Phänomen TributebandsDie grossen Hits für kleines Geld
Die Originale werden immer teurer, spielen immer weiter weg – als Alternative tun sich Tributebands mit ihren Coverversionen hervor. Das Geschäft läuft gut, doch so neu ist die Idee des Kopierens nicht.
Aufregung backstage in der Kantine Bülach: Eine Saite ist gerissen. Aufs Knie mit der Gitarre, neu aufziehen, stimmen, ein paar Takte spielen. Kein Schaden, der sich von Selfmade-Musikern wie WE2 nicht rasch beheben liesse.
Mit so was müssten sich die echten U2 niemals herumschlagen. Gerade hatten sie mit ihrer Konzertreihe Premiere im neuen Sphere-Dome in Las Vegas: 25 Auftritte vor jeweils 19’000 Zuschauern, 10 Millionen Dollar Fixgage plus 90 Prozent der Einnahmen, Rockmusik in ihrer kommerziellsten Ausprägung.
Zum Konzert von WE2 kommen an diesem Abend 80 Leute, sie bezahlen 20 Franken im Vorverkauf, 25 an der Abendkasse – aber nur, weil WE2 spielen, was U2 einst geschrieben haben. WE2 sind eine Tributeband, wie es sie zu Hunderten gibt, in der Schweiz heissen sie Fun Halen (Van Halen), Crazy Diamond (Pink Floyd), Shades of Purple (Deep Purple), Reckless Roses (Guns n’ Roses) oder Rumpelstoff (Rumpelstilz).
International touren Shows mit den zurückgeholten Queen, der auferstandenen Tina Turner oder dem wiederbelebten Michael Jackson auf den grossen Bühnen. In der Schweiz sind Tributes von Pink Floyd und AC/DC beliebt, sie versammeln an einem Wochenende bis zu 3000 Fans.
Fünfstellige Gagen? Wenn, dann am Firmenanlass
In der Schweiz, so glaubt zumindest Oliver Macchi, steckt dieser Markt noch in den Kinderschuhen. Macchi, als Manager seit über 30 Jahren im Geschäft, muss das glauben, weil er in der Corona-Zeit, als die Industrie arg durchgeschüttelt wurde, voll auf diese Karte gesetzt und die erste Tribute-Agentur der Schweiz ins Leben gerufen hat.
15 Bands hat er im Portfolio, er vermittelt sie an Clubs, Open Airs und Privatanlässe. Für Engagements wie das Konzert in der Kantine Bülach gibt es eine tiefe vierstellige Fixgage und eine Beteiligung an den ebenso tiefen Einnahmen, Gigs an Firmenanlässen können auch mal fünfstellig zu Buche schlagen, aber das sei «ganz, ganz selten».
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Tributing in der Schweiz, das klingt nicht so glamourös. Hinter der Bühne in Bülach kommen nach der geschlissenen Saite noch einmal die herkömmlichen Themen unter Hobbymusikern auf: Rückenschmerzen, der Nebenverdienst, die Musikschüler. Dann geht es los auf die Bühne: Als Opener gibt es «Elevation», Liturgie aus den frühen 2000er-Jahren, das Publikum, so knapp es die kleine Kantine zu füllen vermag, singt jede Zeile mit. Mit geschlossenen Augen und etwas mehr Zurückhaltung am Mischpult könnte sich tatsächlich das Gefühl einstellen: Doch, hier spielen U2.
Die echten U2 gibts ab 600 Dollar
Doch was bewegt die Leute dazu, sich die Kopie des Originals anzuhören? Ein Mann im Ramones-Shirt sagt: «Gute Musik macht kaum mehr jemand. Da komme ich auch, wenn die nur covern.» Ein anderer Faktor sind die Ticketpreise, die seit der Corona-Pandemie explodieren. Bruce Springsteen war unlängst in Zürich ab 150 Franken zu sehen, selbst Acts aus der zweiten Reihe wie Helene Fischer (120 Franken) oder 50 Cent (um die 100 Franken) schlagen in diesem Jahr dreistellig zu Buche.
Wer Taylor Swift im kommenden Jahr im Letzigrund bewundern will, musste sich bereits für den Vorverkauf registrieren und auf einen der Zugangscodes hoffen – die billigsten Karten kosten 167 Franken. Ein Ticket für die U2-Konzerte in Las Vegas gibt es ab 600 Dollar, wer vorne an die Bühne will, zahlt 1500.
Dort wird in ein paar Tagen auch Bernhard Wyss stehen. Gerade noch lehnt er an der Bar in Bülach, wippt zu «Beautiful Day» in der Version von WE2. Wyss ist, was die Industrie einen Superfan nennt: Er folgt U2 seit 30 Jahren um die Welt, wann immer möglich besucht er zwei Konzerte hintereinander, der Trip nach Las Vegas wird ihn über 10’000 Franken kosten. Da machen ein paar Biere in der Kantine jetzt auch nicht mehr viel aus.
