Festivalguide für SparfüchseSo günstig kann ein Tag (und eine Nacht) am Montreux Jazz Festival sein
An Schweizer Festivals kann man viel Geld liegen lassen. Wir verraten Ihnen, wie man es anders macht, am Beispiel Montreux.
Am Montreux Jazz Festival kann man ausgerüstet mit genug Batzen sein eigenes kleines Schiff oder eine Limousine mit Chauffeur mieten. Wir waren vor Ort und haben all dem Luxus zum Trotz versucht, so wenig Geld wie möglich auszugeben. Das sind unsere Tipps, wie Sie Ihren Festivalbesuch günstig gestalten.
Entdeckungstour entlang des Lac Léman
Um vier Uhr bei strahlendem Sonnenschein fühlt sich Montreux an diesem Nachmittag nach Ferien an der Côte d’Azur an. Weil die Menschen, gemessen an Deutschschweizer Massstäben, überaus entspannt unterwegs sind, ist die Masse auch für empfindliche Gemüter aushaltbar. Die Besuchenden des geschichtsträchtigen Festivals sind so vielschichtig wie sein musikalisches Programm: Grosis schieben ihre Enkel im Kinderwagen, verliebte Paare füttern sich gegenseitig mit Glace und Jugendliche blasen fruchtige Rauchschwaden in die Luft.
Das Montreux Jazz Festival ist vermutlich das einzige Festival, auf dem ich mich mit meinem nicht existenten Orientierungssinn immer auf Anhieb zurechtfinde. Einfach der Nase lang, das kann sogar ich. Für einen kurzen Moment bin ich etwas irritiert, weil vorne am See dieses Jahr die Seebühne steht, da das Auditorium Stravinski sich zurzeit im Umbau befindet. Weil aber alles sehr verständlich beschildert ist und ich bequem den Massen folgen kann, löst sich meine Verwirrung schnell von selbst.
Ich habe Lust auf etwas Süsses und hole mir eine Waffel. Mit 8 Franken war diese zugegebenermassen alles andere als budgetfreundlich, aber mein Verlangen nach Zimt und Zucker war zu stark, um dagegenzuhalten.
Mit besagter Waffel in der Hand setze ich mich in eine Wiese und lausche dem Konzert eines Strassenmusikers, der mit einer Coverversion eines bekannten Songs von Adele und seinem schmachtenden Blick die Herzen der anwesenden Zuschauerinnen zum Schmelzen bringt. Ein kleines Stück weiter vorne befindet sich die Bühne von Super Bock, die für alle frei zugänglich ist. Am Nachmittag verhält sich die davorstehende Menge noch etwas scheu, als später am Abend das Konkolo Orchestra auftritt, gibt es aber kein Halten mehr.
Entlang des Sees gibt es unzählige Pop-up-Locations, darunter beispielsweise das Ipanema, eine von Ibis gesponserte Terrasse Ibis Music, die Terrasse von Nestlé oder das Li Lo. Die Gratislokale laden die Besuchenden dazu ein, bei Musik und einem Getränk die Aussicht auf den See und die Berge zu geniessen. An den meisten Orten geht um 17 Uhr ein kuratiertes Programm mit DJs und Bands los.
Ebenfalls sehenswert ist das sogenannte Lake House, das sich über drei Stockwerke erstreckt. Im Erdgeschoss befindet sich das Memphis: ein grosser, abgedunkelter Raum mit rotem Teppich, runden Tischen und einer Bar. Hier finden in passendem Ambiente Jazzkonzerte und Workshops statt, die alle kostenlos zugänglich sind. Spätabends steigen im Memphis dann auch die berühmt-berüchtigten Jam-Sessions des Festivals.
Einen Stock weiter oben befinden sich Le Cinéma und La Bibliothèque. Im kleinen Kinosaal werden Spiel- und Dokumentarfilme, aber auch Aufnahmen von vergangenen Konzerten am MJF gratis vorgeführt.
In der Bibliothek gibt es diverse Bücher über Jazz und andere Genres. Weiter oben ist es dann vorbei mit der Ruhe: Im La Coupole spielen die DJs den Sound, den man in der Clubszene oftmals vermisst: Disco und Funk. Um 18 Uhr bin ich aber noch die Einzige, die sich auf den Dancefloor des Coupole verirrt hat. Draussen auf der Terrasse werden in der Sonne ein paar Drinks geschlürft, tanzen will allem Anschein nach noch niemand.
