Erkrankter Kreml-KritikerNun soll der Westen Alexei Nawalny vergiftet haben
Russland beharrt im Abschlussbericht darauf, dass beim Kreml-Kritiker in Omsk kein Gift gefunden wurde. Sein dortiger Arzt wird zum Gesundheitsminister befördert.
Man habe keinerlei Spuren von Gift entdeckt, sagte er im Sommer, nachdem Alexei Nawalny schwer erkrankt in ein Spital im russischen Omsk eingeliefert worden war. Die Bilder von Alexander Murachowskis gingen um die Welt, wie er im Arztkittel inmitten von Kameras und Mikrofonen steht und jeden Verdacht abschmettert, der russische Oppositionspolitiker könnte vergiftet worden sein. Eine Stoffwechselstörung sei wohl für den Zustand des prominenten Patienten verantwortlich, der im Koma lag.
Gleichzeitig bezeichnete Murachowskis Nawalny als so krank, dass er nicht transportiert werden könne. Selbst als bereits ein deutsches Flugzeug auf dem Flughafen in Omsk bereitstand, beharrte er darauf, dass allein sein Ärzteteam über diese Frage entscheide, und weigerte sich, den Transport nach Berlin zu erlauben. Schliesslich entschied der Kreml: Präsident Wladimir Putin persönlich hat – laut eigenen Angaben – schliesslich den Transport genehmigt, und Nawalny wurde nach Berlin ausgeflogen, wo die Ärzte eine Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok feststellten.
Keine Frage also, Murachowskis hat sich in dem Skandal, der ihm da vor die Füsse gefallen ist, gleich mehrmals bis auf die Knochen blamiert. Allerdings hat ihm das nicht geschadet, im Gegenteil ist er nun vom Spitaldirektor zum Gesundheitsminister der Region Omsk befördert worden. Seine Vorgängerin wurde unlängst entlassen, weil beim Ministerium zwei Ambulanzen mit Corona-Patienten vorfuhren, für die sich in den überlasteten Spitälern kein Platz mehr fand.
Wie Murachowski schliesst auch der abschliessende Bericht der Ärzte, der nun veröffentlicht worden ist, eine Vergiftung aus. Nawalny habe an einer entzündeten Bauchspeicheldrüse gelitten, lautet die Diagnose. Auch an seiner Kleidung seien keine Spuren von Gift gefunden worden.
Spuren des Nervengifts seien in Nawalnys Blut und Urin gefunden worden, teilte die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen mit.
Das widerspricht dem Befund in der Berliner Klinik diametral. Und Deutschland hat den Vorwurf nicht leichtfertig erhoben: Die Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok wurde in vier verschiedenen Labors in Europa untersucht und bestätigt. Spuren des Nervengifts seien in Nawalnys Blut und Urin gefunden worden, teilte letzten Monat dann auch noch die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen mit, deren Mitglied auch Russland ist.
In der russischen Logik muss Nawalny dieses Gift also später – sprich in Berlin – zugefügt worden sein, weil ja in Omsk keine Spur davon gefunden worden war. Sergei Naryschkin, der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes, verdächtigt nun offen den Westen, Nawalny vergiftet zu haben.
Er könne nicht ausschliessen, dass westliche Geheimdienste hinter der Vergiftung des 44-Jährigen steckten, sagt Naryschkin. Das Ziel soll es dabei gewesen sein, «die eingeschlafene Protestbewegung in Russland wieder zu beleben». Er habe zwar keine direkten Beweise dafür, gibt der Geheimdienstchef zu, doch er wisse, dass solche Möglichkeiten von westlichen Geheimdiensten diskutiert worden seien. Nawalny könnte zu einem «heiligen Opfer» gemacht worden sein.
«Du lügst, betrügst, bist bereit zu Fälschungen»
Nawalny erholt sich derweil immer noch in Deutschland von den Folgen der Vergiftung. Er reagierte harsch und nannte Naryschkin einen «Dummkopf». Auch die Beförderung seines behandelnden Arztes kritisierte er scharf: «Du lügst, betrügst, bist bereit zu Fälschungen, um deiner Führung zu gefallen – und bekommst dafür eine Beförderung.»
Die russischen Behörden gehen derweil weiter gegen Nawalnys Antikorruptionsfond vor: In Moskau marschierten letzte Woche vermummte und bewaffnete Einsatzkräfte in seine Büros und beschlagnahmten Ausrüstung.
Das dürfte mit der Schadenersatzklage zusammenhängen, die Jewgeni Prigoschin gegen Nawalny eingereicht hatte: Der enge Putin-Alliierte, der für den Kreml Internettrolle und Söldner befehligen soll, verlangt umgerechnet mehr als eine Millionen Dollar Schadenersatz von Nawalny und zwei seiner Mitarbeiter. Ein Gericht hat im Sommer entscheiden, Nawalny habe Prigoschin zu Unrecht beschuldigt, schlechtes Essen an Schulkantinen geliefert zu haben. Die Wohnung des Oppositionellen wurde schon im Sommer gepfändet, während dieser noch im Koma lag.
Der Westen hatte nach den Vergiftungen scharfe Strafmassnahmen angekündigt. Auch Prigoschin steht auf der Sanktionsliste der EU, er darf nicht mehr einreisen, Konten und Vermögen wurden gesperrt. Ansonsten ist die Sanktionsliste nach Nawalnys Vergiftung sehr bunt ausgefallen. Der Chef des Inlandgeheimdienstes steht drauf, zwei Vizeverteidigungsminister, Leute aus der Präsidialadministration. Experten zweifeln, dass unter ihnen wirklich einer der Strippenzieher des Attentats ist. Denn der Westen weiss zwar, dass Nawalny vergiftet wurde, aber offenbar kann er nur raten, wer den Befehl dazu gegeben hat.
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