Natürlich aber reisen die allermeisten, die in Bülach sind, nicht noch nach Las Vegas, natürlich sind das in der Regel Leute, die kommen, weil sie U2 mögen, U2 aber schlicht zu weit weg, zu teuer, zu gross sind. Das beschert dem Dasein der Tribute-Musiker einen eigentümlichen, dienstleistenden Charakter.
«Wenn die nur auf Mimik und Gestik achten, dafür aber grottenschlecht spielen, will das niemand sehen.»
Der Sänger vorne auf der Bühne heisst in Bülach Adrian Sturzenegger, auch er trägt eine getönte Brille, äusserlich ist es die einzige Ähnlichkeit mit U2-Sänger Bono. In der lokalen Musikszene bewegt sich Sturzenegger seit 40 Jahren als Ad-Rian, Herzensprojekt ist seine Band Ad-Rian & the Rise. 2019 begegnete er Bono per Zufall am WEF, Sturzenegger war dort in seinem Nebenjob als Kameramann, der Superstar als Speaker. Ein paar Wochen später fragte ihn Booker Macchi an, ob er für WE2 singen wolle.
«Ich sagte zu», sagt Sturzenegger, «weil es mich als Projekt interessierte.» Viel von ihrem Lebensunterhalt können der Sänger, der auch Kameramann ist, der Drummer, der auch als Klavierstimmer arbeitet, und der Bassist, der auch Lehrer ist, mit dem Tributing ohnehin nicht bestreiten.
Superfan Wyss kümmert normalerweise nur das Original. WE2 hat er per Zufall an einem Stadtfest entdeckt – und war richtig angetan. Über U2-Tributebands musste er sich auch schon «grauenhaft» aufregen. «Wenn die nur auf Mimik und Gestik achten, dafür aber grottenschlecht spielen, will das niemand sehen.»
«Wir waren die populärste Coverband der Schweiz.»
So eng haben das die frühen Fans des Coversongs nicht gesehen. Das Cover ist fast so alt wie die Rockmusik selbst. In den 60er-Jahren spielten Bands wie die legendären Sauterelles einfach die Musik der Beatles nach und begeisterten damit die Schweizer Jugend. Die Beatles traten nie in der Schweiz auf, «es gab keinen Computer, auf dem man sich rasch ein paar Videos anschauen konnte», erzählt Schlagzeuger Düde Dürst. Als professionelle Beat-Band konnten sie so ihr Geld verdienen und als «Swiss Beatles» sogar zum Branchenvergleich nach Liverpool reisen. «Wir waren die populärste Coverband der Schweiz.» Und wohl auch die erste.
Später, in den 80ern, spielten More Experience die Lieder des verstorbenen Jimi Hendrix und wurden dafür auch im Ausland gebucht; Fido Plays Zappa huldigen dem früh verstorbenen Dada-Rocker seit 2003. Polo Hofer oder noch später Züri West übersetzten ihre Lieblinge dann einfach auf Schweizerdeutsch: Bob Dylan, Lou Reed und Konsorten wurden neu arrangiert und schallen in diesen Versionen seit Jahrzehnten durch die Schweizer Stuben.
Und wer covert Rihanna?
«Das Covern, das Arrangieren gehört zur DNA der Schweizer Rockmusik», sagt Sam Mumenthaler. Als Chronist hat er sich durch die Schweizer Musikgeschichte gepflügt, als Schlagzeuger bei Züri West gespielt und mit seiner Band Repeatles pflegt er noch heute den Sound aus den Sixties.
In der jüngsten Tribute-Bewegung erkennt der Berner viel Zeitgeist: die Überhöhung in der Popkultur, das Zementieren des Kults. «Für mich zeigt Tributing auch, dass das Business ziemlich tot ist, wenn man vor allem am Leben erhalten muss, was es schon so lange gibt.» Und man fragt sich tatsächlich: Wo ist die Tributeband für Justin Timberlake? Und wer covert Rihanna?
Dass die Rockgrössen aus dem letzten Jahrtausend Nachahmer haben, ist auch in ihrem eigenen Interesse. Die Setlist von WE2 umfasst 20 Songs, während zwei Stunden werden so Tantiemen für U2 gesammelt. Maximal zehn Prozent der Einnahmen kann die Schweizer Urheberrechtsvertretung Suisa für Musikschaffende gemäss Gesetz abzweigen, davon gehen noch etwa 75 Prozent an die Urheber.
An einem Abend mit 80 Eintritten mag das ein lächerlicher Betrag sein, bei einem Stadionkonzert sieht das anders aus. Auch dort muss der Veranstalter Urheberrechtsentschädigungen zahlen. «Die sind für grosse Bands dann schnell mal sechsstellig», sagt Suisa-Sprecher Giorgio Tebaldi.
Oliver Macchis jüngstes Pferd im Stall ist Rammzeit, eine Rammstein-Tributeband. Ausser dem Sänger kommen alle aus der Romandie, bereits hat die Gruppe den ersten Gig in Deutschland. Einem Festival an der dänischen Grenze waren die deutschen Rammstein-Tributes zu teuer. Macchi freuts. «Wir können billiger sein, weil wir keine Feuershow haben.» Es ist ein Geschäft mit kleinen Freuden.
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