Olympia-Bronzegewinner Desplanches Bevor er sich kaputtschwamm, zog er die Notbremse
Sein Trainer in Frankreich schickte ihn durch die Hölle, doch nun ist Jérémy Desplanches in die Schweiz zurückgekehrt. Weil sein Körper das nicht ertragen hat – und weil er nach Paris will.
Jérémy Desplanches winkt ab – nein, jetzt will er nicht mehr reden über das hauptsächliche Thema. Er will nicht mehr zurück-, sondern vorwärtsschauen. Jetzt will er schwimmen, seine ersten Rennen an der WM in Doha stehen an und damit die Jagd nach der Olympiaqualifikation für Paris.
Dass der Genfer überhaupt da ist in Katar, an einer WM im Februar, in diesem endlos weitläufigen Aspire Dome mit seinen insgesamt sechs 50-m-Pools, nun ja, das hat er sich im vergangenen Sommer selbst eingebrockt. Um nur wenige Hundertstel verpasste er damals die Olympia-Limite in Fukuoka.
Der 29-Jährige mag zwar nicht mehr darüber reden, doch für seinen Traum, an Olympischen Spielen eine zweite Medaille zu gewinnen nach der bronzenen in Tokio 2021, hat er kurz nach Neujahr die Notbremse gezogen. Hat seine Zelte in Martigues an der Côte d’Azur abgebrochen und ist nach Genf zurückgekehrt. Zurück in seine Heimatstadt, zu Genève Natation – im letzten halben Jahr seiner so erfolgreichen Karriere soll das Umfeld zu hundert Prozent auf seine Bedürfnisse eingehen. So viel sagt er dennoch und schmunzelt: «Es ist super, die Kollegen sind da, die Familie, es ist gar nicht so einfach, sich aufs Schwimmen zu konzentrieren.»
Wer hätte diesen Mut auch gehabt?
Wer ausser ihm hätte den Mut zu diesem grossen Schritt in so heikler Situation gehabt, wer ausser ihm wäre bereit gewesen, so viel Risiko einzugehen so kurz vor dem so sehr angestrebten zweiten Karrierehöhepunkt? Wieder die Umstellung, wieder das Anpassen an Neues – Desplanches hat sich im Trainingslager über Weihnachten/Neujahr auf Teneriffa dafür entschieden. Er war da nicht mit seinem französischen Trainer Philippe Lucas, der in der Szene den zweifelhaften Ruf des «harten Hundes» hat. Er war da mit dem Schweizer Team – und Clément Bailly, dem Genfer Coach, der Rückenspezialist Roman Mityukov an die Weltspitze geführt hat.
Unvergessen ist die Szene, als Desplanches in Tokio trotz Euphorie über seine Medaille in der Mixed-Zone fast in Tränen ausbrach – weil er die Emotionen nicht mit dem Mann teilen konnte, der ihn gross gemacht hatte: Trainer Fabrice Bellerain. Dieser hatte ihn vordergründig wegen Corona nicht nach Japan begleiten wollen, über die wirklichen Gründe schwieg sich der Schweizer damals aus. Und weil er zudem sah, wie weit er als Bronzegewinner noch vom Olympiasieg entfernt war, entschied er sich für die nächsten drei Jahre und bis zu den nächsten Spielen für den Wechsel. Für die «Ochsentour», wie man das Training von Lucas getrost nennen darf. Denn so erfolgreich und renommiert dieser ist, so gefürchtet ist seine Trainingsphilosophie.
Aus drei sind knapp zwei Jahre geworden, und Desplanches hat realisiert, dass er für solches nicht gemacht ist, sein Körper die Adaption nie ganz geschafft hat. Markus Buck, der Schweizer Leistungssportchef, sagt: «Das klassische Programm mit den enormen Umfängen hat für Jérémy nicht gepasst. Sein Körper hat das nicht gepackt, er ist nicht der Ausdauertyp.»
Es komme hinzu, dass Desplanches mit seinen 29 Jahren und einem anderen Regenerationsbedürfnis als seine Kollegen nicht (mehr) ins Team passte. «Er hat erkennen müssen, dass er dort der Fremdkörper ist.» In seinen Anfängen in Martigues, im Frühling 2022, sagte Desplanches einmal, es sei kein Leben mehr. Nur noch Schwimmen. Verletzungen und Krankheiten häuften sich, deutliche Zeichen der Überforderung.
Die Freude von Kollege Mityukov
Seit 2018 war er der Schweizer Teamleader, der den jungen Talentierten demonstrierte, dass man selbst als nicht so talentierter Athlet mit viel Arbeit zu internationalen Medaillen kommen kann. Desplanches war Europameister, gewann WM-Silber, schaffte den Olympia-Coup – als erst zweiter Schweizer im Schwimmen und nach 37 Jahren Dürre.
Fragt man Roman Mityukov, wie das denn nun sei nach der Rückkehr Desplanches’ zu seinem Club, sagt dieser: «Da ist ja nicht irgendjemand gekommen, es ist Jérémy. Es ist ein ‹big plus›, ihn bei uns zu haben. Wir kennen uns schon so lange und reden sehr viel. Und mir hilft es natürlich, jemanden neben mir zu haben, der die Hälfte der Trainings mit mir absolviert.»
Am Mittwochmorgen tritt Desplanches zu den Vorläufen über 200 m Lagen an. Sehr gut ausgeruht, so, wie es in den Plänen von Lucas nie vorgesehen war. Die Zeit von 1:57,94 Minuten hat der Genfer seit einem Jahr im Kopf. Schwimmt er sie jetzt, ist er bei den Spielen in Paris dabei und befreit sich von einigem Stress in den kommenden Monaten. Verpasst er sie, ist dennoch nichts verloren. Zwei weitere Chancen hat er. Doch schon jetzt weiss Desplanches, dass sich sein mutiger Entscheid gelohnt hat. Bereden muss er das nicht mehr.
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