Wahlfarce in RusslandPutzfrau ersetzt ihren Chef als Bürgermeisterin
Die Bewohner eines Dörfchens nordöstlich von Moskau hatten mehr Vertrauen in die Rathaus-Putzfrau als in den Bürgermeister.

Vier Jahre lang hat Marina Udgodskaja im Rathaus eines russischen Provinznests den Boden geschrubbt. Jetzt ist die Putzfrau die Bürgermeisterin. Die 35-Jährige übernimmt das Amt ihres Chefs, nachdem sie von den Einwohnern Powalichinskojes überraschend gewählt worden ist.
«Ich habe nie gedacht, dass die Menschen für mich stimmen werden», sagte Udgodskaja einem russischen Nachrichtenportal. Sie wollte nur dem bisherigen Bürgermeister Nikolai Loktew helfen. Der Lokalpolitiker aus Wladimir Putins Regierungspartei brauchte eine Gegenkandidatin; ohne wäre die Wahl nicht gültig gewesen.
Hauchdünne Fassade gelebter Demokratie
Wenigstens eine hauchdünne Fassade gelebter Demokratie will man in Russland schliesslich doch bewahren. Loktew fragte seinen Stellvertreter an, ein Mitglied der Kommunistischen Partei, und andere Dorfbewohner. Keiner wollte als Pseudogegenkandidat antreten.
«Es gab einfach niemanden sonst, darum stellte ich mich als Strohfrau zur Verfügung», sagt Udgodskaja. Unter diesen Bedingungen war ein Wahlkampf überflüssig. Die beiden unternahmen nichts, um die Wählerinnen und Wähler zu überzeugen. Keine Plakate, keine Flyer, keine Tür-zu-Tür-Kampagne.
Und dann es kam anders, als sie es sich ausgemalt hatten. Udgodskaja erhielt 61 Prozent der Stimmen, Loktew brachte es auf nur 34.
Powalichinskoje, acht Autostunden nordöstlich von Moskau im Verwaltungsbezirk Kostroma, ist ein verschlafenes Dorf mit bunt bemalten, einstöckigen Holzhäuschen. Der abgewählte Bürgermeister hat keine Erklärung für seine Niederlage. «Ich habe doch alles Nötige gemacht», sagte er zur BBC, «wir haben keine Probleme im Dorf.»
Aber der Unmut gegen Loktew und Putins Partei Einiges Russland ist dort mit Händen greifbar. «Wenn wir gegen den Bürgermeister hätten stimmen können, hätten wir das natürlich getan», sagte eine Einwohnerin ebenfalls zur BBC. «Es blieb uns aber nichts anderes übrig, als für Marina zu stimmen.»
Sie sei «beunruhigt und verwirrt» über ihren Wahlsieg, sagte Udgodskaja zur «New York Times», die sich nach dem Wahlsieg ebenfalls für das russische Dörfchen zu interessieren begann. Die russische Wahlfarce ist die perfekte Illustration dafür, wie Präsident Putin die Demokratie in Russland steuert – bis ins kleinste Detail, aber eben auch nicht immer pannenfrei.
Vorbereitet auf das Amt ist Marina Udgodskaja nicht. Die Menschen in Powalichinskoje halten das nicht für ein Problem: «Ich denke, sie wird damit zurechtkommen», sagt eine Ladenbesitzerin. «Sie hat ja im Rathaus als Putzfrau gearbeitet und weiss, wie alles gemacht wird.» Im Dorf erinnert man auch an Swetlana Tichanowskaja, die in Weissrussland über Nacht für ihren Mann die Rolle der Oppositionsführerin übernommen hat.
Sie sucht eine Nachfolge fürs Putzen
Jedenfalls hat Udgodskaja trotz ihrer anfänglichen Bedenken zugesagt, ihr Amt anzutreten. Ihr Lohn verdoppelt sich damit auf 29’000 Rubel pro Monat, umgerechnet rund 380 Franken. Ex-Bürgermeister Loktew gibt sich unterdessen sportlich. «Ich bin nicht erschüttert», sagt er, «die Leute haben sie gewählt, jetzt soll sie ihre Arbeit machen.»
Marina Udgodskaja hat auch schon Pläne. Sie will endlich eine Strassenbeleuchtung bauen lassen. Zunächst aber wird sie jemanden anstellen müssen, der ihre bisherige Arbeit als Putzfrau übernimmt.
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