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Neues Präventionsnetzwerk
Pädophile therapieren, bevor sie Täter werden

Der Film «The Woodsman» thematisiert den Umgang der Gesellschaft mit dem pädophilen Walter (Kevin Bacon).
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Der Duden bezeichnete Pädophile bis vor einigen Jahren als «Kinderschänder». Bis heute werden Männer, die sexuelle Vorlieben für Kinder haben, gesellschaftlich geächtet. Ausser Acht gelassen wird dabei, dass ein Grossteil der Betroffenen unter ihrer Neigung leiden und nie straffällig werden. Schätzungen zufolge ist ein Prozent der Männer pädophil. Die meisten führen ein bürgerliches Leben, haben normale Partnerschaften, vielleicht sogar eigene Kinder. Und oft sind sie eine latente Gefahr für die Kinder im Umfeld.

Die auf Pädophilie spezialisierten psychiatrischen Institutionen in Frauenfeld, Genf, Zürich und Basel haben sich nun zusammengetan, um ein schweizweites Präventionsnetzwerk auf die Beine zu stellen. Ende Mai soll die Gründung eines Vereins erfolgen. Dies soll auch die Geldsuche vereinfachen. Angelehnt ist das Projekt an das weltgrösste Präventionsnetzwerk «Kein Täter werden», das in Berlin lanciert wurde und mittlerweile in zwölf deutschen Städten Anlaufstellen hat. Seit der Gründung haben bereits 11’000 Pädophile eine Therapie durchlaufen.

Ziel ist, die Neigung nicht auszuleben

Maximilian von Heyden von der Berliner Anlaufstelle hat den Auftrag, den Aufbau des Schwesternetzwerks in der Schweiz zu unterstützen. Im Wesentlichen geht es darum, aus dem Schweizer Flickenteppich ein einheitliches Therapieangebot zu schaffen. Ziel einer Therapie sei nicht, die Pädophilen zu «heilen», so von Heyden – eine sexuelle Ausrichtung lasse sich nicht abändern. «Ziel ist die Verhaltenskontrolle», sagt er. «Wir müssen die Patienten dazu bringen, dass sie die Neigung nicht ausleben.»

Marc Graf, Direktor der Klinik für Forensik an den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel (UPK), spricht von verschiedenen Ansätzen, die hilfreich sein können. «Es kann nützen, das Bild der eigenen, geliebten Nichte an den Computerbildschirm zu hängen. Bei einigen erschwert dies den Kinderpornokonsum, da sie daran erinnert werden, wie schlimm das Leiden der Kinder bei solchen Missbräuchen ist», sagt Graf etwa. Oder aber man achtet darauf, dass die Möglichkeit zum Kinderpornokonsum gar nie entsteht. In Familien könnte man die Regel aufstellen, dass Computer und Handys nie in abgeschlossenen Zimmern benutzt werden dürfen. Die Behandlung bei «Kein Täter werden» dauert ein Jahr und findest meist in Gruppen statt.

Experten versprechen sich von Gruppensitzungen mehr als von Einzelbehandlungen.

Die Experten versprechen sich davon mehr als von Einzelbehandlungen, bei welchen oft der Vorwurf im Raum steht, der Psychotherapeut könne sich nicht in den Pädophilen hineinversetzen, da er nicht dieselben Vorlieben habe. Der Gruppenaustausch bringe den Vorteil mit sich, dass die Betroffenen, die länger dabei seien, den Neueinsteigern als Vorbild dienen könnten. «Wer sich in eine solche Therapie begibt, der zweifelt anfangs oft daran, dass sie etwas nützt. Wenn man sieht, dass es denjenigen, die schon länger dabei sind, nützt, dann hilft das», sagt Graf.

Der Ruf nach besseren Therapieangeboten in der Schweiz ist nicht neu. 2016 hatten die Zürcher Bundesparlamentarier Natalie Rickli (SVP) und Daniel Jositsch (SP) in einem Vorstoss gefordert, dass Bund und Kantone sich für eine Professionalisierung der Präventionstherapien einsetzen sollten. Der Bundesrat kam in seiner Stellungnahme, die im vergangenen Herbst publiziert wurde, zum Schluss, dass in der Schweiz Handlungsbedarf herrscht. Die in diesem Bereich renommierteste Klinik der Schweiz, das Forensische Institut der Ostschweiz (Forio), könne die angestrebten Gruppentherapien zwar anbieten. Hier müssten die Therapiekosten von den Teilnehmenden aber selbst getragen werden. Auch finde kaum Öffentlichkeitsarbeit statt, da kein Geld vorhanden sei.

In Basel und Genf wird Angebot kaum genutzt

An den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel können die Behandlungskosten zwar der Krankenkasse in Rechnung gestellt werden. Hier fehlt allerdings die Klientel: Seit das Angebot 2014 lanciert wurde, haben sich zu wenige Pädophile gemeldet. Statt Gruppen- gibt es hier vorwiegend Einzeltherapien. In Genf sieht es ähnlich aus: Jährlich lassen sich nur zwei bis drei Männer behandeln. Eine erschreckend kleine Anzahl, wenn man bedenkt, dass in der Schweiz rund 30’000 pädophile Männer leben dürften.

Noch ist unklar, an welchen Standorten künftig das Netzwerk mit dem Arbeitstitel «Kein Täter werden Suisse» seine Behandlungen anbieten will und welchen finanziellen Beitrag die Kantone leisten werden. Wenn in den nächsten Wochen die Website aktiviert wird und zu einem späteren Zeitpunkt in den sozialen Medien und bestenfalls gar im Fernsehen Spots geschaltet werden, sollen zumindest alle Betroffenen zu verstehen bekommen: Pädophilie allein ist kein Verbrechen.