Ich beschliesse, die dreissig Grad Celsius, die draussen herrschen, voll auszukosten, und mache mich deshalb entlang des Sees auf die Suche nach einem geeigneten Plätzchen, um die Füsse ins Wasser zu strecken. Obwohl alle paar Meter darauf hingewiesen wird, dass das Baden im See verboten ist, sind die flachen Steine direkt am Wasser gut belegt. Kurz die Füsse abkühlen wird ja aber wohl erlaubt sein, denke ich mir. Bei dieser Gelegenheit rechne ich meine bisherigen Ausgaben zusammen und staune, denn: Diese betragen erst 8 Franken.
Musik ist überall
Gegen 19 Uhr füllt sich die Seepromenade stärker, und die Musik wird lauter. Es folgt der einzige theoretisch kostenpflichtige Punkt auf meinem Programm, den ich als akkreditierte Journalistin gratis besuchen darf: ein Konzert der britischen Sängerin Mahalia. Dieses Traktandum lässt sich aber problemlos mit einem der unzähligen Gratiskonzerte substituieren, keine Sorge.
Vor einem Konzert sei etwas Alkoholisches angebracht, finde ich. Um mir die 15 Franken für einen Aperol am Festival zu sparen, mache ich einen kurzen Spaziergang durch die Stadt und kaufe mir für 5 Franken einen Alcopop und für weitere 2 Franken eine grosse Flasche Wasser in der Épicerie Lina direkt neben dem Bahnhof.
Auf meinem Weg zum Casino komme ich kurz vor acht Uhr an der Seebühne vorbei, wo wenig später die Konzerte der Hard-Rock-Legenden Deep Purple und Alice Cooper stattfinden werden. Wer sich kein Ticket leisten konnte oder zu spät war, um noch eines zu ergattern, hört heute einfach von der Strasse aus zu. Neben der Absperrung zur Seebühne sammeln sich die Fans und stimmen sich ein für den Auftritt ihrer Idole. Die Füchse, die zudem auch noch einen Blick auf Deep Purple und Alice Cooper erhaschen wollen, sind auf die Fassade des angrenzenden Einkaufszentrums geklettert.
Tanzen bis zum Umfallen
Nach dem Konzert von Mahalia im Casino, beziehungsweise schon währenddessen, setzt der Hunger ein. Bei so einer grossen Auswahl fällt es mir schwer, mich zwischen Momos, Burger, Poke-Bowl und Raclette zu entscheiden. Ich folge meiner Nase und lande bei einem Taco-Stand, wo ich für 17 Franken einen Teller mit drei Tacos bestelle, die meinen Hunger gut und lange stillen. Es ist inzwischen fast 23 Uhr und die Strassen so belebt wie sonst das ganze Jahr nicht im überschaubaren Montreux.
Vor den Clubs stehen die Leute Schlange, überall wird gelacht, getanzt und getrunken – so wie es sich für ein Festival halt gehört. Für die Clubs in Montreux muss man zwar anstehen, wie auch in der Zürcher Langstrasse – den Eintritt von 30 Franken kann man sich aber sparen, da alle fünf Lokale mit DJs gratis sind.
Wer so viel spart, darf sich ohne schlechtes Gewissen einen Snack gönnen. Ich entscheide mich für eine «normale» Portion Churros für 18 Franken. Vielleicht hätte ich es mir beim Preis schon denken können, aber normal ist in Anbetracht der etwa 20 Churros in meiner Hand eine wahnwitzige Untertreibung. Zum Glück fand ich zwei dankbare Abnehmerinnen für mein übrig gebliebenes Dessert.
Vor lauter Zucker und getrieben vom Bass, der aus den Clubs wummert, steht mir der Sinn irgendwann nur noch nach einem: Tanzen. Es zieht mich ganz intuitiv ins El Mundo: Hier wird zu lateinamerikanischen Songs gedreht, gesprungen und geschüttelt, bis man ausser Atem ist.
Weil die Clubs von Sonntag bis Mittwoch bereits um zwei statt um fünf Uhr schliessen, besuche ich die einzige Ausnahme dieser Regel etwas widerwillig dann doch nochmals: La Coupole. Um diese Uhrzeit geht es auf der Tanzfläche des Clubs im oberen Stock des Lake House zu und her, wie man es als Minderjährige erträumt und ersehnt hat: Alle sind absorbiert von der Musik und werden eins mit ihr.
Übernachtung
Es gibt verschiedene Optionen, sich für möglichst wenig Geld die Nacht um die Ohren zu schlagen. Einige davon sind erholsamer als andere, die Wahl ist Ihnen überlassen. Die erste und sicherlich günstigste Variante ist, die Nacht durchzumachen und am Morgen auf den ersten Zug zu gehen – mein persönlicher Favorit. So können Sie während der relativ langen Fahrt schlafen und bekommen zum Preis eines SBB-Billetts nicht nur die Fahrt, sondern quasi auch noch gleich die Übernachtung.
