Schriftsteller Blaise HofmanEr hält den Bauern schonungslos den Spiegel vor
Einst hat Blaise Hofmann dem Land den Rücken gekehrt, um in der Stadt zu schreiben. Jetzt hat er mit «Faire paysan» das Buch der Stunde zur Landwirtschaft geschrieben – und ein Feuer entfacht.
Ein Besuch in Reverolle, hoch über dem Léman, es deutet sich ein sonniger Tag an, die ersten Kirschbäume blühen. Von einem Frühling der anderen Art zeugen einige der Ortsschilder, die noch immer auf dem Kopf stehen: Die Schweizer Bauern begehrten auf Anfang Jahr, fuhren mit ihren Traktoren vor, in der Westschweiz, im Bernbiet, im Toggenburg. Aber alles verlief gesittet im Vergleich zu den wilden Protesten im Ausland.
Blaise Hofmann bittet zu Tisch. Seit seinem Buch «Faire paysan» gilt der Westschweizer Schriftsteller als Bauernversteher: Auf dem Land fühlt man sich von ihm gehört, in der Stadt im positiven Sinne belehrt. In diesen Tagen erscheint das Buch auf Deutsch, in der Romandie ist Hofmann damit noch immer mehrmals die Woche auf Tour, die Proteste der Landwirte haben ihm neuen Schub verliehen.
Hofmann besucht Bauern, Parteien, Versammlungen, und obwohl er sich nie als ein solcher verstehen würde, ist er in diesen Zeiten auch ein Vermittler zwischen zwei Welten, die er von seiner Hochebene aus beide im Blick hat: die urbane Ballung am See zur einen, die Gehöfte der grossen Bauernkantone Waadt und Jura zur anderen Seite.
Die Faust im Sack statt das Herz auf der Zunge
In der Deutschschweiz ist Hofmann ein Unbekannter. «Faire paysan» ist erst sein zweites aus über einem Dutzend Werken, das übersetzt wird (auf Deutsch trägt es den etwas umständlichen Titel «Die Kuh im Dorf lassen»). Dabei schreibt der 45-Jährige seit seinem Studium, seit mehr als zehn Jahren lebt er davon, hat daneben noch eine Hektare Weingut, von dem er etwa 8000 Flaschen pro Jahr verkauft. Zu wenig, um nur Winzer zu sein, «und genug, um mir damit die Welt der Landwirtschaft zu erschliessen», wie er lächelnd erklärt.
Sein Resümee der Schweizer Agrikultur ist so detailliert wie schonungslos geraten, alle bekommen sie dabei den Spiegel vorgehalten: die gierigen Grossverteiler, die ihre Margen schamlos immer weiter in die Höhe treiben, die Scheinvertreter der Landwirtschaft im Parlament, die Bauern in der Opferrolle, die allzu oft die Faust im Sack ballen, anstatt das Herz auf der Zunge zu tragen. Hofmann schaute dafür beim Grossbauern genauso vorbei wie beim technikverliebten Smart Farmer, liess sich die Unterschiede zwischen Bio-, Demeter- und herkömmlichem Anbau genau erklären. «Es ist ein Buch geworden, das mir gleicht», sagt er, «ich habe keine festen Überzeugungen, habe mich immer zu Stadt und Land hingezogen gefühlt.»
Natürlich war es auch die eigene Vita, die dem Bauernsohn Hofmann Zugang zur Materie verschafft hat. Dennoch hätte er sich vor über zwanzig Jahren, als er den Hof seiner Eltern in Villars-sous-Yens Richtung Lausanne und Universität verliess, nie vorstellen können, einmal ein Buch über die Landwirtschaft zu schreiben. Ihn interessierte alles andere, die Stadt, die Literatur, der Journalismus, die weite Welt. Auf ausgedehnten Reisen stellte Hofmann fest, wie viel mehr die Ernährung in anderen Kulturen ausmacht, im Budget, im Arbeitswesen, im Alltag. Schweizer Haushalte planen gerade mal noch sieben Prozent ihrer Ausgaben für Lebensmittel ein. Und welchen Stellenwert räumt man da der Landwirtschaft ein?
Die Entwicklung des Bauerntums, dieser Imagewechsel von identitätsstiftenden Ernährern in Kriegszeiten über einen stolzen, florierenden Berufsstand in den 70er-Jahren bis zu Dienstleistern eines subventionierenden Staates, zeichnet Hofmann gekonnt nach und markiert als Wendepunkt das Jahr 1996. Die grösste Bauerndemo der Geschichte mit 15’000 Teilnehmern und Scharmützeln in Bern, BSE und Rinderwahn, Notschlachtungen – und schliesslich die Einführung der Direktzahlungen. Von einem Tag auf den nächsten wurden die Bauern von stolzen Alleinunternehmern zu streng kontrollierten Bundesangestellten. Landwirtschaft als Service public, «das kennen wir doch von irgendwoher», sagt Hofmann, lacht und setzt an zu einem kaufmännischen Impromptu über die Schriftstellerei: 2.50 Franken sieht er als Autor von einem Buch, das 25 Franken kostet, was ihn an die Milch im Supermarkt erinnert.
