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Vor der Frankreich-Rundfahrt
Nie stellten sich vor einer Tour de France mehr Fragen

Stell dir vor, es ist Tour de France – und keiner geht hin: Zur Teampräsentation am Donnerstagabend in Nizza waren nur 1000 VIP zugelassen – von denen viele verzichteten.
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Wie ist es möglich, dass die Tour stattfinden kann?

Im Frühling, ganz am Anfang der Corona-Krise, hielt Tour-Direktor Christian Prudhomme fest: «Die Tour wurde in ihrer Geschichte einzig wegen der beiden Weltkriege nicht durchgeführt.» Damit legte er die Marschrichtung fest: Eine Tour-Absage – das schien gar nicht vorgesehen in den Überlegungen.

Im Gegensatz zu anderen Gross-Events wurde er in seiner Ansicht auch von der französischen Regierung gestützt. Die Tour ist keine einmalige Sache, sondern eine Institution des Landes und entsprechend schützenswert. Ob das auch so bliebe, wenn die Fallzahlen im Tour-Umfeld in die Höhe schnellten? Über Extremszenarien und -massnahmen schweigen sich alle Verantwortlichen aus.

Die Weltkriege vermochten sie zu stoppen, nicht aber Corona: Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs fand die Tour de France immer statt – im Bild Ferdy Kübler bei jener ersten Nachkriegsaustragung 1947.

Zudem setzte der ganze Profiradsport seine Hoffnungen in die Tour. Der Tenor war früh: Es können alle Rennen ausfallen – nur die Tour nicht. Viele Teamsponsoren bezahlen ihre Millionen, weil sie sich damit Publizität am wichtigsten Rennen des Jahres kaufen. Ohne Tour wären wohl mehrere Hauptsponsoren abgesprungen – oder wären ihren Verpflichtungen bereits in diesem Jahr nicht mehr nachgekommen.

Wie will sich die Tour vor dem Virus schützen?

Kommunikation zwischen den Welten: Video-Pressekonferenz mit Titelverteidiger Egan Bernal.

Die Lösung heisst «Team-Blasen». Jede Equipe, bestehend aus acht Fahrern und maximal 22 Betreuern, wird in den kommenden drei Rennwochen Kontakte mit Leuten von ausserhalb der eigenen Blase wenn immer möglich vermeiden. Die Fahrer werden praktisch hermetisch von der Aussenwelt abgeschottet. Ausgenommen im Rennen, doch da schätzen Virologen das Ansteckungsrisiko als gering ein.

Konkret heisst das: kein Zugang für Fans, Sponsoren und Journalisten zu den Teambussen in Start und Ziel. Abgetrennte Trakte in den Teamhotels, separate Räume für die Mahlzeiten. Dazu kamen zwei Covid-19-Tests sieben und drei Tage vor dem Rennen, weitere folgen an den beiden Ruhetagen.

Und wenn doch jemand positiv getestet wird?

Allen Vorsichtsmassnahmen zum Trotz (im Bild Richie Porte beim Ellbogengruss): Wer trotzdem positiv getestet wird, muss das Rennen verlassen.

Natürlich müssen positiv getestete Fahrer und Helfer in die Quarantäne und werden damit vom Rennen ausgeschlossen. Für Aufregung sorgte in der Woche vor dem Rennen ein zusätzlicher Passus im Tour-Regelwerk: Werden innerhalb eines Teams innert sieben Tagen zwei Fahrer positiv getestet, wird die ganze Equipe vom Rennen ausgeschlossen.

Ein Vorgeschmack, wie es in den kommenden Wochen laufen könnte, gab es schon mal am Mittwoch: Im Team Lotto-Soudal wurden zwei Helfer «nicht negativ» (ein Resultat war positiv, das zweite «verdächtig») auf Covid-19 getestet und zusammen mit ihren jeweiligen Zimmerkollegen heimgeschickt.

Was sind die grössten Gefahren?

Mit Steigerungspotenzial: Am Critérium du Dauphiné hielten sich längst nicht alle Zuschauer an die Maskenpflicht und die Abstandsregeln.

