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Ridley Scott im Interview
«Sei dankbar, sei glücklich – und halt verdammt noch mal die Klappe»

LONDON, ENGLAND - NOVEMBER 16: Ridley Scott attends the "Napoleon" UK Premiere at Odeon Luxe Leicester Square on November 16, 2023 in London, England. (Photo by Gareth Cattermole/Getty Images)
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Sir Ridley Scott ist einer der erfolgreichsten Regisseure der Filmgeschichte. Er drehte «Alien», «Blade Runner», «Thelma & Louise» und «Gladiator». Auch mit 85 ist der Brite noch gross im Geschäft. In dieser Woche startete «Napoleon» im Kino, sein Monumentalwerk über den korsischen Feldherrn und Kaiser. Eigentlich sollte Scott gerade schon wieder am Set von «Gladiator 2» stehen – aber die Dreharbeiten mussten wegen des Streiks in Hollywood unterbrochen werden. Also hat er Zeit für ein Videotelefonat.

Sir Ridley, Sie sind gerade in Zwangspause.

Wir hatten schon in Marokko und auf Malta gedreht für «Gladiator 2». Als die amerikanische Schauspielgewerkschaft im Juli in Streik gegangen ist, hat uns das den Stecker gezogen. 55 Prozent des Films sind im Kasten, und weil ich Zeit hatte, haben wir auch schon begonnen, das Material zu schneiden. Ich habe etwa 90 Minuten fertig. Der Streik ist jetzt zwar vorbei, aber es wird dauern, bis man alle Leute wieder zusammengetrommelt hat. Denn Arbeitskräfte sind rar, weil jetzt alle gleichzeitig wieder loslegen wollen. Ich denke mal, Ende des Jahres oder Anfang des nächsten können wir weitermachen.

Wo sind Sie denn gerade? Sieht hübsch aus hinter Ihnen.

Oh, ich sitze hier auf meinem Weingut in der Provence.

Ridley Scott, der Winzer?

Jaja, ich weiss, es machen schon zu viele Leute Wein. Aber keine Sorge, ich werde Ihnen jetzt nicht vorlügen, dass ich selbst im Weinberg rumstapfe. Dafür habe ich Profis. Die können das gut, wir haben in Paris schon einen Preis gewonnen. Ich selbst mache hier nur Ferien, wir besitzen das Gut seit vielen Jahren. Was ich erst herausgefunden habe, nachdem ich das Grundstück gekauft hatte: Diese Weinberge haben eine lange Geschichte. Sie haben früher einem von Napoleons Generälen gehört.

Gute Überleitung. Sie haben jetzt einen Film über Napoleon Bonaparte gedreht. Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, sprachen wir darüber, dass Sie keine Sexszenen mögen. Dafür zeigen Sie Napoleon, gespielt von Joaquin Phoenix, jetzt aber ganz schön explizit als Liebhaber.

Sex und Gewalt werden schnell langweilig auf der Leinwand, das stimmt. Nur als Selbstzweck muss man das nicht zeigen. Ein Paar, das sich stöhnend im Bett rumwälzt, dieses künstliche «Oh!» und «Ah!» … Das finde ich meistens langweilig, das braucht kein Mensch. Wenn man es macht, muss die Szene mehr zeigen als Sex. Man muss etwas über die Figuren erfahren.

Was erfahren wir über Napoleon durch sein Sexleben?

Als ich vor ein paar Jahren mit diesem Projekt begonnen habe, dachte ich erst, es reicht locker für einen Film, ihn einfach als Kriegsherrn zu porträtieren. Schliesslich war er der grosse europäische Krieger. Seine politischen Ambitionen wurden oft genug mit seinem angeblichen Grössenwahn beschrieben. Aber egal, ob man ihn als Genie oder als Monster betrachtet: Mit Napoleon begann die Moderne in Europa, die Nationalstaaten schälten sich mehr und mehr in ihrer heutigen Form heraus, er hat den Kontinent für immer verändert.

