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Kontroverse um Trainingsnutzen
Macht Sport wirklich schlau?

Sportliche Aktivitäten wie Seilspringen, bei denen Koordination gefragt ist, helfen auch, den Geist zu schärfen.
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Wer sich sportlich betätigt, tut nicht nur etwas für die eigene Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden, sondern fördert auch die geistige Fitness. «Sport macht schlau» – dieser Glaubenssatz wird mittlerweile durch Hunderte von Studien gestützt. Selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO schreibt auf ihrer Website: «Körperliche Aktivität verbessert das Denken, Lernen und das Urteilsvermögen.»

Doch nun stellt eine neue Übersichtsarbeit dieses Credo infrage. Dafür hat ein Team von spanischen Sportwissenschaftlern 24 bereits publizierte Übersichtsstudien (Meta-Analysen) neu analysiert und in einer sogenannten Umbrella-Studie zusammengefasst. In die 24 Meta-Analysen sind ursprünglich 109 Einzelstudien eingeflossen, die alle den Zusammenhang zwischen Sport und Kognition (geistige Aktivität) untersucht hatten.

«Wir haben keine beweiskräftigen Hinweise dafür gefunden, dass regelmässige sportliche Betätigung einen geistigen Nutzen hat.»

Luca Ciria, Universität von Granada

In ihrer Übersichtsstudie kommen die spanischen Forscher zum Schluss, dass die Sachlage nicht so eindeutig sei, wie die einzelnen Meta-Analysen vermuten lassen. «Wir haben keine beweiskräftigen Hinweise dafür gefunden, dass regelmässige sportliche Betätigung einen geistigen Nutzen hat», schreibt das Team um Luis Ciria von der Universität Granada im Fachblatt «Nature Human Behaviour»

Für ihre Umbrella-Studie nahmen die Forscher in einem ersten Schritt die vorliegenden Meta-Analysen nochmals unter die Lupe. Dabei zeigte sich – wie in früheren Analysen –, dass sportliche Aktivität die kognitiven Fähigkeiten wie Gedächtnis oder Aufmerksamkeit leicht verbessern kann. Dieser Effekt verschwand allerdings, wenn das spanische Team weitere Faktoren berücksichtigte. Einflussfaktoren wie zum Beispiel der Fitnessstand zu Beginn der Studie veränderten das Ergebnis. Das gleiche passierte, wenn Studien miteinbezogen wurden, die wegen negativer Resultate gar nicht erst veröffentlicht wurden. Man spricht hier von einem «publication bias».

Zusammengefasst würden ihre Berechnungen keinen Zusammenhang zeigen zwischen sportlicher Aktivität und kognitiver Verbesserung, schreiben die Forscher. Aber: Ein solcher Effekt könne auch nicht ausgeschlossen werden.

Basler Sportwissenschaftler: «Schlussfolgerungen sind etwas irreführend»

Sebastian Ludyga, der selber zum Thema Sport und Kognition forscht, kennt die Studie und deren Autoren gut. Der Sportwissenschaftler von der Universität Basel ist mit den Schlussfolgerungen allerdings nicht einverstanden. Diese seien «etwas irreführend», sagt er. Primär sei es dem spanischen Forscherteam darum gegangen, aufzuzeigen, dass es eine Publikationsverzerrung gibt. «Das ist ein bekanntes Problem», sagt Ludyga, «das gibt es auch in anderen Forschungsfeldern.»

Problematisch sei vielmehr, sagt Ludyga, dass die Autoren viele verschiedene Studien in einen Topf geworfen hätten: Studien mit älteren Erwachsenen, solche mit mehr Frauen als Männern oder umgekehrt, solche mit Kindern oder Jugendlichen; Studien, bei denen die Teilnehmenden Ausdauer trainierten, andere, wo ein Krafttraining im Zentrum stand oder ein koordinatives Training; dann auch Studien, in denen entweder nur der Effekt auf das Gedächtnis, auf die Aufmerksamkeit oder auf sogenannte Exekutivfunktionen – dazu zählen die Fähigkeit, zu planen oder Entscheidungen zu treffen – angeschaut wurde; oder Studien, bei denen mehrere dieser kognitiven Fähigkeiten untersucht wurden. «Sie haben einfach ein Sammelbecken für alle Studien gemacht», sagt Ludyga. «Dass in so einem Setting der Effekt gegen null geht, ist klar.»

Ludyga hatte zusammen mit Kollegen der Uni Basel vor drei Jahren selbst eine Meta-Analyse zu dem Thema publiziert – notabene die umfassendste bislang (Sie ist auch Teil der spanischen Umbrella-Analyse). Insgesamt schlossen die Basler 80 Originalstudien in ihre Übersichtsarbeit mit ein (nur randomisierte, kontrollierte Studien mit einer Kontrollgruppe). Ähnlich wie die Spanier fand Ludygas Team keinen oder nur einen sehr geringen Effekt von Sport auf die kognitiven Fähigkeiten, wenn der «publication bias» berücksichtigt wurde. Dies gelte aber nur für jene Analysen, bei denen Unterschiede zwischen Sportarten und Probandengruppen ignoriert wurden, sagt Ludyga.