Die Fahrer fürchten sich vor falschen positiven Proben, die für sie das Aus beim wichtigsten Rennen bedeuten könnten. Die Furcht ist durchaus berechtigt, in den vergangenen Wochen gab es mehrere Fälle, bei denen ein Fahrer erst positiv getestet wurde, bei einem direkt danach ausgeführten zweiten Test aber nicht mehr. Die UCI präzisierte deshalb ihr Reglement dahingehend, dass der Rennveranstalter im Falle eines positiven Tests alles in seiner Macht Stehende tun muss, um vor dem Start der folgenden Etappe einen zweiten Test sowie eine Plasmaanalyse durchzuführen. Der Passus endet allerdings mit der Anmerkung, dass ein positiver Test zum Ausschluss reicht.

Die zweite schwierig abzuschätzende Komponente bleibt das Publikum am Strassenrand – jeder Meter Rennstrecke kann unmöglich kontrolliert werden. Deswegen herrscht an den 26 Anstiegen des Rennens ein Auto- und Wohnmobilverbot. Zuschauer können nur zu Fuss oder mit dem Velo an die Strecke gelangen. Als letzte Massnahme behält sich die Tour-Organisation vor, einzelne Pässe ganz für die Öffentlichkeit zu sperren.

Total zwei Tonnen Desinfektionsgel sollen unterwegs verteilt werden. Die Tour bittet zudem alle Fans, zwei Meter Abstand zu halten und eine Maske zu tragen. Wie das in der Praxis befolgt wird, muss sich zeigen. Am Critérium du Dauphiné, der letzten Rundfahrt vor der Tour, gab es definitiv noch Steigerungspotenzial.

Insgesamt dürfte der Renntermin ein Vorteil sein: Die Sommerferien sind in Frankreich vorbei und damit viele Fans zurück an der Arbeit. «Und es ist klar, dass Briten, Australier und Amerikaner aufgrund der Reisebeschränkungen am Streckenrand fehlen werden», so Tour-Direktor Prudhomme.

Zum Rennen: Wird das Team Ineos wie gewohnt dominieren?

Erstens: Die Briten nennen sich neu Ineos-Grenadiers, weil ihr Hauptsponsor kürzlich einen Landrover-Verschnitt mit ebendiesem Namen lanciert hat. Zweitens: Es macht den Anschein, als ob die Dominatoren (7 Gesamtsiege in 8 Jahren) heuer sich schwerer tun: Erst schwächelte Titelverteidiger Egan Bernal am Critérium du Dauphiné, dann gab er wegen Rückenschmerzen auf. Die ehemaligen Sieger Chris Froome und Geraint Thomas konnten sich nicht einmal für die Tour qualifizieren. Stattdessen fahren Giro-Sieger Richard Carapaz sowie das zweite grosse Talent im Team, Pawel Siwakow, an Bernals Seite.

Oder gibt stattdessen Jumbo-Visma den Ton an?

Sturz mit Folgen: Die Wunden von seinem Malheur am Dauphiné behinderten Topfavorit Primoz Roglic länger als erhofft. 

Primoz Roglic wird zwar weiterhin als «der ehemalige Skispringer» eingeführt. Tatsächlich ist die Referenz an seinen unüblichen Werdegang aber längst nicht mehr nötig. Vor einem Jahr gewann der Slowene die Vuelta a España. Und seit 2019 niemand so viele Etappenrennen wie er. Auch am Dauphiné fuhr er überlegen – bis zu einem Sturz in einer Abfahrt (siehe Bild). Tags darauf gab er als Gesamtführender auf und sorgt damit für Spekulationen: Hat er sich ganz davon erholt? So oder so weiss er – und nicht Bernal – das stärkste Team an seiner Seite. Auch wenn mit Steven Kruijswijk der Gesamtdritte des Vorjahres verletzt ausfällt, kann Jumbo-Visma auf jedem Terrain das Rennen bestimmen. Und hat mit Tom Dumoulin einen Edelhelfer, der selber Podestpotenzial hat.

