Neues Leben im LettentunnelIn diesem Loch am Bahnhof Stadelhofen testen die SBB den Bau von Gleis 4
In einem Erkundungsstollen wird simuliert, wie sich der Baugrund bei Bohrungen verhält. Grosse Maschinen und feine Sensoren helfen dabei, erste Erfahrungen zu sammeln.
- Der Bahnhof Stadelhofen erhält ein viertes Gleis für mehr Kapazität.
- Ein Erkundungsstollen dient dem besseren Verständnis des Baugrundes.
- Die Geologie aus Lockergestein erfordert besonderen Schutz beim Tunnelbau.
- Verschiedene Messprogramme überwachen Erschütterungen und Verformungen.
Boomer 282. Die Maschine ist der erste Hingucker vor dem grossen Loch am Bahnhof Stadelhofen. Gemäss Hersteller ein «hydraulisch gesteuerter Vortriebsbohrwagen für den Bergbau- und Tunnelvortrieb». Vortrieb, ein Wort, das an diesem Nachmittag noch öfters fallen wird.
Das grosse Loch führt in den ehemaligen Lettentunnel, der für ein viertes Gleis am Bahnhof Stadelhofen genutzt wird. Der Ausbau sei nötig, weil die Achse Zürich–Winterthur kapazitätsmässig am Limit sei, sagt Marc Weber-Lenkel, SBB-Gesamtprojektleiter Ausbau Zürich-Stadelhofen. «Mehr S-Bahnen passen schlichtweg nicht rein.» Was die Reisenden neben dem Gleis 3 sehen, ist der freigelegte Rumpf des Lettentunnels, in dem die ersten Vorarbeiten für das Gleis der Zukunft verrichtet werden.
Es geht tiefer in den Tunnel hinein, vorbei am Bohrwagen, vorbei auch am Schrein mit der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute. Vorbei an Gasflaschen und Armierungseisen. Tiefer gehts in den ehemaligen Lettentunnel, über Steine und matschigen Boden.
An den Wänden sind Baulampen aufgehängt, an der Decke Lichtschläuche. Schliesslich erscheint rechts der eigentliche Grund des Medientermins: der Erkundungsstollen.
Wie wenn man im Sand ein Loch gräbt
Doch für was braucht es den überhaupt? Um für den Bau des vierten Gleises, das rund 40 Meter hinten im Fels erstellt wird, genauere Kenntnisse des Baugrundes zu erhalten, erklärt Weber-Lenkel. Man kenne den Untergrund mittlerweile ziemlich gut. Auf Unerwartetes wie Erdöl sei man aber noch nicht gestossen, sagt er und lacht. Mit dem Stollen möchte man testen, wie sich der Baugrund verhält. Ziel sei es, später den Zeitplan des Baus einzuhalten, erklärt der Gesamtprojektleiter.
Die Geologie besteht aus Lockergestein und Moränenmasse aus der Eiszeit. «Das ist anspruchsvoll für den Tunnelbau», weiss Christoph Jauslin, Projektleiter Erkundungsstollen bei den SBB. Beim Vortrieb sei die Sicherung bei solchen Verhältnissen schwieriger als bei Felsen. Man könne sich das vorstellen, wie wenn man im Sand ein Loch grabe.
Darum müsse man die Baustelle beim Vorwärtskommen in den Berg, eben dem Vortrieb, immer wieder sichern. Eine Etappenarbeit, die Zeit brauche. Pro Meter wird eine halbe Woche benötigt. 23 Meter tief soll der Stollen werden, momentan befinde man sich etwa in der Hälfte.
Auffällig ist die Form des Erkundungsstollens, der wie das Fenster einer gotischen Kirche aussieht. Kein Zufall, denn diese Form soll auch beim eigentlichen Projekt, dem Gleis 4, genutzt werden. Es ist so etwas wie die Generalprobe.
Häuser in der Umgebung werden genau überwacht
Mit der Untersuchung der Geologie ist es aber nicht getan. Jauslin spricht von einer ganzen Reihe von Messprogrammen. So kommt es auch zu Plattendruckversuchen, also zur Prüfung der Bodenbelastung und der Verformungen, sowie zu Erschütterungs- und Lärmmessungen. Dafür würden auch betroffene Häuser in der Umgebung genau überwacht, die Daten angeschaut.
Beim Medienrundgang weist Christoph Jauslin noch auf eine Tür, die sich unscheinbar neben einem Sicherungskasten befindet: Sie führt in die Zivilschutzanlage des Parkhauses Hohe Promenade. Ihr Fluchtweg führt durch den alten Lettentunnel – und ja, im Ernstfall ist der Schutzraum noch in Betrieb. Darum wurde dieser Teil des Lettentunnels auch nie aufgefüllt.
Sind die Forschungsarbeiten im Erkundungsstollen erst einmal abgeschlossen, wird dieser zum Notausgang für das fertige Gleis 4 im Bahnhof Stadelhofen. Das dürfte allerdings erst in der zweiten Hälfte der 2030er-Jahre der Fall sein.
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