Philosophie des Bitcoins«Manchmal denke ich, Bitcoin ist zu schön, um wahr zu sein»
Die Kryptowährung sei für alle da, sagt «Zeit»-Autor Ijoma Mangold. Ein Gespräch über die Philosophie des Bitcoins – und warum er die Welt verbessern kann.
Herr Mangold, der Bitcoin-Kurs steigt und steigt. Wo steht er Ende Jahr?
Wenn jemand sich überlegt, ob er in Bitcoin investieren soll, weil er eine Preisvorstellung hat, wo der Kurs am Ende des Jahres sein wird – dann kann ich von einem Investment wirklich nur dringend abraten. Denn falls der Kurs unterhalb seines Einstiegskurses sein wird, wird diese Person verkaufen. Das ist keine gute Basis für ein Investment. Das gilt natürlich auch für jede andere Aktie. Es gilt aber noch viel mehr für ein so volatiles Asset, wie es Bitcoin fraglos ist.
Das klingt sehr nüchtern. Es herrscht doch gerade Goldrauschstimmung. Sogar Bitcoin-Laien investieren nun.
Natürlich freut man sich, wenn der Kursrekord geknackt wird. Denn der Hohn über uns Bitcoiner kommt ja immer nur über den Preis, nie über etwas Inhaltliches. Und er setzt immer dann ein, wenn es wieder richtig crasht. Insofern ist umgekehrt eine gewisse Befriedigung nicht zu verleugnen, wenn der Preis in die Höhe schnellt. Innerhalb der Bitcoin-Community war die Zeit der Baisse aber fast intensiver und sehr produktiv. Das war für uns keine Leidensphase, sondern da vertiefte man sein Verständnis für das Bitcoin-Universum, und die Entwickler arbeiteten an einer Verbesserung der Technologie.
Sie sind ein bekannter Literaturkritiker. Was fasziniert Sie an dieser Kryptowährung?
Dass ich mich plötzlich für etwas Technologisches begeistere, dass mehr mit Zahlen als mit Worten zu tun hat, hat mich selbst am meisten überrascht. Doch Bitcoin ist eine intellektuelle Reise, ein geistiges Abenteuer vergleichbar mit der Lektüre von Marcel Prousts Romanwerk. Unter Bitcoinern gibt es Gruppen mit sehr verschiedenen Weltanschauungen, wie libertäre Rechte, die Steuern hassen, linke Weltverbesserer, die Bitcoin als die Lösung für Menschen ohne Zugang zu Banken sehen, oder Cypherpunks, also Kämpfer für Datenschutz und Privatsphäre. Es gibt viele Einflugschneisen.
Zu welcher Gruppe gehören Sie?
Ich sehe mich als liberalen Skeptiker. Ich glaube nicht an den Staat als Heilsbringer. Insbesondere, was die Regulierung des Geldsystems betrifft. Wie die meisten Bitcoiner bin ich von der Dezentralität des Bitcoins fasziniert. Dezentralität ist die Kernüberzeugung, die alle Bitcoiner verbindet. Es gibt bei Bitcoin keine Zentrale, die irgendjemanden ausschliessen könnte oder Transaktionen zensieren könnte. Anders als bei Banken, wo man sich mit seinem Ausweis identifizieren muss. Bei Bitcoin kann sich jeder unabhängig von seiner Hautfarbe, seinem Geschlecht oder seiner Nationalität eine sogenannte Bitcoin-Adresse erstellen und damit Teil des Netzwerks werden. Bitcoin ist eine echte Graswurzelbewegung, also eine Bewegung von unten nach oben. Jeder kann daran teilnehmen, und irgendwann entsteht eine Dynamik, die das Netzwerk immer grösser und immer stabiler werden lässt – und bedeutende Probleme lösen kann.
Zum Beispiel?
