Opfer der Digitalisierung«Der Anfang vom Ende» – Paris trauert um sein Métroticket
Ein Pariser Drama: Das rechteckige Billett aus Karton verschwindet. In Etappen zwar, aber definitiv. Es weht davon wie eine verlorene Verheissung.
Diese Woche hat der Pariser Transportbetrieb RATP schon mal den Verkauf des mythischen «Carnet de 10» eingestellt. So hiess der kleine Stapel mit zehn Billetten, der auch unter Besuchern sehr beliebt war, französischen wie ausländischen.
Man kam nach Paris, löste am Schalter oder am Automaten in der Metrostation ein «carnet», so war man erst mal versorgt, tauchte ein, schwamm mit im Fluss der Stadt, getragen von ihrer wunderbaren Umtriebigkeit unter dem Boden. Und wenn man nach dem Aufenthalt wieder nach Hause fuhr, hatte man meistens noch ein paar Tickets übrig, ein kleines Kapital. Im besten Fall waren sie das Pfand für eine Rückkehr. Oder wenigstens ein Andenken.
500'000'000 Karten pro Jahr
Einzeln kann man die Billette noch eine Weile kaufen, für 2,10 Euro das Stück. Aber bald nach den Olympischen Spielen von Paris im Sommer 2024 sollen sie ganz weg sein. Die Abschaffung des Carnet, schreibt eine Zeitung, ist der «Anfang vom Ende», und wenn das dramatisch klingt, dann ist das auch genau so gemeint. Das Pariser Métroticket ist ein kleines, feines Kulturgut.
Doch Papier, heisst es bei der RATP, sei nicht mehr zeitgemäss, nun, da man Tickets auch über eine App am Handy haben kann oder auf einer Smartcard mit Chip, dem sogenannten Passe Navigo. Alles contactless.
Früher sassen Knipser am Zugang zu den Plattformen und knipsten die Billette. Sie sollen meist übel gelaunt gewesen sein.
Und wahrscheinlich stimmt das mit der Zeitgemässheit ja auch. Etwas mehr als eine halbe Milliarde Billette druckte die RATP jeweils pro Jahr, das ist ein ganzer Haufen Karton. Es gab noch ein Problem: Von zehn «tickets», wie auch die Pariser sagen und dabei dem «ck» alle Härte nehmen und das «t» am Ende einfach weghauchen, entmagnetisierte sich im Durchschnitt jeweils mindestens eines, weil es in Berührung gekommen war mit Münzen oder Schlüsseln.
Und doch! Nur schon, wie es in der Hand liegt, das Pariser Métroticket. Genau richtig gross: nur 6,5 auf 3 Zentimeter. Genau richtig fest, dass es in der Hosentasche nicht zerknittert, man muss es da nur von Schlüsseln und Münzen fernhalten.
Als die Métro 1900 in Betrieb genommen wurde, gab es Billette in zwei Farben, weil es zunächst auch zwei Klassen gab: rosa für die erste Klasse, beige für die zweite Klasse. Damals und bis zur Automatisierung der Kontrollen sassen Knipser, poinçoinneuses und poinçonneurs, am Zugang zu den Plattformen und knipsten die Tickets. Sie sollen meist übel gelaunt gewesen sein, kann man lesen.
Serge Gainsbourg widmete ihnen ein Lied: «Le poinçonneur des Lilas» war sein erster Hit überhaupt, er machte ihn bekannt. Mit den Drehkreuzen und den Entwertungsmaschinen wurden die Karten etwas kleiner und die Schwarzfahrer akrobatischer.
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Oft wechselte das Ticket seine Farbe, es war auch mal gelb mit braunem Magnetstreifen. Das schönste aber war das jadegrüne, ab 1992. Es trug den Verlauf der Seine auf der Vorderseite. Hielt man das Billett vertikal, wurde aus der Flusslinie das Profil eines Frauengesichts. Die letzte Version, das Auslaufmodell des Pariser Métrotickets, ist einfach weiss, ein bisschen lustlos. Als wollte man den Wehmütigen den Abschied leichter machen.
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