Volksinititative und MotionIndividualbesteuerung – wie es diesmal klappen soll
Steuern zahlen unabhängig von Zivilstand? Die Fiskalreform fördert die Gleichstellung, doch sie geht nur schleppend voran. Jetzt machen FDP-Frauen und Links-Grün Druck.
Jede Person soll individuell besteuert werden, unabhängig von ihrem Zivilstand, ihrer Beziehungs- oder Wohnform. Diesen Willen hat der Nationalrat am Montag erneut bekräftigt, indem er eine Motion von Christa Markwalder (FDP) mit 110 zu 76 Stimmen überwiesen hat.
Die Individualbesteuerung steht bei jenen, die Gleichstellung von Mann und Frau vorantreiben wollen, ganz zuoberst auf der Agenda, allen voran bei SP, Grünen, Grünliberalen und der FDP. Nachdem das Bundesgericht im März seine Scheidungs-Rechtsprechung erneuert und die Pflicht der Ex-Gatten zur Eigenversorgung stärker hervorgehoben hat, fordern Parlamentarierinnen eine Anpassung der gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Individualbesteuerung, bessere und günstigere Kinderbetreuungsangebote sowie eine Elternzeit seien die wichtigsten Pfeiler einer zukunftsträchtigen Gleichstellungspolitik, sagte GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy. Und die Individualbesteuerung ist die Forderung mit den aktuell besten Realisierungschancen.
«Dass die Individualbesteuerung noch nicht umgesetzt ist, ist für mich etwas vom Unerklärlichsten.»
Das Parlament hat sich schon mehrmals für einen Systemwechsel hin zur Individualbesteuerung ausgesprochen, zuletzt mit den heute geltenden Legislaturzielen, in denen das Anliegen als Auftrag an den Bundesrat formuliert ist. Dennoch harrt die Individualbesteuerung der Umsetzung. Der Bundesrat ist dagegen, die Reformbemühungen in der Verwaltung gehen langsam voran.
Deshalb sei es richtig, an allen Fronten Druck aufzusetzen, sagt FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher, die Anfang März eine Volksinitiative zur Einführung der Individualbesteuerung lanciert hat. In den ersten drei Monaten kamen rund 20’000 Unterschriften zusammen, trotz Corona-bedingtem Versammlungsverbot. «Das ist sehr ermutigend», sagt die Anwältin aus dem Kanton St. Gallen. Sie bekomme auch fast ausschliesslich positive Reaktionen, aus allen politischen Lagern.
Mitte-Nationalrat Martin Landolt ist ebenfalls der Ansicht, dass es mehr Druck brauche. Warum die Individualbesteuerung noch nicht umgesetzt ist, ist für ihn «etwas vom Unerklärlichsten überhaupt». Es seien konservative gesellschafts- und finanzpolitische Kräfte in der Verwaltung, die sich dagegenstemmten, sagt er. Doch wenn man für Frauen und Männer endlich gleich lange Spiesse im Erwerbsleben schaffen wolle, dann sei diese Reform ein dringendes Gebot. Landolt ist Mitglied des Initiativkomitees für die Individualbesteuerung, neben illustren Mitgliedern wie Alt-Bundesrätin Ruth Metzler und Unternehmerin Carolina Müller-Möhl.
Zehntausende zusätzliche Stellen
Die Erwerbsquote der Schweizer Frauen ist im internationalen Schnitt hoch – doch das Erwerbsvolumen, die Summe der geleisteten Arbeitsstunden, ist klein. Gründe dafür sind das System der gemeinsamen Ehegatten-Besteuerung und die Progression, die das Zweiteinkommen stark besteuert. Das Zweiteinkommen indessen, das kleinere, ist in 90 Prozent der Fälle jenes der Frau. Laut OECD hängt die hohe Teilzeitquote in der Schweiz stark mit dem Steuersystem zusammen.
Wie viele Personen mit der Individualbesteuerung zusätzlich erwerbstätig wären oder ihr Pensum aufstocken würden, darüber gibt es unterschiedliche Berechnungen. Laut einer BFS-Studie von 2016 gaben eine Viertelmillion Frauen an, dass sie unfreiwillig unterbeschäftigt seien, also bei anderen Anreizen mehr arbeiten würden. Das eidgenössische Finanzdepartement hat vor einigen Jahren errechnet, dass bei einer Umstellung auf die Individualbesteuerung bis zu 50’000 neue Vollzeitstellen geschaffen werden könnten. Andere Studien gehen von bis zu 60’000 Vollzeit-Äquivalenten aus. Das Inland-Potenzial an Fachkräften könnte besser genutzt werden – einer der Gründe, warum auch der Arbeitgeberverband die Individualbesteuerung unterstützt.
Gegner des Anliegens sind die SVP und eine Mehrheit der Mitte-Partei. Sie wollen die Heiratsstrafe ebenfalls abschaffen, aber nicht mit einem Modell, das den Anreiz für die Hausarbeit schmälert.
Verwaltung prüft Modelle
GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy versteht nicht, warum das Parlament dem Bundesrat zum wiederholten Mal den Auftrag erteilen soll, die Individualbesteuerung einzuführen. «Das kommt einer Beschäftigungstherapie gleich.» Der Auftrag sei längstens formuliert.
Dass es so lange dauere, habe womöglich auch damit zu tun, dass es widersprüchliche Signale aus dem Parlament gebe, sagt die Bernerin. So wurden gleichzeitig Vorstösse für Splitting-Modelle oder alternative Methoden überwiesen, die die Individualbesteuerung ausschliessen.
Mittlerweile arbeitet die Verwaltung immerhin an einer Auslegeordnung, im Herbst soll sie dem Parlament vorgelegt werden, wie Finanzminister Ueli Maurer (SVP) am Montagabend im Rat sagte. Die Auslegeordnung beinhaltet neben der Individualbesteuerung weitere alternative Steuermodelle, welche das Parlament verlangt hatte. «Dann können Sie diese Frage klären», sagte Maurer. Gleichzeitig empfahl er die Motion zur Ablehnung, weil die Verwaltung schon an dem Thema dran sei.
Motionärin Christa Markwalder versteht die ablehnende Haltung des Bundesrats nicht. «Das braucht schon ein wenig Mut, angesichts von 103 Mitunterzeichnenden aus fast allen Fraktionen.» Der Bundesrat hätte den Vorstoss mit demselben Argument, dass er dieses Anliegen umsetze, auch zur Annahme empfehlen können, sagt sie. Der Nationalrat war dann offenbar derselben Meinung, er überwies die Motion diesmal nicht mehr nur knapp, wie in der Vergangenheit, sondern mit einer Zweidrittelsmehr deutlich.
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