handelt es sich um eine Mentalitätsfrage. Einen Fehlschlag darf man sich in diesem Land immer noch nicht erlauben, während es in den USA schon fast ein Gütesiegel ist. Das ändert sich langsam, aber eben nur langsam. Auch gibt es bei uns noch zu wenig sichtbare Vorbilder, die ihr Wissen fundiert weiterleiten.
Michael Stucky: Ich kann diese Aussage nur unterstützen, auch wenn in den letzten Jahren einiges in Bewegung gekommen und eine neue Start-up-Welle mit Unternehmerkarrieren entstanden ist, die so vor zehn Jahren noch unmöglich gewesen wäre.
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