Ballsportarten, Kampfsport oder Balancetraining sind gut fürs Hirn

Im Gegensatz zu den Spaniern konnte das Basler Team aber auch aufzeigen, dass die Art des Trainings sehr wohl einen positiven Effekt auf die kognitiven Fähigkeiten haben kann. Im Vergleich schnitt ein sogenanntes koordinatives Training besser ab als Ausdauer-, Kraft- oder gemischtes Training. «Bei koordinativen Aktivitäten sehen wir gar einen mittelgrossen Effekt», sagt Ludyga. Das sei bedeutend, denn normalerweise erwarte man in Bezug auf die kognitiven Leistungen eher kleine Effekte. Zu den koordinativen Aktivitäten zählen zum Beispiel Ballsportarten, aber auch Kampfsport oder Balanceübungen. «Wenn man etwas nicht automatisiert machen kann, dann spielt Koordination eine Rolle», sagt Ludyga.

Neben der Art des Trainings kristallisierte sich noch ein anderer Faktor heraus, der mitbestimmt, ob und wie gut ein Training den Geist fitter macht: das Geschlecht. In ihrer Studie kam das Basler Team zum Schluss, dass Frauen eher weniger profitieren als Männer. Keine Unterschiede fanden die Basler Forschenden dagegen bei der Trainingsintensität. Egal, ob jemand leicht oder hart trainiert, der Effekt auf die kognitiven Leistungen bleibt in etwa gleich. Ebenfalls keine Unterschiede ergab die Analyse bei den kognitiven Aspekten: Der Trainingseffekt auf die Gedächtnisleistungen, die Aufmerksamkeit und die Exekutivfunktionen war in etwa vergleichbar.

Sport ist gut fürs Hirn, davon ist Ludyga überzeugt. Zumal man für einzelne kognitive Aspekte das sogar im Gehirn nachweisen könne. Er und sein Team haben für diese Erkenntnisse bei Probanden während einer sportlichen Aktivität mittels eines Elektroenzephalogramms (EEG) die Hirnströme gemessen. «Wir konnten zeigen, dass Sport kognitive Prozesse wie zum Beispiel die Aufmerksamkeitsregulierung verbessern kann.»

Genetische Studie stützt die These, dass Sport schlau macht

Solche neurophysiologischen Erkenntnisse haben die spanischen Autoren in ihrer Übersichtsarbeit nicht berücksichtigt. Das ärgert Ludyga. «Sie schreiben, es gebe keinen kausalen Zusammenhang zwischen regelmässiger sportlicher Aktivität und kognitiver Verbesserung. Doch das ist einfach falsch.» Zumal seit langem (aus Tierversuchen) auch bekannt ist, dass sportliche Aktivität die Neubildung von Nervenzellen, Nervenverbindungen (Synapsen) oder Blutgefässen anregen kann.

Ludyga zu Hilfe kommt eine zweite neue Studie, die mit einer völlig anderen Methode – und anders als die Spanier – zum Schluss kommt, dass Sport tatsächlich die geistige Fitness fördern kann. Diese Methode, genannt «Mendelsche Randomisierung», stützt sich auf die Genetik. So gibt es einzelne Genvarianten, die Menschen dazu veranlagen, mehr Sport zu treiben. Ein Team von Forschenden der Universitäten Genf, Lausanne und aus den USA und Kanada analysierte dazu genetische und kognitive Daten von über 250’000 Menschen aus zwei Datenbanken. Wie sie im Fachblatt «Scientific Reports» berichteten, schnitten diejenigen Menschen, die «sportliche» Genvarianten trugen, tatsächlich auch bei kognitiven Tests besser ab. Wichtig: Die Genvarianten haben selbst keinen Einfluss auf die kognitiven Funktionen, daher kann der beobachtete Effekt tatsächlich der sportlichen Aktivität angerechnet werden.

Solche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass wahrscheinlich – und entgegen den Befunden der spanischen Umbrella-Studie – doch etwas dran ist an dem Credo, dass Sport ein wenig schlauer macht. Und auch wenn der letzte Beweis fehlt, einig sind sich alle in einem anderen Punkt: Sport ist gesund! «Der Nutzen von sportlicher Betätigung auf das Wohlbefinden und die Gesundheit sei Grund genug, Sporttreiben aus Sicht der öffentlichen Gesundheit zu fördern», schreibt das spanische Team. «Nicht zuletzt macht Sport einfach auch Spass. Darin liegt vielleicht sein wahrer Wert.»