Der erste Zug von Montreux nach Zürich fährt um 5.12 Uhr und kostet nochmals 84 Franken. Wer mit diesem Zug bis nach Lausanne fährt, kommt von dort aus auch nach Bern, Basel, Luzern oder St. Gallen.
Wenn Ihnen beim Lesen dieser Zeilen bereits die Füsse schmerzen ab der Vorstellung, die ganze Nacht unterwegs zu sein, können Sie sich selbstverständlich auch eine Übernachtung leisten. Die Preise dafür variieren und sind abhängig vom Datum der Übernachtung und davon, wie weit im Voraus gebucht wird.
Am wenigsten kostet es in einer Jugendherberge: Ab 95 Franken kann man beispielsweise im Montreux Youth Hostel in einem 6-Bett-Zimmer inklusive Frühstück nächtigen.
Wer einem kleinen Spaziergang nicht abgeneigt ist, für den wäre das Hôtel de Chailly, zwei Kilometer vom Zentrum entfernt, vielleicht etwas. Hier kann man ab 164 Franken ein Einzelzimmer buchen.
Ab einem Preis von 184 Franken kann man kurzfristig auch in das zentral gelegene Hotel Bon Port.
Wer sich kurz Zeit nimmt, um die gängigen Buchungsplattformen zu durchstöbern, wird in seiner Preisklasse gerade unter der Woche auch kurzfristig noch fündig. Es lohnt sich ausserdem, die Hotels in den angrenzenden Dörfern oder auch dem (je nach Verbindung) 20 bis 30 Minuten entfernten Lausanne anzusehen.
Es gibt auch unkonventionellere Methoden, die Nacht in Montreux zu überstehen. Ich war dieses Jahr zum fünften Mal am Montreux Jazz Festival und musste aufgrund meines Studiums jedes Mal mit wenig Geld und umso mehr Kreativität auskommen. Einmal haben wir zu viert im SUV übernachtet, in dem wir angereist sind – dies ist bezüglich Komfort nicht empfehlenswert, aber äusserst günstig. Ein anderes Mal haben wir eine Gruppe Leute aus einem benachbarten Dorf kennen gelernt, die uns auf ihrem Sofa schlafen liess. Und natürlich haben wir auch einfach schon die Nacht durchgetanzt. Was diesen Nächten an Bequemlichkeit fehlte, machte das Abenteuer wieder wett.
Reise nach Montreux
Die Anreise mit dem Zug ist mit Abstand der teuerste Kostenpunkt. Für den Weg nach Montreux bezahlte ich nichts, weil ich treue Besitzerin eines Generalabonnements bin. Weil wir jedoch davon ausgehen, dass nicht alle einfach in den Zug sitzen können, berechnen wir für die Strecke von Zürich nach Montreux, ohne Halbtax oder andere Vergünstigungen, 84 Franken für die 2. Klasse. Ab Lausanne lohnt sich eventuell ein 1.-Klasse-Upgrade für jene, die auf keinen Fall stehen möchten – ab da war der Zug nämlich rappelvoll. Wenn man bereits früh genug weiss, wann man anreisen möchte, kann man ausserdem im Voraus ein Sparticket kaufen und sich so nochmals ein paar Franken sparen.
Als Alternative böte sich auch die Fahrt mit dem Auto an. Die lohnt sich vor allem dann, wenn Sie alle Sitzplätze füllen und sich den Tank und das (rare) Parking in Montreux aufteilen können. Je nachdem, wie viel Benzin das Auto verbraucht, kommen Sie mit dieser Option als Gruppe günstiger weg.
Fazit
Alles in allem habe ich für einen Tag und eine Nacht am Montreux Jazz Festival insgesamt genau 50 Franken für Essen und Trinken ausgegeben. Für die Musik und die Atmosphäre hingegen gar nichts. Die Hin- und Rückreise musste ich aufgrund meines GA nicht bezahlen und eine Übernachtung auch nicht, da ich im ersten Zug am Morgen meinen Schlaf nachholen konnte.
Wenn ich zu den 50 Franken noch die Hin- und Rückreise nach Zürich für gesamthaft 168 Franken hinzurechne, hätte ich für mein Montreux-Erlebnis insgesamt 218 Franken bezahlt. Und das bei einem Angebot von über 500 Gratis-Aktivitäten, das es so an keinem anderen Festival der Schweiz gibt.
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