Argentiniens belächelter TrainerMaradona zog lauthals über ihn her – jetzt steht er im Final
«Sind wir denn alle verrückt?», fragte Diego Maradona, als Lionel Scaloni zum Nationaltrainer Argentiniens ernannt wurde. Am Sonntag kann er Weltmeister werden.

Am Dienstag, der Finaleinzug der Argentinier gegen Frankreich war gerade geschafft, da kehrte Lionel Scaloni noch einmal auf den Rasen des Lusail-Stadions zurück. Unbemerkt vom grösseren Teil der Journalisten, die bereits im Pressesaal waren, um Captain Lionel Messi zuzuhören.
Scaloni, 44, ging auf die Tribüne und setzte sich zu seiner Frau Elisa und ihren beiden Kindern Ian und Noah. Und er hatte da noch im Ohr, was die im Stadion verbliebenen Fans gesungen hatten. Ein Lied, das mal Messi gewidmet war und nun umgedichtet wurde: «... Que de la mano/de Scaloni/toda la vuelta/vamos a dar ...» Zu Deutsch: «Denn an der Hand/von Scaloni/werden wir die ganze (Ehren-)runde drehen ...»
Wie sich die Zeiten doch ändern können.
Es war nicht das erste Mal, dass das Lied in Katar angestimmt wurde. Beileibe nicht. Aber nie war die bis in die offene Verachtung reichende Skepsis, die Scaloni einst entgegenschlug, feiner atomisiert worden als jetzt, da Scaloni Argentinien an die Schwelle des dritten WM-Titels nach 1978 und 1986 geführt hatte. In den Final, der am Sonntag im Lusail-Stadion steigen wird.
Maradona über Scaloni: Nicht mal den Verkehr könne er leiten
Dieser Tage ging ein Video viral, wie man neudeutsch sagt, ein Zusammenschnitt der ganzen Anfeindungen, die Scaloni zu ertragen hatte, nachdem er 2018 – interimsweise zunächst – Nationaltrainer geworden war. Scaloni sei «nicht auf der Höhe» der Selección, ätzte Martin Libermann bei ESPN. «Der hat nicht mal Erfahrung in der zweiten Liga», ereiferte sich Mariano Closs bei Radio Continental. «Bringt einen Trainer!», forderte ein weiterer gewichtiger TV-Kommentator, Sebastian Vignolo.
Dann kam die Bestätigung als Cheftrainer, im März 2019, als Scaloni sich offen ärgerte, seinen Trainerschein nicht in die Brieftasche gesteckt zu haben, als er zur Pressekonferenz fuhr. Er hätte gern das Dokument gezückt, als er gefragt wurde, ob er überhaupt eine Lizenz habe. Hatte er. Nachdem er in seiner Wahlheimat Spanien – er lebt auf Mallorca – alle erdenklichen Trainerkurse und -prüfungen bestanden hatte.
Und dann waren da noch die vernichtenden Worte des verstorbenen Landesheiligen Diego Maradona, die erklären, warum Scaloni so distanziert wirkte, als er gefragt wurde, ob die WM wegen Maradonas Abwesenheit besonders sein würde. «Für einen, der Maradonianer ist, sicherlich», hatte Scaloni da gesagt. Was ja, so sehr er die Worte auch abwog, implizierte, dass er es eher nicht ist, ein Maradonianer. Oder nicht mehr, seit Maradona ihn verbal durch einen Entsafter jagte.

Scaloni sei ein grossartiger «muchacho», hatte Maradona in einem Interview gesagt: «Aber Scaloni kann nicht mal den Verkehr leiten. Nicht mal den Verkehr! Wie sollen wir denn da Scaloni die argentinische Nationalmannschaft übergeben ... Sind wir denn alle verrückt?» Er habe Scaloni nie an seiner Seite spielen oder ein Tor für Argentinien schiessen sehen, ätzte Maradona, «es ist, als würden wir Minguito Tinguitela in den Anzug vom Gordo Porcel stecken». Wozu man wissen muss, dass Gordo Porcel und Minguito Tinguitela ein sehr populäres Komikerduo waren, und «der Dicke» Porcel um einiges voluminöser als Minguito.
Maradona konnte sehr grausam sein, wenn er wollte, und die Journalisten in seinem Windschatten erst recht.
Es gab nur eine Handvoll davon, die Scaloni überhaupt eine Chance einräumen wollten. Zum Beispiel Alejandro Fantino, einst bei ESPN. Mach nur weiter so, rief er Scaloni zu. Wenn «90 Prozent der Journalisten Bomben auf dich werfen, dann kannst du nicht falsch liegen.» Aber: Es gab auch eine Mannschaft, die 2021 in Rio de Janeiro die Copa América holte, den ersten Titel für Argentinien seit 1993. Es war Pandemie, und so konnte man ihren Chor ganz gut hören, als sie nach dem Ende des Spiels umschlungen auf und ab hüpften und gleich alle Journalisten disqualifizierten: «No me importa lo que digan/esos putos periodistas/la puta que te parió ...» In der milden Fassung: Was scherts uns, was diese Drecksjournalisten sagen.
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