Gender-Gap beim GrillierenMacho am Rost? Den Frauen ist das wurscht
Spezielle Brätel-Kurse für Frauen bleiben leer. Der Platz am Grill wird bereitwillig den Männern überlassen. Warum eigentlich?
«Frauen stehen auf Männer mit Kohle» – das lassen sich Grillfreunde auf ihr T-Shirt drucken. Andere unterhalten eine Herrenrunde mit dem Spruch: «Grillieren wir heute ohne Frauen oder mit Salat?» Überall wird über gendergerechte Sprache, Frauenquoten und Gleichstellung diskutiert – doch am Bratrost darf der Mann noch Rudelführer sein, der die Sippe ernährt. Grillieren ist männlitsch-tsch.
Das stellt auch Sandro Girolamo fest. Er ist Geschäftsführer des Grill- und Kochfachgeschäfts Grilljack in Egg bei Zürich und bietet Grillkurse an. Bilanz: Der Rost ist ein Männerrevier. Das muss nicht sein, sagte sich Girolamo und lancierte eine Offensive für mehr Weiblichkeit beim Outdoor-Brutzeln. Erstmals bietet er dieses Jahr einen «Grillkurs für Frauen» an. Er dachte: «Wenn sie unter sich sind, fühlen sie sich wohler.»
Tun sie offenbar nicht. Der Kurs ist seit rund drei Monaten ausgeschrieben, soll Mitte Juni stattfinden und wurde im Laden in Egg mit Flyern beworben. Die Ausbeute ist ernüchternd: «Wir brauchen 15 bis 20 Teilnehmerinnen, um den Kurs durchzuführen. Aber bisher sind erst zwei Anmeldungen eingegangen», sagt Girolamo. «Wir werden den Kurs wohl abblasen müssen.»
Bereits bei der Anschaffung des Geräts zeigt sich die maskuline Dominanz. In Girolamos Laden kommen zwar auch Frauen – aber meist zusammen mit ihrem Partner. Die Arbeitsteilung verläuft so: Sie guckt, was ihr optisch gefällt, er entscheidet, welches Modell gekauft wird – wegen der Funktionalität. Die stellt heute gewisse Anforderungen. Manche Brutzel-Boliden sind fast schon hightech, ausgerüstet mit allerlei technischen Finessen. Wo sich manche Frau denken dürfte: Ich habe keine Lust, ein halbes Ingenieurstudium zu absolvieren, um das Ding überhaupt bedienen zu können.
Aus dem Bratrost ist inzwischen ein viriles Statussymbol geworden. Die Geräte tragen entsprechende Namen: «Spirit», «Monarch», «Napoleon» oder «Genesis» – in Anlehnung an die Schöpfungsgeschichte. Kleiner gehts offenbar nicht mehr.
Da muss natürlich auch das Equipment stimmen. Der «Imperial S 690 IR» etwa verfügt über sechs «Dual-Tube-Brenner aus Edelstahl», einen Infrarot-Seitenbrenner sowie ein Drehspiess-Set mit Elektromotor. Andere Geräte können mit motorbetriebenen Förderschnecken, Kerntemperaturfühlern und «Gourmet-Burner-Technologie» aufwarten.
Auch die Grill-Kulinarik wurde hochgejazzt. Wurst oder ein Kotelett auf den Grill – das war einmal. Heute liest der moderne Mann in Fachpublikationen nach, wie er Schmetterlingshähnchen mit Chimichurri zubereitet. Oder Lachs im Bananenblatt.
Frauen haben es da mehr mit Passiv-Grillieren: Sie essen das Gegrillte. Und zwar häufiger als Männer, schreibt die Bell Food Group, der grösste Schweizer Fleischverarbeiter, in einer Medienmitteilung. Doch am Grill stünden nach wie vor mehr Männer. Warum ist das so?
Die Frage geht an den Soziologen Sacha Szabo. Er hat ein 200-seitiges Buch geschrieben über «Grillieren – eine Wissenschaft für sich». Am Bratrost, so Szabo, vollziehe sich «ein wunderbares Schauspiel, bei dem überholte Geschlechterrollen mit Inbrunst und Bierernst inszeniert werden. Hier der Jäger mit einem Stück blutigen Fleisches, dort die Sammlerin von Gemüse.» Nirgends lasse sich Männlichkeit besser darstellen als beim Grillieren, wenn der Mann Beherrscher des Feuers ist und zugleich Herr der Technik, geschmückt mit der Grillschürze als Herrschaftsornat, seine Sippe zu verköstigen.
Mit den Geschlechterrollen seien auch bestimmte Tätigkeiten verbunden, sagt Szabo. «Männliche Arbeit wird öffentlich inszeniert, und es ist die Arbeit, die Bewunderung und, konkret beim Grillieren, wenn etwa das Wagyu-Steak präsentiert wird, auch Prestige verspricht.» Die Arbeit der Frauen hingegen finde immer noch häufig im Verborgenen statt. «Es ist im Übrigen die eigentliche Arbeit auch beim Grillieren», sagt Szabo: «Die Salate anrichten, das Grillgut vorbereiten, den Tisch decken, und wenn es dumm läuft, bleibt auch noch der Abwasch an der Frau hängen.»
Wehe, wenn jemand zu sehr aus diesen Rollen ausbreche. Dann, sagt Szabo, wird aus dem Schauspiel ein Riesentheater. Manchmal aber ist die Erklärung für die weibliche Grillabstinenz vielleicht auch ganz einfach. Manche Frauen, sagt Grillmeister Mike Wolf, «haben grossen Respekt vor dem Feuer. Oder vor der Gasflasche, bei der sie sich fragen: Kann mir das Ding nicht um die Ohren fliegen?» Wolf führt für die Migros-Klubschule Grillkurse in der Ostschweiz durch.
Den Gender-Gap stellt auch er fest. Geschlechterverhältnis? «Etwa zwei Drittel Männer, ein Drittel Frauen.» Wolf wundert die maskuline Bereitschaft zum Hantieren mit der Grillzange nicht. «Der Mann sagt sich: Ich schmeisse lieber den Grill an, als mich vor den Herd zu stellen.»
Wenn sie dann in den Kurs kämen, hätten einige das Gefühl: Kann ich schon alles – was will der da vorne mir erzählen? Frauen seien zurückhaltender. Manchmal sei bei ihnen das Interesse auch «nicht so stark da». Aber wenn sie sich erst mal für das Grillieren erwärmen würden, sagt Wolf, seien die Frauen richtig gut am Grill – «dann können sie auch das besser als die Männer».
Dieser Artikel erschien erstmals am 3. Juni 2023. Anlässlich der neuen Grillsaison publizieren wir ihn nochmals.
Fehler gefunden?Jetzt melden.