Das hängt davon ab, wo man lebt. Wenn ich Ukrainer bin, der vor dem russischen Angriffskrieg fliehen möchte, dann werde ich Bitcoins Eigenschaft besonders schätzen, dass ich ihn quasi im Kopf über die Grenze nehmen kann. Versuchen Sie das mal mit Gold! Wenn ich in einem Land mit hoher Inflation lebe, dann schätze ich seinen deflationären Charakter: Es wird nie mehr als 21 Millionen BTC geben. Geld ist ausserdem auch ein Kommunikationsmedium, mit dem Menschen über Grenzen hinweg miteinander Handel führen. Und jetzt haben wir erstmalig tatsächlich ein Geld, mit welchem Sie aus der Schweiz einen jungen Webdesigner in Lagos bezahlen können, ohne dass irgendwo Vermittlungsgebühren über drei zwischengeschaltete Vertragsbanken anfallen. Allein das ist schon sensationell. Als liberaler Zeitgenosse würde ich aber etwas anderes in den Mittelpunkt stellen.
Was?
Viele Bitcoiner glauben, dass unser Geldsystem kaputt ist. Wir leben angeblich in einer freien Marktwirtschaft, die dadurch charakterisiert ist, dass Preise das Ergebnis des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage sind. Das gilt für alles, nur für das zentralste Gut nicht: das Geld selbst. Der Preis des Geldes ist sein Zins, und der wird von Zentralbanken bestimmt. Und dieser stattliche Eingriff in den Markt führt zu Fehlallokation von Kapital.
Das müssen Sie erklären.
In unserem jetzigen System, das ein von der Europäischen Zentralbank gewolltes Inflationsziel von zwei Prozent hat, werden alle gezwungen, zu Investoren zu werden – wenn sie nichts anderes wollen, als die Kaufkraft ihres Ersparten zu bewahren. Die Leute fliehen so schnell wie möglich aus dem schlechten Geld raus – die meisten rein in Immobilien. Das heisst, Immobilien geniessen ein monetäres Premium. Ihr Preis steigt und steigt, nicht weil ihr Nutzwert zunimmt, sondern weil sie als Investitionsobjekte genutzt werden. Die hoch ungerechte Folge: Wohnraum wird unbezahlbar. Anders als Dollar oder Euro kann niemand die Anzahl an Bitcoins per Knopfdruck vermehren – Bitcoin ist antiinflationäres Geld.
Klingt nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Wieso gilt die Bitcoin-Szene als rechts?
Das ist ein Klischee, das nicht zutrifft. Aber Linke, die von der Allzuständigkeit des Staates träumen, weil sie diesen für den besten Problemlöser halten, haben ein Problem mit Bitcoin, weil Bitcoin den staatlichen Zugriff auf den Gelddrucker zerstört. Bitcoin wird zur Trennung von Staat und Geld führen. Das ist für die politische Klasse, die sich an die Geldmengenausweitung gewöhnt hat, eine echte Zumutung.
Allerdings wird Bitcoin mittlerweile auch über Zwischenhändler und Banken gehandelt. Sehen wir hier den Anfang vom Ende des Systems, das die Bitcoiner euphorisch preisen?
Das ist eine der Fragen, die uns derzeit beschäftigt. Bitcoin hat bisher die Arbeit von «Occupy Wall Street» erledigt, und zwar sehr viel effizienter, als es der Bewegung mit ihren Strassenzelten jemals gelungen ist. Es war ein Angriff auf alle Intermediäre und damit auch auf die Wallstreet. Nun hat die Wallstreet diesen Angriff begriffen, und weil sie ihm nichts entgegenzusetzen hat, umarmt sie ihn. Grosse Vermögensverwalter wie Fidelity oder Blackrock haben in grossem Stil Bitcoin-ETFs aufgelegt. Seither fliessen täglich Millionen in die neue Anlageklasse, weil die Leute jetzt einfach über ihr klassisches Bankdepot in Bitcoin investieren können. Allerdings halten sie ihre Bitcoins nicht selbst, sondern vertrauen wieder einer zwischengeschalteten Finanzinstitution. Mit der Eigenverantwortung, von der Bitcoiner träumen, hat das nichts zu tun.
Hand aufs Herz: Die meisten Bitcoin-Investoren wollen doch einfach das schnelle Geld machen. Denen sind das Geldsystem und der ukrainische Flüchtling egal.
