Diplomatie auf AbwegenRussische Botschaft droht Schweizer Journalist mit Zwangsarbeit
Die Vertreter Putins in Bern verfassen immer aggressivere Statements gegen hiesige Medien. Nun werfen sie einem Schweizer Korrespondenten gar Terrorunterstützung vor.
![Gut geschützt und streng bewacht: Die russische Botschaft in Bern greift Schweizer Medienschaffende an.](https://cdn.unitycms.io/images/AfGqMfsja2zAU7g4NMrH9J.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=xD0JMTuZdxU)
Wäre er jetzt in Moskau, hätte NZZ-Korrespondent Ivo Mijnssen kein schönes Leben mehr. Dann nämlich drohten ihm «Geldstrafe, Zwangsarbeit oder eine Freiheitsstrafe von zwei bis fünf Jahren». Diese Drohung stellte die russische Botschaft in Bern vor wenigen Tagen auf Deutsch und Russisch auf ihre Website und machte sie darüber hinaus am Mittwoch über ihren Twitter-Account publik.
Dass die diplomatische Vertretung Russlands den Schweizer Journalistinnen und Journalisten einseitige Berichterstattung zugunsten der Ukraine vorwirft, ist mittlerweile beinahe schon Routine. Vor allem die NZZ, aber auch die Publikationen von Tamedia sind immer wieder Thema in auffallend langen und sehr aggressiv verfassten Statements.
Justiz wie unter Stalin
Neu ist hingegen eine so unverhohlene Drohung mit einer Justiz, die hinreichend bewiesen hat, dass sie nicht dem Rechtsstaat, sondern ausschliesslich dem Regime Putin dient. So wurde erst in dieser Woche der Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa wegen angeblicher «Falschinformationen» über die Armee zu 25 Jahren Haft verurteilt. So harte Urteile wegen politischer Delikte waren bisher nur unter Stalin üblich.
Was die russische Botschaft aber dem NZZ-Journalisten vorwirft, wiegt noch deutlich schwerer als «Falschinformationen». Nämlich: «Rechtfertigung von Terrorismus und Terrorismuspropaganda über die Medien.» Der Schweizer Mijnssen ist in Wien stationiert und hat seit Beginn des Kriegs mehrmals für längere Zeit die Ukraine bereist. Anfang April schrieb er über die Zustände in der von den Russen besetzten Stadt Melitopol und über Sabotageakte ukrainischer Partisanen. Basis für diesen Artikel waren offenbar persönliche Gespräche sowie die Auswertung von Berichten und Bildern auf Telegram und anderen sozialen Medien. Eine unabhängige Berichterstattung aus den besetzten Gebieten lässt das russische Regime nicht zu.
Mijnssen schreibt unter anderem vom zivilen Widerstand. So hätten ukrainische Frauen den russischen Soldaten Abführmittel in das Brot gemischt. Er schreibt aber auch von der Hoffnungslosigkeit in einer Stadt, die der russische Staat zwar als eigenes Territorium betrachtet, wo er aber bis heute keine funktionierende Verwaltung aufgebaut hat.
![Russlands Botschafter Sergei Garmonin im Sommer 2018 in Bern: Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine agiert er deutlich aggressiver als andere russische Vertreter in Europa.](https://cdn.unitycms.io/images/B_hLnsELKAPBcAQaWklaPV.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=rG0JC3mVS7g)
Die russische Botschaft bezeichnet den Artikel als «Rechtfertigung des Terrorismus» und droht dem Autor nicht nur mit dem russischen Strafgesetz. Sondern auch mit dem schweizerischen. Danach werde die Beteiligung an einer terroristischen Organisation mit bis zu zehn Jahren, die Werbung für eine terroristische Tat mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Normalerweise verurteilen Gerichte wegen dieser Paragrafen IS- oder Al-Qaida-Mitglieder.
Die Botschaft in Bern schreibt auf Anfrage, dass sie keine Anzeige bei den russischen oder schweizerischen Strafverfolgungsbehörden eingereicht habe «im Zusammenhang mit dem NZZ-Artikel, in dem Terrorismus gerechtfertigt wird». In Bezug auf Russland fügt sie noch hinzu: «Wir haben jedoch keine Informationen darüber, ob jemand das schon gemacht hat.» Und für die Schweiz behalte man sich «dieses Recht vor».
Texte für die «Chefs in Moskau»
Eine ähnliche Drohung der russischen Diplomaten erhielt schon NZZ-Chefredaktor Eric Gujer, nachdem seine Zeitung im vergangenen Sommer eine ukrainische Karikatur mit einer roten Clownnase auf dem Gesicht Putins abgedruckt hatte. Taten folgten diesen Drohungen bisher allerdings nie. Teilweise sind wüste Beschimpfungen und Unterstellungen gegen Schweizer Medienschaffende auf der Website der Botschaft auch nur auf Russisch zu finden. Auch deshalb folgerte der russische Schriftsteller Michail Schischkin in einem «Tages-Anzeiger»-Interview: «Die Texte werden nicht für die Öffentlichkeit in der Schweiz, sondern für die Chefs in Moskau verfasst.»
Dort dürfte man mit der Aussenstelle in Bern unter Botschafter Sergei Garmonin vermutlich sehr zufrieden sein. Keine andere Botschaft im europäischen Raum ist so aktiv dabei, Journalistinnen und Journalisten an den Pranger zu stellen. Auch keine andere Botschaft in der Schweiz tut dies.
![NZZ-Korrespondent Ivo Mijnssen: Die jüngste Zielscheibe russischer Angriffe auf Schweizer Medien.](https://cdn.unitycms.io/images/5dqferL3qaH9c-1OkIQeSW.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=wAI4DATY8m8)
«Reporter ohne Grenzen» bezeichnet die russische Drohung als «ebenso schockierend wie absurd»: «Diese Reaktion zeugt von einer völligen Missachtung der Pressefreiheit», sagt der Generalsekretär der Schweizer Sektion, Denis Masmejan. Die Drohung gegen den NZZ-Journalisten sei «leider nicht überraschend, kommt sie doch aus einem Land, das die Informationsfreiheit täglich aufs Schwerste verletzt». Masmejan verweist auf die jüngste Verhaftung eines US-Journalisten wegen angeblicher Spionage und auf die Rangierung Russlands im internationalen Vergleich der Pressefreiheit auf Platz 155 von 180 Ländern. Man wisse, sagt Masmejan, dass die russischen Machthaber «vor nichts zurückschrecken, um jegliche Kritik, auch von ausländischen Journalisten, zum Schweigen zu bringen».
Die russische Botschaft in Bern schreibt auf Anfrage, ihr Kommentar «sei keineswegs bedrohlich»: «Wir erinnern die NZZ-Journalisten lediglich daran, dass sie trotz der Meinungsfreiheit in einem Rechtsstaat leben und sich an dessen gesetzliche Bestimmungen orientieren sollten, die unter anderem die Unterstützung terroristischer Aktivitäten verbieten, worauf wir den geschätzten Journalisten hingewiesen haben.»
Die NZZ verzichtet auf eine Stellungnahme.
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