Kommunikation und WissenschaftMorddrohungen gegen Corona-Experten
Eine Umfrage zeigt, wie oft Forschende, die sich öffentlich äussern, bedroht und beschimpft werden. Die Pandemie wirkt für Hassrede offenbar wie ein Brennglas.
Todesdrohungen, Androhung von Gewalt und Beleidigungen haben viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfahren, die sich in den vergangenen Monaten öffentlich irgendwie zum Pandemiegeschehen geäussert haben. Bislang waren solche Ungeheuerlichkeiten lediglich aus anekdotischen Berichten bekannt.
Jetzt lässt erstmals eine internationale Umfrage des Wissenschaftsjournals «Nature» das Ausmass der Attacken erahnen. 321 Forschende, die meisten aus Grossbritannien, Deutschland und den USA, beantworteten den Fragenkatalog. 15 Prozent von ihnen hatten Morddrohungen bekommen, über die Androhung von Gewalt berichteten 22 Prozent der Befragten. 80 Prozent erlebten in sozialen Medien persönliche Angriffe und die versuchte Herabsetzung ihrer Glaubwürdigkeit.
Die Umfrage genügt zwar keinen wissenschaftlichen Standards und die Datenbasis müsse mit grosser Vorsicht interpretiert werden, sagen Expertinnen und Experten, doch «es wird deutlich, dass ein beträchtlicher Teil von Forscherinnen und Forschern, die während der Covid-19-Pandemie öffentlich auftraten, beleidigt, beschimpft oder gar bedroht wurden», sagt Mike Schäfer, Leiter des Kompetenzzentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung an der Universität Zürich. «Das ist schon für sich genommen ein unerträglicher Zustand, schliesslich werden viele der Kolleginnen und Kollegen damit zu kämpfen haben.»
Folgen für Wissenschaft und Gesellschaft
Bereits vor der Pandemie habe der öffentliche Diskurs unter Hassrede gelitten, sagt Konstanze Marx, Lehrstuhlinhaberin für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Greifswald. «Alle in dem Artikel erwähnten Erfahrungen sind so bereits in anderen Zusammenhängen dokumentiert. Die Pandemie wirkte jedoch wie ein doppeltes Brennglas. Alle Dynamiken, die wir in der Forschung bereits beschrieben hatten, traten nun in hoher Konzentration und Blitzgeschwindigkeit zutage.»
Mike Schäfer glaubt, dass die während der Pandemie eskalierte Situation auch Folgen für die weitere Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft haben wird. Viele Forschende fänden es zwar grundsätzlich wichtig, sich in gesellschaftliche Debatten einzubringen, doch wenige täten dies tatsächlich. Das werde sich verstärken. «Viele wollen sich diesen Beschimpfungen nicht aussetzen. Und viele fühlen sich auch – in vielen Fällen zu Recht – in solchen Situationen alleingelassen.» Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in der Öffentlichkeit angegangen werden, sollten deshalb unterstützt werden – «emotional, sozial, notfalls sogar juristisch», sagt Schäfer.
Die Prozentwerte der Studie mit Zurückhaltung interpretieren
Michael Brüggemann, Professor für Kommunikationswissenschaft, Klima- und Wissenschaftskommunikation an der Universität Hamburg, weist auf einige Schwächen der «Nature»-Arbeit hin. «So wissen wir zum Beispiel nichts über die Antwortrate in den verschiedenen Ländern.» Daher müssten die Prozentwerte in der Befragung mit grösster Zurückhaltung interpretiert werden. Klar sei, dass es ein Problem mit Aggression gegenüber Forschenden gibt. «Aber offen ist: Wie weit verbreitet ist diese Aggression wirklich und in welchen Ländern und Randbedingungen trat sie auf?» Niemand solle sich durch diese Studie entmutigt fühlen, sich gegenüber Journalistinnen und Journalisten oder in sozialen Medien zu äussern. «Nur müssen wir in einer polarisierten Debatte auf sozialen Netzwerken auch mit unsachlichen und überzogenen Reaktionen rechnen», sagt Brüggemann.
Wichtig wäre ein Signal der Regierung, sagt Susan Michie, Professorin für Gesundheitspsychologie am University College London. Etwa eine offizielle «Null-Toleranz-Strategie» gegenüber Drohungen und Beleidigungen von Forschenden, die sich in den öffentlichen Diskurs einbringen.
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