Uraufführung am PfauenOhne Billie Eilishs «Barbie»-Hit geht es nicht
Regisseurin Yana Ross, Spezialistin fürs Feministische, hat Virginie Despentes’ Roman «Liebes Arschloch» auf die Bühne gehoben. Zum Glück mit einem klasse Schauspiel-Duo.

Als Virginie Despentes’ Roman «Cher connard» («Liebes Arschloch») 2022 erschien, wurde er als die Sensation des literarischen Herbstes gefeiert. Und weil es eben Despentes ist, gabs ein Skandälchen obendrauf: Die Jury des renommiertesten französischen Literaturpreises, des Prix Goncourt, musste sich öffentlich dafür rechtfertigen, dass sie den Roman nicht einmal auf die Longlist genommen hatte.
Der Präsident der Académie Goncourt erklärte damals, dass dies aus ethischen Gründen einfach nicht möglich sei, schliesslich sei die Autorin von 2016 bis 2020 selbst Mitglied der Akademie gewesen. «Das soll keinesfalls heissen, dass wir das Buch von Virginie nicht geliebt haben, im Gegenteil!»
Viel Lust am Symbolischen
Am Schauspielhaus Zürich hat man «Cher connard» ebenfalls geliebt – und sich die Uraufführungsrechte gesichert sowie die Mitarbeit der ehemaligen Hausregisseurin Yana Ross. 2021 hatte die 1973 geborene, litauisch-amerikanische Regisseurin ja schon enthemmte toxische Männlichkeit in «Kurzen Interviews mit fiesen Männern» (nach David Foster Wallace) hemmungslos auf der Schiffbau-Bühne ausgestellt, Livesex inklusive. Diesmal, am Pfauen, ging sie das #MeToo-Thema anders an, spielerischer, abstrakter, mit viel Lust am Symbolischen.
So tragen Karin Pfammatter und Matthias Neukirch praktisch durchweg Orange während der rund anderthalbstündigen Aufführung: Die Premiere fand schliesslich am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen statt, den die Farbe Orange auszeichnet (25. November); und die Inszenierung versteht sich sozusagen als Beitrag zur UNO-Women-Kampagne «Orange the World». Der New Yorker Kostümdesigner Zane Pihlström, mit dem Ross regelmässig zusammenarbeitet, hat sich hier darum für die ganz grossen Gesten entschieden.

Orange ist also auch der abgeschnittene Riesenpenis, den Neukirch als Schriftsteller in der Krise auf seinen Schultern trägt: Auf den knapp fünfzigjährigen Romancier Oscar ist ein Shitstorm niedergeprasselt, weil ihn eine ehemalige Pressereferentin seines Verlags im Rahmen der jüngst aufgeflammten #MeToo-Bewegung angeklagt hat.
Er habe ihr nachgestellt, aber es sei sie, die deswegen entlassen worden sei; ihr gesamtes Leben sei dadurch aus den Fugen geraten. Die Zürcher Soundkünstlerin Magda Drozd (Geige, Gesang und Flügel) gestaltet Zoé anfangs als Amazone und Radikalfeministin in oranger Rüstung. Zoé wird aber ihrerseits durch den Hass im Netz, der ihr entgegenschlägt, zeitweilig sprachlos und zum psychischen Wrack.
Die andere, einen grösseren Raum einnehmende Frauenfigur ist die rund 50-jährige Schauspieldiva Rebecca. Ihr oranges Outfit hat Pihlström mit Vulva-artigen, leuchtenden Spiegeln aufgerüstet: Frauen waren nämlich einst nichts als Projektionsfläche fürs männliche Begehren, und Rebeccas Generation hatte gelernt, dies auszuspielen, statt darüber zu jammern – und im Alter brav unsichtbar zu werden. Rebecca hat damit allerdings ihre Probleme.

Besonders, als Oscar sie – die er einst angehimmelt hat – auf seinem Insta-Account heruntermacht: Sie sei alt, «auch auseinandergegangen, verlebt, schlechte Haut, ein schmuddeliges, lautes Weibsstück. Eine einzige Katastrophe.» Karin Pfammatters Rebecca schlägt online zurück. Mit ihrer neuen Nähe zu feministischen Kreisen – und auch zu Zoé – schafft sie es, sich gegen die konventionellen Zuschreibungen zu wehren: Sie steigt buchstäblich aus den Spiegeln aus. Und in einen Drogenentzug ein.
Virginie Despentes hat aus der Dreierkonstellation eine Art Briefroman gewonnen, ein sich digital entwickelndes Gespräch über alte und neue Frauen- und Männerrollen, über Freundschaft und die Schwierigkeit, die eigenen Schwächen zu überwinden – von Sucht (Heroin, Kokain, Alkohol) über Selbstmitleid bis zu Sexismus. Es ist ein überraschend versöhnliches Werk dieser Ikone der Punkliteratur, der einst die Vergewaltigungs- und Rachefantasie «Baise-moi» (1994) den Durchbruch brachte.
Auch die Bissigkeit der «Vernon Subutex»-Trilogie (am Zürcher Theater Neumarkt 2019 beinhart umgesetzt) fehlt hier, bei aller Gegenwartskritik. Ja, irgendwann könnte man sich in echt treffen, schreibt Rebecca in den letzten Sätzen des Romans. Das Theaterstück endet dagegen mit einem streitbaren Epilog Zoés, einem Aufruf zum wahren Feminismus, der nicht in giftige Fraktionen zersplittert.
Das Duo Neukirch und Pfammatter rettet den Abend
Zwischen den Klappstühlen der Narcotics-Anonymous-Runde schnurrt die Geschichte zum Glück dennoch recht kurzweilig, teils gar komödiantisch ab, passend aufgepoppt mit Katy Perry («I Kissed a Girl») und, natürlich, Billie Eilishs «Barbie»-Film-Hit («What Was I Made For»).
Das Duo Neukirch und Pfammatter bricht den schweren Symbolismus, die laute Konzepthaftigkeit mit seinem leichtfüssigen, flottmündigen Spiel. Da geht man mit. Man könnte auch sagen: Die beiden retten den Abend.
Wie virtuos Neukirch seinen Oscar zwischen Macho, Weichei und geläutertem Gutmensch schwanken lässt, wie überzeugend Pfammatters Rebecca sich mal als unsentimentale Powerfrau, mal als verletzte Seele durch ihren Alltag kämpft: Das hat Applaus verdient – und an der Premiere auch erhalten.
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