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Meinung

Kolumne «Schweizer Herzfrequenzen»
Genderstern: Ich meine, also bin ich!

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In keinem anderen Land der Welt werden die Menschen so oft nach ihrer politischen Meinung gefragt wie hierzulande. Aber Meinungen sind beileibe nicht nur ein Seismograf der politischen Stimmungen, sondern sie bestimmen auch unser soziales Miteinander. Geht es Ihnen denn nicht auch so? Fühlen Sie sich nicht auch mit den denjenigen besonders verbunden, deren Meinung Sie teilen, und gehen lieber auf Distanz zu jenen, die gegenläufige Ansichten vertreten? Nein? Dann denken Sie doch einmal darüber nach, wie Sie es beim Genderstern damit halten.

Sprachdebatten werden seit Martin Luthers Bibelübersetzung ins Deutsche stets hoch emotional geführt. Befürworter und Gegnerinnen vertreten jeweils mit Haut und Haaren ihre Standpunkte. Dies gilt auch für die Auseinandersetzung um den Genderstern, durch welchen mit Schriftzeichen die geschlechtliche Vielfalt zur Sprache gebracht werden soll. Auch hier treffen unversöhnliche Meinungen aufeinander, sind die Positionen verhärtet. Wer sich beim Genderstern querstellt, gilt als altbacken und als Ewiggestriger. Wer hingegen die sprachliche Inklusion durch das Sonderzeichen begrüsst, wird als modern und fortschrittlich etikettiert. Möchten die einen zu neuen Ufern aufbrechen, fürchten die anderen den Abbruch der Brücken zur Vergangenheit, zur persönlichen Beziehung zu einer Sprache, die das berufliche und das private Leben geprägt hat.

Nationale Bindungen als soziale Identitäten

Was für die Anhänger*innen Ausdruck von Gleichberechtigung ist, empfinden die Gegner als übertriebene Wokeness und unästhetische Sprachverstümmelung. Und wenn die einen darauf drängen, Diskriminierungen abzubauen und Minderheiten sprachlich sichtbar zu machen, pochen die anderen auf Umfragemehrheiten und fühlen sich von den wenigen drangsaliert. Und keine Fraktion erinnert sich jemals an den deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck, der es stets für einen Fehler hielt, «bei jedem Andersmeinenden entweder an seinem Verstand oder an seinem guten Willen zu zweifeln».

Nach eigenen Befragungen befürworten rund 28 Prozent der Schweizer*innen den Einsatz des Gendersterns, 55 Prozent lehnen diesen tendenziell ab. Je weiter links sich die Menschen im Politspektrum verorten, desto stärker wird die sprachliche Anpassung gutgeheissen. Es fällt aber auf, dass die Gegner des Sonderzeichens sich mehr mit ihresgleichen identifizieren als die Befürworter*innen. Und Erstere fühlen sich durch Letztere eher bedroht als umgekehrt. Zudem hegen die Kritiker des Gendersterns einen grösseren Groll gegenüber den Anhänger*innen des Schriftzeichens als andersherum.

Psychologischen Erkenntnissen zufolge fällt das Abrücken von der eigenen Haltung bei politischen oder moralisch besetzten Themen wie dem Genderstern besonders schwer. Denn hier operieren Meinungen ähnlich wie regionale oder nationale Bindungen als soziale Identitäten, die unser Selbstbild füttern und uns zu einer Gruppe Gleichdenkender zugehörig fühlen lassen. 

Wer nun aber auf diesem Terrain seine Meinung ändert, verleugnet den eigenen Clan und riskiert den Verlust der sozialen Identität. Da dieser Preis oft als zu hoch empfunden und auch niemand gerne als Windfahne angeprangert wird, verharrt man lieber auf der angestammten Position. Billiger und bequemer ist es natürlich, die Gegenmeinung als Bedrohung zu verteufeln. Perspektivenwechsel? Fehlanzeige. Lieber wird mit der Sturmhaube in den Ring gestiegen, um den Kulturkampf auszutragen.