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Meinung

Über-Performer
Lasst die Krise doch einfach Krise sein

Die deutsche Influencerin Caro Daur machts vor: Einfach rumsitzen ist nicht.
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Es gibt auch in der Krise Menschen, die besonders gut performen. Man hört von Japanisch-Lernern im Selbststudium, sieht auf Facebook Leute, die herzhaft in ihr selbst gebackenes Brot beissen, nun, da sie Zeit dafür haben; Bekannte erzählen von Plänen, ihren Balkon in ein demnächst blühendes Paradies zu verwandeln, sie hätten eine gute Gärtnerei, die liefere. Der eine oder andere scheint es sich auch im Ohrensessel gemütlich zu machen. Wann, wenn nicht jetzt, ist der ideale Zeitpunkt, Thomas Manns «Zauberberg» zu lesen (thematisch naheliegend) oder (noch naheliegender) in Albert Camus’ «Die Pest» zu schmökern?

Als sei das Wesen der momentanen Krise lediglich eine Verlagerung von einem Leben mit Öffentlichkeit in eines ohne, prasseln nun fortwährend Angebote ein, sich dann eben zu Hause fortzubilden oder zu stählen. Fitnessstudios bieten Online-Tutorials für Gymnastik auf dem Wohnzimmerteppich, und das Kulturangebot, nun komplett ins Internet gewandert, ist dermassen ausladend, dass jeder, der davon nicht wenigstens ein bisschen Gebrauch macht, sofort ein schlechtes Gewissen kriegen muss. Schliesslich fliegen da live die Herzchen und andere Emojis nur so über den Bildschirm, und man wird dabei das Gefühl nicht los, dass es vor allem um eines geht: das Dabeisein zu dokumentieren. Jedes einzelne ist ein gut gemeintes, oft rührendes Angebot – durch die Fülle aber schwingt die stille Aufforderung mit, sich in Zeiten wie diesen gefälligst nicht hängen zu lassen.

Wie schafft man mehr als einen Marathon zu Hause in der Wohnung? OL-Läufer Matthias Kyburz lief 50 Kilometer in knapp drei Stunden auf dem Heim-Laufband: Weltrekord.

Wenn Menschen sich bedroht fühlen, und das Coronavirus ist eine Bedrohung, reagieren sie auf drei unterschiedliche Arten: «Freeze» – «Flight» – «Fight» nennt man das in der Psychologie. «Freeze» ist das Erstarren, Stehenbleiben, Verharren. «Flight» ist die Flucht, die auch eine gedankliche sein kann, man fängt an, an Verschwörungstheorien zu glauben, versucht, sich die Situation schönzureden . Und «Fight»? Das ist der Widerstand, das aktive Handeln. Dieses Handeln kann in alle Richtungen gehen; die Optimierung des eigenen Selbst, um nach der Krise als schlauerer, belesenerer, fitterer Mensch wie Phönix aus der Asche aufzutauchen, ist da nur eine Variante. Und im Prinzip wäre dagegen nichts einzuwenden, soll doch jeder in seiner Zeit machen, was er will und was er kann, zielte dieser Aktivismus nicht so häufig auf Aussenwirkung und würde er dabei nicht unmissverständliche Botschaften senden: Nur was effizient und optimiert ist, ist auch wertvoll, und wenn es die eigene Halbquarantäne ist. Einfach rumsitzen ist nicht. Nur wer handelt, hat – zumindest in seinen eigenen vier Wänden – noch alles im Griff. Ich leiste, also bin ich.

Die Krise? Ist in dieser Logik eine Chance, die es zu nutzen gilt. Der jetzt erzwungene Stillstand? Ist eine Phase der Entschleunigung mit ungeahnten Möglichkeiten der Musse. Diese gelassene Sichtweise kann nur haben, und das macht es dann doch zum Problem, wer keine kreisenden Gedanken kennt, keine wirtschaftlichen Nöte, keine Sorgen um ältere Angehörige, wer nicht nachts wach liegt und nicht tagsüber froh ist, wenigstens über ausreichend Energie zu verfügen, um sich grundzuversorgen. Der Entschleunigungsromantik kann nur anhängen, wer gerade nicht in systemrelevanten Berufen arbeitet oder sich nicht hochgradig verdichtet und beschleunigt zu Hause zwischen Homeoffice und Homeschooling wiederfindet in einem Ein-Personen-Stück mit Rollen als Vater oder Mutter, Lehrer oder Lehrerin, Arbeitnehmer oder Selbstständige.

Jetzt schlägt seine grosse Stunde: Koch und Youtube-Star Gaz Oakley.

Für all jene ist die nach aussen getragene Leistungsschau anderer der blanke Hohn mit einem blöden Beigeschmack, nämlich sich trotzdem ein bisschen schlecht zu fühlen: Warum kriege ich das nicht hin? «Es macht mich fertig», schrieb Max-Jacob Ost, Moderator des Fussball-Podcasts «Rasenfunk» und alleinerziehender Vater von Zwillingen, vor wenigen Tagen auf Twitter, «dass ihr Dinge schafft. Ich halte gerade so den Kopf über dem Wasser des Alltags. Wenn ich aufgeräumte Keller, geputzte Fenster oder Netflix-Marathons sehe, fühle ich mich wie auf einem Trabanten zu eurem Planeten.» Die Liste der Antworten darauf zeigt, wie vielen er damit aus der Seele gesprochen hat: «Dem kann ich nur zustimmen», «Ich kann kein einziges Selbstverwirklichungsprojekt mehr sehen», «Solange am Ende des Tages alle gesund sind, war es ein erfolgreicher Tag».

In Wirklichkeit allerdings leben diejenigen auf einem Trabanten, die nun alles auf die Reihe kriegen – und der Rest auf dem Planeten Erde. Auf diesem Planeten sind die echten Performer eher nicht zu Hause zu finden, sondern vor allem in Kliniken, Supermärkten, Pflegeheimen. Auf diesem Planeten laufen ganze Gesellschaften sinnbildlich durch einen Tunnel. Wer Zeit, Musse und Nerven hat, während dieses Laufens auch noch sein Gehirn zu trainieren oder besondere Bewegungsabläufe einzustudieren, der kann das gerne machen. Aber er soll andere damit nicht behelligen. «Ich nenne die Phase jetzt exponentielles Währenddessen. Das Davor kenne ich schon, das Danach kenne ich noch nicht. Dadurch, dass ich jetzt überlebe, gehe ich davon aus, es auch in Zukunft zu tun. Und dabei weiter die Heizung aufdrehen zu können. Das ist wirklich nicht wenig», schreibt die Kulturwissenschaftlerin Hanna Engelmeier auf Twitter.

Ein Währenddessen, ein Stehenbleiben, ein Ertragen, ein Aushalten dieser Krise, die erst mal eine Krise und keine Chance ist: Vielleicht ist das für die meisten einfach der adäquatere Zustand. Stillstehen, wenn alles stillzustehen scheint. Zweifel zuzulassen, statt Projekte anzugehen. In den wenigen Momenten der Ruhe aus dem Fenster Kohlmeisen in der Freiheit zuschauen, nur das.