Mit «Faire paysan» landete Hofmann den grossen Wurf. Noch nie hatte er auf eines seiner Werke so grosses Echo, und er sieht sich plötzlich auch als «porte-parole» vereinnahmt, als Sprachrohr. Es sei, so steht es im Buch, beim Schreiben gewesen, als hätten sie ihm alle über die Schulter geschaut: Eltern, Grosseltern und Cousins, all die landwirtschaftlichen Verwandten, deren Soziologie er sich aufmachte zu erkunden.
«Die Wut muss raus, die Bauern müssen sich ausdrücken»
Das ist ihm meisterhaft geglückt. Von seiner Hochwarte über dem Genfersee hat Hofmann einen unverstellten Blick auf den Patienten Schweizer Bauer, bei seiner Anamnese setzt er vor allem im Kopf an.
Das Milieu sei kontrastreicher, als es auf den ersten Blick wirken möge, sagt Hofmann. Man sehe: hoch technisierte Betriebe, im Verhältnis zum Normalbürger ein riesiger Landbesitz. Und man wisse: Arbeitswochen um die 55 Stunden, heruntergerechnete Stundenlöhne von 17 Franken. Im Habitus eine stolze Unabhängigkeit, ein unbändiger Freiheitsdrang auch, «doch eigentlich ist der Schweizer Bauer ein Funktionär, alimentiert vom Staat».
Bei älteren Bauern beobachtet Hofmann eine passive Opferhaltung, ein Stillstand, in dem man sich höchstens noch für die Beschwerde gegen aussen richte, alles andere fresse sich nach innen und führe in den schlimmsten Fällen zu den bekannten Auswüchsen im landwirtschaftlichen Berufsfeld: Depression, Burn-out, Suizid.
Deswegen begrüsst Hofmann die Revolten bis zu einem gewissen Grad. «Die Wut muss raus, die Bauern müssen sich ausdrücken.» Als zu Jahresbeginn die umgedrehten Ortsschilder auftauchten, im Lavaux, im Gruyère, in den Franches-Montagnes, war das für ihn keine Überraschung – längst hatte er das verhältnismässig feine Protestmittel auf seinen Lesetouren in Frankreich bemerkt.
Hofmann war mit seinem Buch schon in Paris, Toulouse, Montpellier, in Belgien. Das Interesse ist ungebrochen, an diesem Abend nach dem Interview fährt Hofmann noch nach Saignelégier, tief im Jura, im Gepäck wie immer: Bücher, aber auch Wein. «Manchmal hilft es, bin ich nicht nur der Schreiber.»
Vor allem aber ist Hofmann ein guter Zuhörer. Eine Stunde dauern seine Lesungen, die Diskussionen danach dann zwei, auch mal drei Stunden, «es ist ein kleines Tribunal». Man konfrontiere ihn mit seinen Beobachtungen, er könne kontern – und am Ende sei da mehr Verständnis als zuvor. Steriler gerieten seine Begegnungen mit Politikern. Der Grosse Rat des Kantons Waadt lud ihn zur landwirtschaftlichen Debatte, «da hätte ich mir das Feuer aus den Lesungen gewünscht».
Es ist erstaunlich, was der kleine Schriftsteller Hofmann in der politisch mächtigen Welt der Landwirtschaft bewegt hat. So wird im Buch etwa das Geschäftsmodell der Fenaco, der grössten Agrargenossenschaft des Landes mit acht Milliarden Franken Umsatz und der Kontrolle über Saat- und Düngemittel, genau beleuchtet. Prompt ist Hofmann zum Essen mit einer Direktorin eingeladen worden. Ebenso landete er im Rotary-Club Lausanne an einem Tisch mit dem Chef von Migros Vaud und diskutierte mit ihm über die Lebensmittelmargen. «Sympa», sagt Hofmann nur und schmunzelt.
Am Ende sieht er weniger schwarz für die Branche, als sein Buch es vermuten lassen würde. Zwar fehle in der Schweizer Landwirtschaft ein einheitlicher Zukunftsplan, doch den Graben zwischen Stadt und Land sieht er weniger tief, als viele ihn beschwören. «Es gibt eine Neugier von der Stadt aufs Land, die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben sie verstärkt», sagt Hofmann. «Man fragt sich: Was essen wir? Wie funktioniert dies, wie das? Vielleicht hat man angefangen, Bier zu brauen.» Es bewegt sich etwas, im Frühling.
Fehler gefunden?Jetzt melden.