Wettlauf gegen die Zeit in der Notre-DameOrgel muss von Russ und Bleistaub befreit werden
In Paris wird aktuell die Kirchenorgel der 2019 niedergebrannten Pariser Kathedrale restauriert. Eigentlich hätte das Instrument gar nicht im gotischen Bau stehen sollen.
Gotische Kathedralen sind ausgeklügelte Gebilde – mit einigen Schwachstellen. Neben den Glasfenstern haben bei Feuerbränden oft auch die Orgeln Schaden genommen. In der Pariser Notre-Dame wird seit Anfang dieser Woche die grosse Orgel abgebaut.
Das 1733 von Antoine Calvière geschaffene und 1867 von Aristide Cavaillé-Coll überholte Werk mit seinen 8000 Pfeifen und 115 Registern hat relativ wenig gelitten und beim Brand im letzten Jahr auch kaum Löschwasser abbekommen. Es muss aber bis in die winzigsten Einzelteile zerlegt und von Russ und Bleistaub befreit werden. Die Operation wird bis 2024 dauern. Die grosse Orgel der vor zwei Wochen in Brand geratenen Kathedrale von Nantes ist hingegen endgültig verloren.
Kein gotischer Baumeister hatte ursprünglich an den Einbau einer grossen Orgel ins Gotteshaus gedacht. Standorgeln mochten zwar, nachdem im Konzil von Mailand 1287 die instrumentale Begleitung der Liturgie erlaubt worden war, da und dort im Chor bald ihren Platz gefunden haben.
Verglichen mit dem polyfonen Echoklang der gregorianischen Gesänge in den zisterziensischen Abteikirchen dürfte das in den enormen gotischen Gewölben ärmlich geklungen haben. In Konkurrenz zur himmelstürmenden Pracht der gotischen Architektur trat die Kirchenmusik dann nach der ersten Blüteperiode des Orgelbaus ab dem 14. Jahrhundert. Allerdings passten die frühen Ungetüme platztechnisch nicht mehr vorne in den Chor. Sie mussten im Rücken der Gläubigen auf einer Empore installiert werden, wo sie meistens eine prächtige Rosette oder Fenster versperrten.
Bis in die Moderne hinein bleiben manche Kirchgänger unempfänglich für diese flötenden Kolosse.
Im Unterschied zum Barock, der die grossen Orgeln von Anfang an auch visuell einplante, waren diese in der Architektur der Gotik nicht vorgesehen. So grandios sie mit ihrer dekorativen und klanglichen Majestät in unserer Wahrnehmung allmählich mit der gotischen Raumweite verwuchsen, sind sie ein Fremdkörper geblieben. Nichtsdestotrotz: Die Musikgeschichte von Bach bis zur Romantik hat unsterbliche Orgelwerke hervorgebracht.
Bis in die Moderne hinein bleiben manche Kirchgänger aber unempfänglich für diese bald flötenden, bald wabernden, tremolierenden oder brausenden Kolosse. Le Corbusier hat im Dominikanerkloster La Tourette bei Lyon die Orgelempore widerwillig wie eine Pappnase aus Beton an die Aussenwand der Klosterkirche geklebt.
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Vergleichen Sie hier: Die Kathedrale von Notre-Dame vor und nach dem Brand 2019.
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Trotzdem wird einem traurig zumute beim Gedanken, wie viel Kunstfertigkeit, stilistisches Raffinement und angehäufter Sachverstand durch so einen Brand wie in Nantes zunichtegemacht worden ist. Fünfmal ist die Orgel von Jacques Girardet aus dem Jahr 1621 mit ihren anfänglich bescheidenen 27 Registern überholt und erweitert worden, zum ersten Mal wenige Jahre vor der Französischen Revolution. Sie bekam damals schon einen Spieltisch mit fünf Klaviaturen und wurde noch 1970 auf 89 Register ausgebaut mit 5500 Pfeifen.
Inbrünstige Gottergebenheit und burleske Hexerei verbanden sich über die Jahrhunderte zu einem sichtbaren und hörbaren Gesamtweltbild. Mit seinen Monsterfiguren auf den Verzierungen habe diese Orgel rabelaisianische Züge bewahrt, trauert Michel Bourcier, einer der drei Domorganisten in Nantes, dem abgebrannten Meisterwerk nach. Für die Restaurierung der Bauschäden an der Kathedrale will der Staat als Inhaber aufkommen. Für eine neue Orgel beginnt der bescheidene Förderverein Geld zu sammeln.
Allein für die Feinstimmung der Pfeifen in Notre-Dame werden sechs Monate veranschlagt.
Die Pariser Notre-Dame darf mit mehr öffentlicher Aufmerksamkeit rechnen. Abgesehen von der Reinigung der Pfeifen müssen dort auch manche Teile repariert werden, weil sie unter den starken Temperaturschwankungen seit dem Brand im vergangenen Jahr gelitten haben.
Der Wettlauf gegen die Zeit auf diesem Nebenschauplatz des Restaurationsprogramms hat begonnen, damit bei der geplanten Wiedereröffnung am 16. April 2024 auch die klangliche Begleitung nicht fehle. Allein für die Feinstimmung der Pfeifen hat Jean-Louis Georgelin, der Vorsitzende der für die Restaurierung zuständigen Instanz, sechs Monate veranschlagt.
Erfreulich viele Hauptorgeln haben in Frankreich neben den Bränden auch die Revolutionswirren heil überstanden, die Notre-Dame in Paris wie die Kathedrale von Nantes. In Paris liess das Comité temporaire des Arts den Citoyen Desprez auf der Orgel vorspielen und folgte dann seiner Ansicht, dies sei ein erhaltenswertes Objekt. So ein Instrument könne auch die Gefühle eines echten Verfechters der Republik darstellen und «unseren Hass auf die Tyrannen zum Ausdruck bringen», erklärte er. Wahrscheinlich liegt es an dieser unendlichen Registervielfalt, dass die Monumentalinstrumente auch in Gewölben so gut klingen, die gar nicht für sie gemacht wurden.
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