«Mit Napoleon begann die Moderne in Europa»: Ridley Scott über seinen neuen Film mit Joaquin Phoenix.

Jetzt sind wir ein bisschen von den Sexszenen abgekommen.

Keine Sorge, genau darauf will ich hinaus. Der Politiker Napoleon ist interessant, keine Frage. Aber letztlich wäre es langweilig gewesen, nur diese Seite zu zeigen. Faszinierend an dem Mann ist doch, dass er kurz davorstand, die halbe Welt einzunehmen – aber in den entlegensten Winkeln der Welt fast verrückt wurde vor Wut, weil seine Frau ihn daheim betrog.

Joséphine de Beauharnais soll kein allzu grosses Geheimnis daraus gemacht haben.

So wie er sie zunächst behandelt hat, war das auch kein Wunder. Sie sollte ihm einen männlichen Thronfolger gebären, dafür war sie da, dafür war der Geschlechtsakt mit ihr da. Aber das hat sie sich nicht bieten lassen, sie wollte ein selbstbestimmtes Liebesleben, in dem auch sie auf ihre Kosten kommt. Also hat er sie mit seinem lieblosen Verhalten direkt in die Arme eines anderen getrieben. Diese Diskrepanz zwischen dem gnadenlosen, genialen Feldherrn Bonaparte und dem gehörnten Ehemann – das ist der interessante Filmstoff.

«Man muss mehr zeigen als Sex. Man muss etwas über die Figuren erfahren», sagt Ridley Scott. Hier eine Szene aus seinem «Napoleon»-Film.

Im Nachhinein galt Joséphine trotz des Zwists als seine grosse Liebe.

Es hat gedauert, und beide haben es auf sadistische Art und Weise verstanden, sich gegenseitig bis aufs Blut zu demütigen. Aber ja, ich denke auch, dass es trotzdem eine grosse Liebe war. Ihr galten seine letzten Worte, als er starb. Beziehungsweise sein letztes Wort, Singular: «Joséphine».

Sehr romantisch.

Finde ich auch. Der Mann hatte seine brutalen Seiten, und es ist kein Wunder, dass er in manchen Ländern immer noch als grössenwahnsinnige Hassfigur gilt – aber man ist auch mit ihm brutal umgegangen. Zum Beispiel die Sache mit der Körpergrösse. Für seine Zeit war Napoleon gar nicht so klein, wie immer behauptet wird. Doch besonders die Briten haben ihn mit ihren Karikaturen zu diesem tyrannischen französischen Zwerg degradiert. Je grösser der echte Napoleon wurde, desto kleiner wurde er in ihren Zeichnungen. Das muss am Ego gekratzt haben.

«Für seine Zeit war Napoleon gar nicht so klein, wie immer behauptet wird.»

Napoleon und das Kino, das ist ebenfalls eine komplizierte Beziehung. Viele grosse Regisseure träumten ein Leben lang davon, einen Film über ihn zu drehen, und sind über die Grösse des Projekts gestolpert. Charlie Chaplin und Stanley Kubrick zum Beispiel. Was haben die falsch gemacht?

Also ich werde mir jetzt nicht anmassen, diese beiden Genies zu kritisieren. Aber vielleicht hatten sie einfach kein gutes Drehbuch für diesen Stoff. Das Drehbuch vernünftig hinzubekommen, ist das Schwerste. Verglichen damit ist der Rest sehr angenehm. Finde ich zumindest. Aber wenn das Skript nicht sitzt, hast du ein Problem. Dann brauchst du eigentlich gar nicht erst anzufangen zu drehen.

«Als Regisseur darf man kein Tyrann sein.» – Ridley Scott am Set seines «Napoleon»-Films.

Haben Sie sich selbst immer an diese Regel gehalten?

