Übergriffe in der KircheSchweizer Bischöfe erhalten Brief vom Papst
Die katholische Kirche ermittelt gegen sechs Schweizer Bischöfe. Einige von ihnen haben nun einen Brief aus dem Vatikan bekommen.
Ein Jugendlicher schreibt dem Papst persönlich einen Brief und berichtet ihm, wie er beim Klavierunterricht einen sexuellen Übergriff erlebte. Der 72-jährige Abt von Saint-Maurice im Kanton Wallis, Jean Scarcella, habe ihm den Takt mit der Hand auf dem Oberschenkel vorgegeben. Doch die Staatsanwaltschaft Wallis stellt das Verfahren gegen Scarcella ein – wegen Verjährung. Sie appelliert aber an die «Verantwortung der Kirche».
Trotzdem musste Scarcella letztes Jahr nach öffentlichem Druck die Klostergeschäfte abgeben, zumindest interimistisch. Nun sind die Ergebnisse der kanonischen Voruntersuchung da. Doch die Bischofskonferenz gibt sich wortkarg. In ihrer Medienmitteilung vom Freitag schreibt sie nur, dass «einige der betroffenen Bischöfe» eine persönliche Antwort des Papstes erhalten hätten. Was darin steht? Das müsse man bei den Bischöfen selbst erfahren, heisst es gegenüber dieser Redaktion.
Wer dort anruft, erhält allerdings eine Abwesenheitsmeldung. Sowohl Abt Scarcella als auch der Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey, sind untergetaucht am Tag der Veröffentlichung. Ebenso der Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, Charles Morerod. Sie alle sollen gemäss der Bischofskonferenz einen Brief erhalten haben. Was darin steht, wissen zurzeit nur sie selbst.
Keine kanonischen Strafverfahren
Was bekannt ist: Auf kanonische Strafverfahren wird verzichtet, wie die Schweizer Bischofskonferenz am Freitag mitteilt.
«Es wurden Fehler, Versäumnisse und Unterlassungen im Bereich der kanonischen Verfahrensnormen festgestellt, was die Bischöfe zutiefst bedauern», fasst die Schweizer Bischofskonferenz die Antwort des Dikasteriums, einer Art Schiedsstelle im Vatikan, für die Medien zusammen. Es habe sich nicht um Fehlverhalten gehandelt, die heute die Eröffnung eines kircheninternen Strafverfahrens erfordern würden.
Eine interne Quelle, die anonym bleiben möchte, spricht von einem «Schlag ins Gesicht der Opfer». Sie sei «sehr schockiert», weil die Verantwortlichen von «Formfehlern» sprechen, statt um Vergebung zu bitten.
Im Juni 2023 hatte das Dikasterium den Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain beauftragt, eine kanonische Voruntersuchung durchzuführen, um verschiedenen Vorwürfen gegen mehrere Schweizer Bischöfe nachzugehen. Die Ergebnisse wurden laut der Schweizer Bischofskonferenz Anfang dieses Jahres an das Dikasterium für die Bischöfe in Rom weitergeleitet, worauf der Vatikan nun geantwortet hat.
Vorwurf der sexuellen Belästigung
Bonnemains Auftrag aus dem Vatikan war, das Verhalten von vier Mitgliedern der Schweizer Bischofskonferenz wegen möglicher Meldeunterlassungen bei Übergriffen zu untersuchen. Bei einem fünften Mitglied der Bischofskonferenz sollte Klarheit wegen mutmasslicher sexueller Belästigung geschaffen werden.
Nicolas Betticher, ehemaliger Generalvikar des Bistums Lausanne, Genf und Freiburg, hatte kirchenintern mehrere Schweizer Bischöfe wegen Vertuschung angezeigt. Er erhielt daraufhin Morddrohungen.
Ebenfalls im September vergangenen Jahres hatte die Universität Zürich eine Studie veröffentlicht zum Ausmass des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Diese Studie zeigte, dass Priester und Ordensangehörige in der Schweiz seit 1950 über 1000 Fälle von sexuellem Missbrauch begangen hatten, wobei die Dunkelziffer hoch sein dürfte.
Vertretung der Opferseite ist erschüttert
Die Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld (IG-MikU) zeigt sich in einer Stellungnahme erschüttert darüber, dass der Vatikan lediglich Rügen für die fehlbaren Bischöfe ausgesprochen hat. Für die Betroffenen sei damit die Botschaft klar: Alles bleibt beim Alten und niemand übernimmt die Verantwortung für diese realen Vorfälle.
«In anderen Betrieben würde der Geschäftsleiter nicht nur eine Rüge erhalten, er müsste den Hut nehmen», schreibt die IG-MikU weiter. Und sie fragt: «Ist das die Art und Weise, wie die Kirche ihre Sorge um Betroffene zum Ausdruck bringt?» Die Interessengemeinschaft werde auf jeden Fall weiterhin für die Betroffenen einstehen – den Bericht mit den sanften Rügen werde sie nicht akzeptieren.
SDA/Nina Fargahi
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