Rätselhafte Flucht aus US-GefängnisWanted: Häftling und Wärterin
Ein Gefängnisinsasse aus Alabama verschwindet während der Fahrt zu einem Psychiater. Und mit ihm die Justizbeamtin, die ihn dorthin begleiten wollte.
Am vergangenen Freitag wurde um 11 Uhr Ortszeit der Dienstwagen der Justizbeamtin Vicki W. ausfindig gemacht. Er stand auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in Lauderdale County im US-amerikanischen Bundesstaat Alabama. Von der stellvertretenden Leiterin der Strafvollzugsbehörde des Lauderdale County Sheriff's Office fehlte jede Spur. Und auch Casey W. war verschwunden, der Häftling, den sie anderthalb Stunden zuvor aus seiner Zelle im Lauderdale County Jail abgeholt hatte.
Einige Stunden nach der Entdeckung des leeren Fahrzeugs schrieben die Behörden im Südosten der Vereinigten Staaten die 53-jährige Beamtin und den 38-jährigen Gewaltverbrecher, die trotz des gemeinsamen Nachnamens weder verwandt noch verschwägert sind, zur Fahndung aus. Nun stellt sich die Frage: Hat der 1,90 Meter grosse Häftling Vicki W. überwältigt und entführt – oder hat sie ihm womöglich bei der Flucht geholfen, entweder unter Zwang oder freiwillig?
Ein Psychiater-Termin, den es gar nicht gab
Der örtliche Sheriff Rick Singleton erklärte laut dem US-Nachrichtensender CNN, Casey W. habe «nichts zu verlieren». Was Vicki W. angehe, so wisse man nicht, ob sie ihm geholfen habe oder nicht: «Und wir werden uns damit auch erst befassen, wenn wir den unumstösslichen Beweis haben, dass das passiert ist. Wir gehen zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass sie gegen ihren Willen entführt wurde, bis wir das Gegenteil beweisen können.» Es gebe «absolut» die Möglichkeit, dass die beiden eine Beziehung hätten, sicher sei dies aber nicht. Alle Kolleginnen und Kollegen, alle Angestellten im Sheriff-Büro und Richter hätten jedenfalls stets «den allergrössten Respekt vor ihr» gehabt.
Klar ist bisher nur, dass Vicki W. den Häftling um 9.30 Uhr am Freitagmorgen abgeholt hatte – angeblich, um ihn zu einer psychiatrischen Untersuchung ins Bezirksgericht zu bringen. Die beiden kamen jedoch nie im Gerichtsgebäude an, und die Behörden stellten später fest, dass für Casey W. an diesem Tag gar keine Untersuchung oder Anhörung angesetzt war.
Vicki W. hatte zudem gesagt, sie fühle sich nicht wohl und werde einen Arzt aufsuchen, nachdem sie Casey W. abgeliefert habe. Doch in der Praxis ihres Hausarztes wusste man davon nichts. Am Freitagnachmittag versuchten besorgte Beamte des Gefängnisses, Vicki W., die verwitwet und kinderlos ist, zu kontaktieren. Ihr Telefon leitete jedoch alle Anrufe direkt an die Mailbox weiter. Kurz darauf stellte sich dann heraus, dass Casey W. nie ins Gefängnis zurückgebracht worden war.
Casey W. verbüsst eine 75-jährige Haftstrafe für eine Reihe von Verbrechen im Jahr 2015, darunter Einbruch, Autodiebstahl und eine Verfolgungsjagd mit der Polizei. Zudem war er in zwei Fällen des schweren Mordes angeklagt. Laut Sheriff Singleton hatte Casey W. bereits im Jahr 2020 eine Flucht aus dem Gefängnis samt Geiselnahme geplant. Dies sei damals aber von Gefängnisbeamten vereitelt worden.
Wärterin verschwand an ihrem letzten Arbeitstag
Nach dem damaligen Ausbruchsversuch war eine Regel eingeführt worden, wonach Casey W. bei Transporten stets von zwei vereidigten Beamten begleitet werden musste. Diese Vorschrift kannte Vicki W., die in der vergangenen Woche nach 20 Dienstjahren bei der Behörde einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand eingereicht hatte – der Tag, an dem sie verschwand, war ihr letzter Arbeitstag. Etwa einen Monat zuvor hatte sie ihr Haus verkauft.
Indem sie den Häftling allein und auf eigene Faust aus der Haftanstalt holte, verstiess sie wissentlich gegen Haftvorschriften. Vicky W.habe ihre Kollegen überzeugt, dass sie die einzige verfügbare Beamtin mit Schusswaffenlizenz sei, um den fast zwei Meter grossen und 118 Kilogramm schweren Häftling zum Gericht zu bringen, sagte Sheriff Singleton.
Da die Beamtin mit einer Neun-Millimeter-Handfeuerwaffe ausgerüstet war, als die beiden verschwanden, gehen die Behörden davon aus, dass Casey W. nun bewaffnet ist. Daher sei seine Begleiterin wahrscheinlich in Gefahr, unabhängig von den genauen Umständen ihres Verschwindens. Der US Marshals Service, der direkt dem Justizministerium unterstellt ist, hat sich der Suche nach den beiden angeschlossen. Für Informationen, die zur Ergreifung Casey W. und der Feststellung des Aufenthaltsorts von Vicki W. führen, ist eine Belohnung von bis zu 10'000 Dollar ausgesetzt.
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