Es gibt also ein Duell zwischen den zwei stärksten Teams?

So schaut es auf den ersten Blick aus. Aber es gibt sehr wohl Fahrer, die ebenfalls ganz vorne mitzumischen gedenken. Als Erster Thibaut Pinot, dem vor einem Jahr sogar der ganz grosse Coup zugetraut worden war, bis er wegen einer seltsamen Oberschenkelverletzung aufgeben musste.

Frankreichs Hoffnung ist in Form: Thibaut Pinot fehlte wenig zum Gesamtsieg am Dauphiné.

Dazu kommt eine ganze Reihe von Kolumbianern, die die defensive Fahrweise nicht mögen. Das Team EF Pro Cycling tritt mit einem Trio an (Rigoberto Uran, Dani Martinez, Sergio Higuita). Tour-Debütant Miguel Angel Lopez von Astana kann jeder Spitzengruppe davonfahren, wenn seine Form stimmt. Bei Nairo Quintana (Arkea-Samsic) stellt sich die Frage, ob er vollständig von der beim Training in der Heimat erlittenen Knieverletzung genesen ist. Vor dem Lockdown war er am Berg unwiderstehlich gewesen.

Erwähnt werden muss auch noch der Roglics-Landsmann Tadej Pogacar. Der 21-Jährige gewann vor einem Jahr drei Vuelta-Bergetappen.

Welche Rolle spielen die Schweizer?

Schweizer Garde für Thibaut Pinot (links): Stefan Küng (4. von links) und Sébastien Reichenbach (ganz rechts) bestreiten die Tour mit Groupama-FDJ.

Nur gerade vier wurden aufgeboten. Sébastien Reichenbach und Stefan Küng treten mit dem klaren Auftrag an, Pinot auf dem Weg zum Tour-Sieg bestmöglich zu unterstützen. Reichenbach in den Bergen, wo er im rot-weissen Trikot einfach auszumachen sein wird: Wegen der abgesagten Schweizer Meisterschaften darf er das Meistertrikot eine weitere Saison tragen. Küng soll Pinot auf den Flachetappen behüten, für eigene Ambitionen ist da kaum Platz – zumal das einzige Zeitfahren steil bergauf führt.

Michael Schär steht vor spannenden drei Wochen: Der Helfer von Greg Van Avermaet erhält laut eigenen Aussagen mehr Freiheiten und wird sein Glück in Fluchtgruppen suchen. Das gilt auch für Tour-Debütant Marc Hirschi. Der 22-jährige Berner ist der viertjüngste Fahrer im Tour-Peloton, will sich aber nicht mit Staunen und Mitrollen begnügen. Im Team Sunweb erhält der U-23-Weltmeister von 2018 viele Freiheiten und wird ebenfalls versuchen, in Fluchtgruppen einen Exploit zu landen.

Wie lässt sich der Parcours charakterisieren?

Kurz: sehr schwer und unberechenbar. Genau das war die Idee der Organisation. Ihr geht es nicht darum, das Rennen so offen wie möglich zu halten. Vor einem Jahr glückte das schon perfekt, was aber vor allem an Julian Alaphilippe lag, der zweieinhalb Wochen als Leader durchs Land zu schweben schien, ehe ihm die Kräfte doch noch ausgingen. Der Parcours mit 26 Anstiegen soll den Topteams die Rennkontrolle erschweren, auf dass andere ihre Chancen wahrnehmen können. Die berühmtesten Tour-Anstiege wie Alpe d’Huez oder Col du Tourmalet gehören heuer nicht zum Programm. Dafür weniger bekannte Perlen. So etwa der Port de Balès in den Pyrenäen oder der Tour-Debütant Col de la Loze, der über eine exklusiv für Radsportler gebaute, steile und unregelmässige Velopiste führt.

Überdies gibt es nur ein Einzelzeitfahren, kein flaches, sondern am vorletzten Tag hoch nach La Planche des Belles Filles. Im französischen Traumszenario würde Thibaut Pinot dort, auf seinen Heimstrassen, ins Maillot jaune klettern.

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