Natürlich nicht. Das lernt man leider nur auf die harte Tour. Manchmal will man es sich im Eifer des Gefechts einfach nicht eingestehen, obwohl man unbewusst längst weiss, dass das Drehbuch scheisse ist. Das passiert. Aber bevor Sie jetzt nach konkreten Filmtiteln fragen, vergessen Sies – verrate ich nicht. Sie werden es beim Anschauen schon selbst merken.

Haben Sie mit Stanley Kubrick jemals über Napoleon gesprochen? Er hat Jahre an dem Projekt gearbeitet, Sie kannten sich.

Leider nein, kurz vor seinem Tod hatten wir uns zum Tee verabredet, vielleicht wäre das eine Gelegenheit gewesen. Dann starb er, bevor wir uns treffen konnten. Aber ich hätte schon ein, zwei andere Kubrick-Anekdoten, wenn Sie mögen?

«‹Blade Runner› ist heute Kult, aber die ersten Testvorführungen waren eine Katastrophe.»

Unbedingt!

Als «Alien» 1979 gerade im Kino gestartet war, klingelte bei uns im Büro das Telefon. Ein Mitarbeiter hob ab und sagte: «Stanley Kubrick ist dran, er will dich sprechen.» Und ich: «Ja genau, der grosse Kubrick will mich kleinen Nachwuchsfilmer sprechen.»

Aber er war wirklich dran?

Und er kam sofort zum Punkt, keinerlei Small Talk: «Hallo, hier ist Stanley Kubrick. Ich habe Ihren Film gesehen, und ich verstehe nicht, wie Sie diese Szene gemacht haben, in der dem Typ das Alien aus dem Brustkorb platzt. Ich habe eine Kopie des Films, und ich habe es mir mehrmals in Zeitlupe angesehen, aber ich komme nicht drauf. Es ist kein Schnitt zu sehen!»

LONDON, ENGLAND - NOVEMBER 16: Ridley Scott attends the "Napoleon" UK Premiere at Odeon Luxe Leicester Square on November 16, 2023 in London, England. (Photo by Lia Toby/Getty Images for Sony Pictures UK)

Da hatten Sie den Meister also am Wickel.

Es hat ihn fast verrückt gemacht. Aber ich habe ihn beruhigt, da kommt man nicht drauf, denn es war tatsächlich keine Frage des Schnitts. Wir haben den Schauspieler so unter einen Tisch drapiert, dass wir zwischen ihm und dem Tisch seinen Oberkörper nachgebaut haben, ohne dass man es gesehen hat. Sein echter Körper war unter dem Tisch, und ich habe es aus einem guten Winkel gedreht. War für alle ein unbequemer Nachmittag mit vielen Verrenkungen – aber es hat selbst Kubrick überzeugt. Und ein paar Jahre später hat er mir richtig aus der Klemme geholfen.

Wie das?

Wir hatten gerade «Blade Runner» fertiggestellt. Heute kann man sich das nicht mehr vorstellen, weil der Film Kult ist, aber die ersten Testvorführungen waren eine Katastrophe. Besonders die Amerikaner haben es nicht kapiert. Replikanten, ein Film noir im Sci-Fi-Gewand … Und: Das Ende war ihnen zu negativ. Also ist das Filmstudio nervös geworden und hat mich gezwungen, für die damalige Kinofassung ein neues Ende zu schneiden. Das habe ich notgedrungen gemacht, aber ich brauchte dafür Luftaufnahmen von Bergen, Landschaft. Erinnern Sie sich an den Anfang von Kubricks «Shining»?

«Ich rief Kubrick an und sagte: ‹Stanley, bitte gib mir ein paar Luftaufnahmen.›»

Klar. Luftaufnahmen von Bergen und Landschaft.

Genau. Und ich wusste, dass er, der Perfektionist, wochenlang mit dem Helikopter unterwegs gewesen war. Es musste also massenweise Material geben, das er gar nicht hatte verwenden können. Also rief ich ihn an und sagte: «Stanley, bitte gib mir ein paar Luftaufnahmen.» Das hat er dann auch gemacht.

