Telefongespräch über Ukraine«Über den Tisch gezogen» – so kommentiert die internationale Presse das Gespräch von Putin und Trump
Die internationale Presse sieht Putin mehrheitlich als Nutzniesser des Telefonats: Er kriege jetzt die Aufmerksamkeit, die er wolle, und wende gleichzeitig eine strategische Verzögerungstaktik an.

Das viel erwartete Telefongespräch zwischen dem Weissen Haus und dem Kreml hat nicht die sofortige Waffenruhe für 30 Tage gebracht, die im Vorfeld erwartet worden war. Russland wird lediglich 30 Tage lang keine ukrainischen Energieanlagen beschiessen, wenn auch die Ukraine darauf verzichtet. Verhandlungen über eine weitere Waffenruhe sollen im Nahen Osten beginnen.
Die internationalen Medien sehen Putin mehrheitlich als Nutzniesser des Telefonats. Er kriege jetzt die Aufmerksamkeit der mächtigsten Nation der Welt und wende gleichzeitig eine strategische Verzögerungstaktik an, indem er nur minimale Zugeständnisse mache.
CNN: Putin hat Trumps Bluff in Sachen Ukraine durchschaut – mit der russischen Kunst des «No Deal»
Ein «Nein» ist kein «Ja», wenn es ein «vielleicht», ein «wahrscheinlich nicht» oder ein «nur wenn» ist, kommentiert der internationale Nachrichtensender die magere Ausbeute des Telefongesprächs spöttisch.
Dass Trump keine sofortige Waffenruhe habe aushandeln können, sei zu erwarten gewesen. Der Kreml habe im Vorfeld wie immer hoffnungslos geblufft. Putin glaube, dass er Trump mühelos taktisch ausmanövrieren könne. Der Austausch von 175 Gefangenen und die Rückgabe von 23 schwer verletzten Ukrainern sei eine unbedeutende Vereinbarung.
«New York Times»: Putin wendet Verzögerungstaktik an
Die «New York Times» bezeichnet das Aussetzen von Angriffen auf Energieanlagen zwar als kleinen Erfolg, die Trump-Administration habe aber zugleich eingeräumt, dass «Putin offenbar eine Verzögerungstaktik verfolge und gerade so viel zustimme, dass es den Anschein habe, als sei er an Friedensgesprächen beteiligt». Auf dem Schlachtfeld hingegen poche er auf seinen Vorteil.

