Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Leser fragen Peter Schneider
Muss man seinen Kindern ein Vorbild sein?

Den «perfekten Menschen» vorspielen? Vater mit Kind beim Abwaschen.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Muss man seinen Kindern in allem ein gutes Vorbild sein? Und sollte man dafür seinen Kindern nötigenfalls einen perfekten Menschen vorspielen? Zum Beispiel den Konsum von viel Süssigkeiten, eine Neigung zur Prokrastination oder unverhältnismässigen Ärger über andere Menschen verheimlichen? Oder sollte man sie jeweils besser auf die einem ja oft bewussten möglichen Folgen schlechter Angewohnheiten (auch und erst recht für einen selbst) hinweisen, gewissermassen als Vorbild durch schlechtes Beispiel dienen? Natürlich könnte man generell auf solches Verhalten verzichten. Aber gehen Sie bitte einmal davon aus, dass dies nicht in jedem Fall gelingt. I.W.

Lieber Herr W.

Seinen Kindern ein Vorbild zu sein, ist wohl ein Teil dessen, was man allgemein unter «Erziehung» versteht. Mit der Erziehung ist es aber so eine Sache: Sie ist eine recht schwammige Tätigkeit, und kaum jemals wird man am Abend erschöpft sagen: Mein Gott, was habe ich aber heute wieder viel erzogen. Erziehung ergibt sich vielmehr aus dem Zusammenleben mit den Kindern, und dazu gehört auch das Zusammenspiel zwischen den Wünschen und Marotten und Möglichkeiten der Eltern einerseits und den Wünschen, Möglichkeiten und Marotten der Kinder andererseits. Erziehen ist keine Tätigkeit, die Ursachen setzt, die kausal etwas bei den Kindern bewirkt.

Das gilt ebenso für das Vorbildsein. Es ist keineswegs so, dass alle rauchenden Eltern ihre Kinder dadurch, dass sie ihnen ein schlechtes Vorbild sind, zu Raucher*innen erziehen. Manchmal werden daraus auch begeisterte Nikotinabstinenzler, weil sie den Qualm zu Hause furchtbar fanden. Und manchmal wird man mit Dingen zum Vorbild, bei denen man gar nicht damit gerechnet hätte.

Es ist schön, wenn Eltern keine Arschlöcher sind und wenn sie sich Mühe geben, höflich, freundlich und gerecht zu sein.

Mein erwachsener Sohn hat mir vor kurzem beim gemeinsamen Kochen erzählt, er hätte es als Kind schon cool gefunden, wie ich einhändig Eier aufschlagen kann. Das hat mich sehr gerührt – aber es zeigt auch, wie unvorhersehbar die Vorbildfunktion sein kann.

Langer Rede kurzer Sinn: Es ist schön, wenn Eltern keine Arschlöcher sind und wenn sie sich Mühe geben, höflich, freundlich und gerecht zu sein (den Kindern und anderen Menschen gegenüber). Aber das sind ja sehr allgemeine Einstellungen, die – hoffentlich – zum Vorbild werden, gerade weil sie einem – hoffentlich – zur zweiten Natur geworden sind und die Kinder sie als Selbstverständlichkeiten ihrer familiären Umgebung wahrnehmen. Aber das langt auch schon. Eltern müssen keine Tugendbolde sein. Ausserdem kann man durchaus auch von einer Zehnjährigen verlangen, spätestens um neun im Bett zu sein und keinen Alkohol zu trinken, ohne vorbildlich ebenfalls um diese Zeit stocknüchtern schon ins Bett gehen zu müssen, um glaubhaft zu sein.

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch