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Regierungskrise in den Niederlanden
Rutte-Regierung stürzt über Affäre um Kindergeld

«So etwas darf nie wieder geschehen»: Mark Rutte, Regierungschef der Niederlande.
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Da ist etwas furchtbar schiefgelaufen. So hat es der niederländische Premier Mark Rutte am Freitag selber formuliert und den Rücktritt seines Kabinetts bekannt gegeben. Die Koalition in Den Haag übernimmt damit die Verantwortung in der Affäre um einen blindwütigen Kampf der Behörden gegen vermeintlichen Sozialhilfebetrug, der unzählige Familien ins Unglück stürzte.

Kein Wunder zeigte sich Mark Rutte anschliessend vor den Medien entsprechend schuldbewusst. Zuvor hatte ein Untersuchungsausschuss ein vernichtendes Urteil gefällt. Vielen Eltern sei «beispiellose Ungerechtigkeit» widerfahren. Die Behörden warfen zwischen 2012 und 2019 mehr als 20’000 Familien fälschlicherweise Betrug beim Bezug von Kinderbeihilfen vor. Diese stehen arbeitstätigen Eltern zu, um die Betreuung zu finanzieren.

Vorwurf der Diskriminierung

Manchmal reichte ein Formfehler wie eine fehlende Unterschrift oder falsch ausgefüllte Formulare. Die Behörden nahmen bei ihrer Jagd auf vermeintliche Sozialbetrüger gezielt Familien mit Migrationshintergrund ins Visier. Die Hälfte der Betroffenen hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Deshalb steht auch der Vorwurf der gezielten Diskriminierung im Raum. Familien wurden vor Gericht dazu verurteilt, Kinderbeihilfen über mehrere Jahre zurückzuzahlen.

Es gab kein Recht auf Rekurs und oft auch kein rechtliches Gehör. Einige Familien mussten umziehen, ihr Haus oder ihre Wohnung verkaufen, um Beträge in der Höhe von manchmal mehreren zehntausend Euro zurückzuerstatten. Mehrere Ehen gingen unter dem Druck der Behördenwillkür kaputt. Wenn es um Grosskonzerne und ihre Steuersparmodelle geht, ist man in den Niederlanden bekanntlich sehr grosszügig. Umso verbissener wurden nach einer Reihe von Missbrauchsfällen bei der Sozialhilfe ärmere Familien ins Visier genommen und ein System gegen Sozialbetrug errichtet, das dem Einzelfall nicht gerecht wurde.

Der Rechtsstaat sei bei seiner Aufgabe gescheitert, die Bürgerinnen und Bürger vor Willkür zu schützen, entschuldigte sich Regierungschef Rutte. «So etwas darf nie wieder geschehen.» Die Regierung hat nun versprochen, jeder betroffenen Familie unbürokratisch 30’000 Euro Schadenersatz auszuzahlen.

Spitzname «Teflon-Mark»

Der Rücktritt des gesamten Kabinetts ist eher symbolisch, da am 17. März ohnehin gewählt wird. Bis dahin soll die Koalition aus vier Parteien geschäftsführend weiterregieren. Auch, weil wegen der Corona-Krise ein Vakuum jetzt schlecht wäre. Zurückgetreten ist der Parteichef der oppositionellen Sozialdemokraten, der bis 2017 Sozialminister war. Der Premier selber, seit elf Jahren unangefochten im Amt, könnte hingegen gestärkt aus der Affäre hervorgehen. Schliesslich hatten alle die unkontrollierte Jagd auf den vermeintlichen Sozialbetrug mitgetragen.

Die Rechtspopulisten dürften kaum profitieren, sie sind mit internen Machtkämpfen absorbiert. Ruttes rechtsliberale Partei (VVD) ist trotz aller Probleme mit Abstand die populärste Kraft, sie kann geschickt die Verantwortung mit allen Koalitionspartnern teilen. Nicht umsonst trägt der 53-jährige Rutte den Spitznamen «Teflon-Mark».

 Auf dem Weg zu König Willem-Alexander, um den Rücktritt seiner Regierung anzubieten: Premier Mark Rutte.