Konflikt im Vereinigten KönigreichNordirland verliert seinen grossen Friedensstifter
Der Friedensnobelpreisträger John Hume, ein Koloss der irischen Politik, ist gestorben. Sein Lebenswerk ist das Karfreitagsabkommen, das den Nordirlandkonflikt beendete.
In der nordirischen Stadt Derry ist am Montag 83-jährig ein Koloss der irischen Politik gestorben. John Hume, der langjährige Führer der moderaten Katholiken der Provinz, war der einsame Vordenker, geniale Architekt und unermüdliche Promoter eines Prozesses, der den Nordiren zur Jahrhundertwende erstmals in ihrer Geschichte Frieden bescherte – nach einer Ewigkeit blutiger Konfrontation und Gewalt.
Irlands Präsident Michael D. Higgins würdigte Hume gestern als einen, der vollbracht habe, «was nur wenige für möglich gehalten hätten». Der irische Regierungschef Micheál Martin sprach von Hume als einem «grossen Helden und wahren Friedensbringer», der «durch die dunkelsten Tage» der nordirischen Troubles «die Hoffnung am Leben hielt». In der Tat schien Friede in Nordirland lange Jahre nichts als ein trotziger Traum. Die Realität bestand aus haarsträubenden Bürgerrechts-Verletzungen, wütenden Protesten der Entrechteten, Armee-Einsätzen, Terror-Aktionen, Internierung, täglichen Angriffen überall.
Vom Lehrer zum Nobelpreisträger
Hume, aufgewachsen an der Frontlinie des Konflikts, in Derrys Katholikenviertel Bogside, war in frühen Jahren als Schullehrer tätig. Er wurde zu einer der bekanntesten Stimmen der nordirischen Civil-Rights-Bewegung, die Ende der sechziger Jahre gegen den unionistisch-protestantischen Alleinherrschafts-Anspruch in der Provinz aufbegehrte. Im Unterschied zu jenen Katholiken, die sich bei den darauffolgenden Unruhen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) anschlossen, vertrat Hume freilich konsequent eine gewaltlose Politik auf dem auch von ihm erhofften Weg zu einem wiedervereinten Irland.
Er baute in Derry eine politische Basis auf, wurde Vorsitzender der neu gegründeten Sozialdemokraten (SDLP), errang einen Sitz im Parlament von Westminster und dann auch einen im Europa-Parlament. Seine Beharrlichkeit und sein wachsender Einfluss, vor allem auch in Washington, machten ihn nach und nach zu einer politischen Kraft in Irland. Freilich sollte es noch viele mühsame Anläufe brauchen, bis Hume seinen Traum letztlich verwirklicht sehen sollte: Bis 1998 das Belfaster Karfreitags-Abkommen unterzeichnet werden konnte, das beide Seiten in Nordirland in einen neuartigen Friedensprozess einband.
Er brachte die IRA zum Einlenken
Das Kunststück, das Hume fertigbrachte, war die Beteiligung der Unionisten und der Republikaner ebenso wie Londons und Dublins an dieser Übereinkunft. Die IRA erklärte sich bereit, den bewaffneten Kampf einzustellen. Die Protestanten teilten erstmals die Macht in «ihrem» Staat. Dass er es genau darauf angesehen hatte, suchte der ewige Lehrer Hume den Reportern schon viele Jahre vorher geduldig zu erklären, «das Endziel des Friedensprozesses», schärfte er damals ein, «muss schlicht Übereinkunft sein. Übereinkunft bedroht niemanden. Sie bedroht keinen Teil der Bevölkerung.»
Lange Jahre hindurch zog sich John Hume mit seinen Friedensplänen üble Bemerkungen zu. Unionisten wie Ian Paisley wollten von Verständigung nichts wissen. Und viele IRA-Leute hielten den SDLP-Chef für einen «Schwachkopf» – bis es Hume gelang, den Republikaner-Boss Gerry Adams zu geheimen Verhandlungen zu überreden und nach und nach Widerstände auf allen Seiten abzubauen. Strategisch geschickt wusste der «Friedensbringer» aus Derry US-Schwergewichte, bis hin zu Bill Clinton, für seine Pläne zu gewinnen und auf diesem Wege Druck auf London auszuüben. Auch seinen Rückhalt in Europa nutzte er. «Wenn wir nur erst damit anfangen können, das gegenseitige Misstrauen bei uns abzubauen», sagte er einmal anlässlich eines Besuchs, «dann wird sich das neue Irland entwickeln, wie sich, aus den Weltkriegstrümmern, das neue Europa entwickelt hat.» Und fügte hinzu: «Das ist meine Strategie.»
Mit dem Vertragsschluss von 1998 in Belfast erreichte Hume sein Ziel einer historischen «Übereinkunft». Ihm und seinem eher zaudernden unionistischen Gegenüber David Trimble wurde für diese Leistung noch im gleichen Jahr der Friedensnobelpreis verliehen. Die Anfangsjahre gewaltlosen Zusammenlebens in der Provinz, eines Prozesses gradueller Normalisierung, durfte Hume noch bewusst miterleben. Wenig später zwangen erste Anzeichen von Demenz ihn aus der Politik.
Für den Rest seines Lebens war der grosse Argumentator, zunehmend redeunfähig, in der Öffentlichkeit nicht mehr oft zu sehen. Mitzuverfolgen, wie sich in den letzten Jahren im Zuge des Brexit in Nordirland wieder ungute alte Fronten auftaten und beide Bevölkerungsteile wieder weiter auseinanderrückten, ist ihm zuletzt erspart geblieben. Noch hält die Basis des Nordirland-Friedens jedenfalls, was Hume sich von ihr versprach.
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