ETH-Professor im Interview«Quantencomputer braucht es für die Entwicklung neuer Medikamente»
Der Quantenphysiker Andreas Wallraff von der ETH erläutert die Leistung des neuen Quantenprozessors von IBM – und erklärt, woran es bei der praktischen Anwendung noch hapert.
IBM hat einen Quantenprozessor mit 127 sogenannten Qubits vorgestellt, den elementaren Recheneinheiten eines Quantencomputers. Ist das wirklich ein Durchbruch?
Ein Quantenprozessor mit mehr als 100 Qubits ist sicher ein psychologischer Meilenstein, zumal IBM die Methode zur Herstellung der Quantenprozessoren weiterentwickelt hat. Was für meinen Geschmack aber noch fehlt: Der 127-Qubit-Prozessor wurde noch nicht auf ein konkretes Problem angewandt. Als Google vor zwei Jahren seinen 53-Qubit-Prozessor präsentiert hat, hat es dessen Fähigkeit mit einer Demonstration unter Beweis gestellt, auch wenn es sich um ein konstruiertes, für die Praxis völlig irrelevantes Problem handelte.
IBM sagt, der neue Quantenprozessor sei so komplex, dass es mehr klassische Computerbits bräuchte, als es Atome in allen Menschen auf der Erde gibt, um entsprechend komplexe Rechnungen machen zu können.
Das ist das Spezielle an Quantencomputern: Mit jedem zusätzlichen Quantenbit erhöht sich die Komplexität des Prozessors nicht nur um eins, sondern um einen Faktor 2. Die Komplexität der Probleme, die sich lösen lassen, steigt also mit jedem zusätzlichen Qubit exponentiell an. Beim Quantenprozessor von Google mit 53 Qubit hätte man das präsentierte Problem wohl mit einem klassischen Computer noch lösen können. Ein ähnliches Problem mit dem 127-Qubit-Prozessor übersteigt die Fähigkeiten eines klassischen Supercomputers jedoch bei weitem.
Welche typischen Aufgaben möchte man mit Quantencomputern lösen?
Quantencomputer helfen zum Beispiel, mehr über komplexe Moleküle zu erfahren. Wenn etwa ein Molekül aus 127 quantenmechanischen Bausteinen wie Elektronen besteht, dann lässt sich das mit einem 127 Qubit-Prozessor simulieren, nicht aber mit einem klassischen Computer. Das Verständnis komplexer Moleküle ist zum Beispiel wichtig für die Pharmaindustrie, also zur Entwicklung neuer Medikamente, oder für die Entwicklung von Katalysatoren. Allerdings hat man gelernt, komplexe Moleküle durch geschickte Vereinfachungen auch mit klassischen Computern recht gut zu simulieren. Es braucht daher sicher noch mehr Qubits, bis Quantenprozessoren einen praktischen Vorteil bieten.
IBM hat einen Quantenprozessor mit 433 Qubit und voraussichtlich für das Jahr 2023 einen mit 1121 Qubit angekündigt. Genügt das für praxisrelevante Anwendungen?
Es ist durchaus möglich, dass auch rund 1000 Qubit noch nicht ausreichen. Denn irgendwann benötigt ein Quantencomputer eine sogenannte Fehlerkorrektur, damit die Ergebnisse die nötige Genauigkeit und Zuverlässigkeit besitzen. Diese Fehlerkorrektur verlangt weitere Qubits. Man geht davon aus, dass es bei einem voll funktionsfähigen Quantencomputer pro für die Rechnung verfügbarem Qubit rund 50 Qubits für die Fehlerkorrektur braucht. Wenn man also für ein Problem 100 logische Qubits benötigt, dann müsste der Prozessor wegen der Fehlerkorrektur rund 5000 Qubits besitzen. Für ganz grosse Anwendungen, also für den sogenannten universellen Quantencomputer, dürften es eher 100’000 Qubits sein.
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