Nochmals: Bitcoin ist für alle da. Es gibt keine Instanz, die sagt «Oh, der will seinen Bitcoin doch nur kaufen, um rasch reich zu werden. Sie dürfen nicht mitmachen. Hier dürfen nur Leute mitmachen, die über eine glaubwürdige Weltanschauung verfügen.» Bitcoin will ja Geld sein. Es will einfach der bessere Wertspeicher sein als herkömmliches Geld.
Das «Schürfen» von Bitcoins erfolgt an Computern, es verbraucht riesige Energiemengen. Droht bei aller raffinierten Dezentralität nicht die Gefahr eines profanen Verbots aus Umweltschutzgründen?
Ja, absolut. Es gibt viele potenzielle Gefahren für Bitcoin. Und ein staatliches Verbot gehört unbedingt dazu. Als ich zum ersten Mal überlegte, ob ich Bitcoins kaufen sollte, war das für mich ein grosser Moment der Verunsicherung. Das sehe ich mittlerweile anders. Wenn die EU das Mining verbietet, wird das relativ folgenlos sein, weil Europa wegen der hohen Energiepreise für Mining völlig unattraktiv ist. Ausserdem ändert sich das Bild von Bitcoin als Umweltsau gerade. Das Netzwerk besteht bereits aus über 60 Prozent grüner Energie, eine Bilanz, die die wenigsten Unternehmen vorweisen können.
Wie ist das möglich?
Viele Schürfer sind dort zu finden, wo Energie im Überfluss und billig erhältlich ist: Sie nutzen etwa nicht ausgelastete erneuerbare Energiequellen aus Wasser, Wind oder Solar. Und es kommt noch besser: In Ölfördergebieten wie in Texas, wo Methangas als ungenutzte Ressource anfällt, wird dieses Gas dazu verwendet, Strom zu erzeugen, der wiederum Bitcoin-Mining antreibt. Das heisst, Bitcoin wird sogar zu einem Katalysator für CO₂-Neutralität.
Jetzt klingen Sie wirklich wie ein Heilsbringer.
Zugegeben, manchmal denke ich auch, Bitcoin ist doch zu schön, um wahr zu sein. Aber nach Jahren, in denen ich mich mit Bitcoin beschäftigt habe, glaube auch ich zunehmend an das Bitcoiner-Credo: «Bitcoin fixes this.» Bestimmt nicht alles, aber doch so einiges.
Was ist mit der Kritik an Bitcoin als Terrorhilfsmittel? Mit Kryptowährungen hat die Hamas offenbar Spenden in Millionenhöhe gesammelt.
Das beliebteste Geld in kriminellen Kreisen ist die 50-Dollar-Note, weil Bargeld tatsächlich absolut anonym ist. Bitcoin ist nicht anonym, sondern pseudonym. Die Transaktionen sind öffentlich einsehbar. So lässt sich zwar nicht erkennen, welche Person Geld an wen überweist, aber sehr wohl, wann wie viel Geld von einem Bitcoin-Konto zu einem anderen fliesst. Und der Verbrecher, der sich in Bitcoin bezahlen lässt, der will ja irgendwann diese Bitcoins wieder in Geld verwandeln, um sich davon – keine Ahnung – einen Ferrari zu kaufen. Und an diesem Übergang ins konventionelle Geld warten dann schon die Strafverfolgungsbehörden.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Geld und das Reden über Geld zu Unrecht als vulgär gelten. Reden wir also Klartext: Sind Sie als Bitcoiner der ersten Stunde reich geworden?
Ich bin kein Bitcoiner der ersten Stunde. Ich stieg beim vorletzten All-Time-High ein. Dann brach der Kurs um 80 Prozent ein. Während ich mein Buch schrieb, war ich also unter Wasser. Diese Volatilität hat mich aber keine Sekunde daran zweifeln lassen, dass Bitcoin eine absolute gesamtgesellschaftlich transformative Technologie ist. Deshalb geriet ich nicht in Panik und behielt die Bitcoins. Inzwischen sieht es aber auch auf der Renditeseite freundlich aus.
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