Wenn der Auftrag an das Wort jenseits der Bedeutung liegt
Er hat mit seiner Kunst dem Wort einen neuen Stellenwert gegeben: Eugen Gomringer, Lyriker und Begründer der Konkreten Poesie. In der Galerie Vogtei in Herrliberg hat er Einblick in sein Schaffen und in seine Philosophie gegeben.

Und: drei Buchstaben – kurzes Wort. Tausendfach gebraucht. Simples Wort, früh gelernt, eingeschliffen im Gebrauch. Unentbehrlich umso mehr für die Literaten. Simpel? Unverzichtbares Wort der Literatur? Zweimal Nein! Zumindest für den Lyriker Eugen Gomringer. «Und ist ein schwieriges Wort», stellte er am Samstagabend in der Herrliberger Galerie Vogtei fest. Und fügte hinzu, was von einem, dessen Arbeitsutensil die Worte sind, doch recht erstaunen mag: «Und ist kein Wort der Lyrik.»
92 Jahre alt ist Gomringer, von künstlerischer Schaffenskraft freilich wie einst – als er mit einigen Weggefährten in Bern nach Veränderung in der Literatur gesucht hatte. Und sie, 1953, gefunden hatte: in der Konkreten Poesie, als deren Begründer er gilt.
Noch weiter zurück in seiner Biografie liegen seine Berührungspunkte mit Herrliberg. Hier ist er bei seinen Grosseltern aufgewachsen, nachdem er die ersten zwei Lebensjahre in seinem Geburtsland Bolivien verbracht hatte. Nun hat er, der jetzt in Bayern lebt, für eine Ausstellung in der Galerie Vogtei seine alte Heimat wieder besucht. An der samstäglichen Vernissage hat er aus seinem Werk gelesen.
Abkehr vom Inhalt
Die grossen Erzählungen, die Romane, seien es, zu denen das «und» gehöre, sagte er. Ihre Handlungsbögen könnten nur mit dem «und» zusammengehalten werden. Seine These sei jedoch, dass es das «und» nicht brauche, «wenn physische Materien sich begegnen». Was er damit meinte, erklärte er mit der literarischen Arbeit nach dem genauen Beobachten der Natur. Nicht aber durch Inhalt der Worte und detailreiche Beschreibungen solle dies vonstattengehen. Sondern dadurch, wie Buchstaben und Worte auf dem Papier angeordnet werden: ein Zusammenstellen der Sprachelemente nach der gleichen organischen Ordnung, wie sie die Natur mit den bezeichneten Dingen vorgibt. So wie etwa in dem Gedicht «Irish»: «green and sheep / sheep and cow / cow and green» lauten dessen erste Verse.
«Als ich das erste Mal konkrete Kunst sah, zog es mir den Boden weg.»
«Wir wollten eine Poesie, die nicht mehr mit Satzverbindungen zu überzeugen versucht», erklärte der Dichter. Das sei in den Fünfzigerjahren völlig neu gewesen. Dabei kam nicht nur, wie in «Irish», der optischen Dimension der Sprache eine neue Bedeutung zu, sondern auch der lautlichen. Dies zeigt das Gedicht «Schweigen»: 14-fach ist das Wort «Schweigen» auf das Papier gesetzt, in der Mitte eine Leerstelle: konkretes Innehalten in der Sprache.
Wie aber war aus Gomringer vor gut 60 Jahren ein Avantgardepoet geworden? Seine Schulbildung verlief in klassischen Bahnen. Doch dann, 1944, sah er erstmals Konkrete Kunst. «Das hat mir den Boden weggezogen», schilderte er den rund 100 Anwesenden der Lesung, führte sie so durch die Jahrzehnte seines Schaffens und erläuterte seine Gedankengänge.
Neue Form Sonett
«Lässt sich die Idee des Konkreten auch in die Literatur übertragen?», dies habe ihn beschäftigt, weil ihm die Nachkriegsliteratur zu wenig geboten habe. Aktuell nun widmet sich Gomringer dem Sonett. In dieser strengen Form zu dichten, ist für ihn kein Verrat am Konkreten. Vielmehr eine neue Stufe.
Weil die Sprache in seinen Gedichten eine konstruktive Rolle spielt, funktionieren diese auch als geschriebenes Gemälde auf der Leinwand. Das erklärt, warum er als Literat in der Galerie ausstellt.
Auch der zweite Künstler, den Galeristin Susan Lutz für die aktuelle Schau in der Vogtei gewinnen konnte, zeigt die Symbiose von Wort und Malerei. Es ist dies der Herrliberger Robert Steinlin; Aquarellpapier, Farbpigmente und verschiedene Stifte sind seine Materialien.
Auch wenn die grossen Jahre der Konkreten Poesie vorbei sind, zeigten die Anwesenden an der Lesung, wie stark Gomringers Werk noch berührt. So dankten viele dem Dichter für die neuen Einsichten, die er ermöglicht habe.
Die Ausstellung in der Galerie Vogtei dauert noch bis 19. März. www.galerie-vogtei.ch
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