Kubrick soll seine Mitarbeiter ungefähr so streng geführt haben wie Napoleon seine Armee. Muss ein guter Regisseur nicht zumindest ansatzweise ein grössenwahnsinniger Diktator sein?

Unbedingt. Wenn alle Passagiere versuchen, den Bus zu lenken, wird das nicht funktionieren. Dann landen Sie im Graben. Sie brauchen eine Person, die der Fahrer ist und die bestimmt, wos langgeht. Aber: Man darf kein Tyrann sein, mehr so eine Art gütiger Diktator. Denn die Leute machen nur mit, wenn du sie gut behandelst und sie genauso viel Spass haben wie du.

Das klingt gut, ist in der Praxis aber bestimmt nicht so leicht, wenn man Crews mit ein paar Hundert Leuten dirigiert und jeder Drehtag Hunderttausende kostet. Wird man da nicht verrückt vor Druck?

Es wird dann leicht, wenn Sie den Leuten verständlich machen können, was Sie eigentlich wollen. Also welchen Film Sie sich vorstellen. Wenn man das nicht gut erklären kann, wird es immer Probleme geben, weil beide Seiten nicht kapieren, warum der jeweils andere sich so aufführt. Mein Vorteil: Ich war auf der Kunsthochschule. Ich bin ein visueller Mensch, und ich kann gut zeichnen. Also habe ich den Leuten einfach Zeichnungen in die Hand gedrückt und gesagt: So machen wir das. Bis heute zeichne ich jeden Film vor Drehbeginn detailliert als Storyboard. Dann wissen alle, was zu tun ist. Das macht die Sache übrigens auch billiger – Filmemacher überziehen immer dann das Budget, wenn sie nicht erklären können, was sie eigentlich wollen.

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Sie sind 85 und machen fast jedes Jahr Riesenproduktionen, an denen die Jahresbilanzen ganzer Filmstudios hängen. Werden Sie nie müde?

Doch, doch, ich werde müde. Aber es ist auch heute noch so wie früher: Die Aufregung vertreibt die Müdigkeit.

Wie halten Sie sich fit?

Ich habe jahrelang Tennis gespielt. Das war gut, weil es mich in Form gehalten hat. Leider habe ich mir dabei die Knie kaputtgemacht im Lauf der Zeit. Jetzt achtet meine Frau streng darauf, dass ich regelmässig ins Fitnessstudio gehe.

Können Sie gut schlafen während Dreharbeiten?

Es kommt schon mal vor, dass ich eine Schlaftablette nehme. Vor allem hängt es aber davon ab, was man tut, bevor man sich schlafen legt. Ich mag abends gern eine Gutenachtgeschichte. Aber vielleicht nicht unbedingt die Nachrichten oder etwas anderes, das zu sehr aufwühlt. Also muss man sich was aussuchen, das einen nicht wachhält im Anschluss. Im Zweifelsfall lieber gleich schlafen gehen.

Sie haben mit so ziemlich allen grossen Stars gedreht. Da müssen doch garantiert ein paar Diven dabei gewesen sein, denen der Ruhm nicht so gut bekommen ist. Was ist Ihr Rat, nach all den Jahrzehnten im Geschäft: Wie wird man nicht verrückt, wenn man in Hollywood arbeitet?

Denk immer daran, dass es nur ein verdammter Job ist.

Das ist alles?

Na, ist doch wahr. Man hätte zu was weiss ich für Zeiten und an was weiss ich für Orten geboren werden können. Da ist es doch nichts weniger als das pure Glück, wenn man die Möglichkeit bekommt, gesund und in Frieden den Beruf auszuüben, den man sich ausgesucht hat, ohne dass einen jemand dafür einsperren will. Also gilt für Hollywoodstars und auch für alle anderen, die diesen Jackpot geknackt haben: Sei dankbar, sei glücklich – und halt verdammt noch mal die Klappe.