Die amerikanischen und russischen Berichte über das Gespräch verdeutlichten zudem die grosse Kluft zwischen den beiden Ländern: Putin betonte, ein dauerhafter Frieden hänge von einem vollständigen Ende der ausländischen Militär- und Geheimdienstunterstützung für Kyjiw ab. Das Weisse Haus erwähnte diesen Teil der Diskussion in seinem vage formulierten Bericht über das Gespräch jedoch nicht.
«Die Zeit»: Über den Tisch gezogen
Die deutsche Zeitung «Die Zeit» sieht Trump klar als Verlierer des Telefongesprächs: Der amerikanische Präsident sei von Putin «über den Tisch gezogen» worden. Es werde in absehbarer Zeit keinen Frieden in der Ukraine geben. «Wenigstens keinen, der den Namen verdient.»
Während Trump in seinem Handeln primär transaktional agiere und auf wirtschaftliche Vorteile bedacht sei, sei Putin kolonial, «ein ideologischer Überzeugungstäter», mit grossrussischen Fantasien und gar der Vision einer russischen Welt. Denn rein wirtschaftlich ergebe die brutale Unterwerfung der Ukraine auch langfristig kaum Sinn. Gerade deshalb werde Putin am Ende Trump ausspielen.
«Le Monde»: Putin hat gekriegt, was er will – Gespräche auf Augenhöhe mit den USA
Die französische Zeitung «Le Monde» spottet, dass Trump seit Jahren behaupte, er beherrsche die Kunst des «Deals». Nach der mageren Ausbeute des Telefongesprächs gäbe es nun aber allen Grund, an Trumps Strategie und seinen Absichten zu zweifeln.
Im Übrigen habe Moskau erreicht, was es für wesentlich halte: eine bilaterale Normalisierung auf Augenhöhe mit den USA, zwischen den grossen Atommächten, bei der die Ukraine lediglich ein Störfaktor sei.
NZZ: Putin bremst Donald Trump aus
Auch die «NZZ» sieht Putin als am längeren Hebel sitzend: Trump, der sonst gern auf seiner Plattform «Truth Social» grossspurig seine Erfolge feiere, sei unüblich lange stumm geblieben, bis er dann eine zurückhaltend formulierte Nachricht abgesetzt habe.
Der Kreml habe klargemacht, dass es ihm mit einer Vereinbarung keineswegs eile: «Von einem Moratorium für bestimmte Luftangriffe zu einem echten Frieden bleibt es jedoch ein langer Weg. In den zentralen Fragen haben sich die Positionen eher verhärtet.»
Putin habe sein gesetztes Zwischenziel erreicht: Er habe Trump ausgebremst, ohne dessen Zorn heraufzubeschwören.
SRF: Trump muss gegenüber Putin zurückkrebsen
Das SRF empfindet Putin als Nutzniesser des Gesprächs und der Vereinbarung über ein 30-tägiges Moratorium für Angriffe auf Energieinfrastruktur: Die Russen hätten den Ball nach «einigem Zögern an die Amerikaner zurückgespielt, indem sie zwar nicht rundweg ‹Nein› sagten zu einem Waffenstillstand, hingegen ihrem zögerlichen ‹Ja› ein betontes ‹Aber› hinzufügten.»
Im Gegensatz zur Ukraine und den USA sei Russland nicht wirklich an einer Waffenruhe interessiert, da es sich militärisch auf dem Vormarsch befinde. Putins Forderungen entsprächen weitgehend den «ursprünglichen Maximalforderungen», was «das Ende der souveränen, freien Ukraine bedeuten würde».
Während Putin nichts zu verlieren habe, stehe für Trump einiges auf dem Spiel, nämlich das Prestige, «ein gewiefter Verhandler und Geschäftemacher zu sein».
«La Stampa»: Putin bekommt seinen Willen
Die italienische Zeitung «La Stampa» kommentiert: «Putin bekommt einfach die Fortsetzung des Kriegs. Und das ist, was er wollte. Derzeit ist ein völliger Waffenstillstand von seinen Wünschen so weit entfernt wie nur möglich. Es sei denn, seine nicht annehmbaren Bedingungen werden angenommen. Nicht annehmbar für die Ukraine, da sie einer Unterwerfung nach weissrussischem Vorbild gleichkommen, verbunden mit Verlusten von Gebieten.
Aber offensichtlich auch nicht annehmbar für Trump. Und das lässt die Ukraine und Europa einen Seufzer der Erleichterung ausstossen. (…) Das Ergebnis des Telefongesprächs enttäuscht jene – viele davon in Italien –, die glaubten, der US-Präsident habe einen Zauberstab, um auf magische Weise ein Ende des Kriegs herbeizuführen. Die Karten in den Händen der beiden Spieler wurden falsch gelesen.»
«El Mundo»: Härte Putins bringt Trumps Image der Stärke ins Wanken
Die spanische Zeitung «El Mundo» analysiert: «Putins Härte bringt Trumps eigenes Image ins Wanken, der zwischen der Eile, den Krieg in der Ukraine zu beenden, um sich auf die wirtschaftliche Rivalität mit China zu konzentrieren, und dem Bedürfnis schwankt, sich als starker Anführer darzustellen, der sich niemandem beugt. Aus dem gestrigen Gespräch lässt sich jedoch schliessen, dass der Kreml seine Angriffe auf den Westen verdoppelt hat, indem er die Unterstützung Washingtons für sein Narrativ des imperialistischen Kreuzzugs und die öffentliche Demütigung seines Feindes (Wolodymyr Selenskyj) im Oval Office nutzt.»

Die Ankündigung der «entkoffeinierten Waffenruhe» sei zudem mit einem weiteren Sieg des Kreml zusammengefallen: «Der Entscheidung der USA, den Vertrag mit Radio Free Europe zu kündigen, einem historischen US-Sender, den Russland als ‹Propagandist› und ‹Feind› bezeichnet hat.»
«Independent»: Selenskyj zum Zuschauer degradiert
Der britische «Independent» kommentiert: «Wir sollten uns zu diesem Zeitpunkt auch vor Augen halten, wie schmerzlich die Situation für Wolodymyr Selenskyj ist. Wie immer in diesem Friedensprozess lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten und das ganze Ausmass dessen zu sehen, was sich vor uns abspielt.
Das ukrainische Volk – Opfer unprovozierter und bestialischer militärischer Aggression – muss mit ansehen, wie sein Land und seine «Vermögenswerte» von den Staatschefs sowohl Russlands als auch der USA zerlegt werden, während sein Präsident zum blossen Zuschauer degradiert wird, wenn überhaupt.
Stellen Sie sich vor, irgendein Land würde aufgefordert, zu akzeptieren, dass sein Gebiet, sein Volk und seine Ressourcen von anderen aufgeteilt werden – und dass es, wenn ihm das Ergebnis nicht gefällt, gezwungen wäre, bis zum Tod oder fast sicher bis zur Auslöschung zu kämpfen.»
DPA/sme
Fehler gefunden?Jetzt melden.