«Power 100»-RankingKryptokunst auf Rang eins
Das renommierte Magazin «Art Review» veröffentlicht seine Liste der 100 Einflussreichsten im Kunstbetrieb. Nicht alle sind Menschen.

Am Mittwoch wurde in Miami Beach (USA) die Art Basel für das Publikm eröffnet, und «Vanity Fair» prognostiziert nach der Dürre der Corona-Pause eine Rekordmesse. Es werde die Art Basel mit den «meisten Events aller Zeiten», jubelt die Zeitschrift: «Die Kunstkäufer, die Birkin-Taschen-Trägerinnen, die champagnertrinkenden Netjets-Kunden haben endlich ein pan-kulturelles Ereignis, bei dem Dabeisein unter pandemischen Gesichtspunkten nicht nur unbedenklich ist, nein, es ist praktisch Pflicht.»
«Really?», fragt man sich im hiesigen Schnee- und Virensturm.
So unterschiedlich kann die Sicht auf die Welt sein, auch auf die Kunstwelt. Und genau diese Disparatheit und Ungleichzeitigkeit spricht auch aus der «Power 100»-Liste, die am Mittwoch von der Zeitschrift «Art Review» veröffentlicht wird.
Das jährliche Ranking mit den «mächtigsten Personen der Kunstwelt» ist Zeugnis eines schwindelerregenden Neben-, Unter- und Hintereinanders von Technologien, Strömungen, Wertesystemen, die die Kunst zu einem immer schwerer definierbaren, dafür aber vielleicht immer interessanteren Gebilde macht.
Fixierung auf das Eigentum
Noch vor wenigen Jahren waren auf dieser Liste vor allem Künstler, Händlerinnen, Kuratoren und Mäzeninnen verzeichnet, mal rutschte Gerhard Richter ein paar Plätze hoch, mal ein paar runter. Jetzt fehlt er ganz. Erst kamen die Kollektive zu den Einzelgenies hinzu. Dann die Theoretiker. Und im letzten Jahr folgten mit «Black Lives Matter» und #MeToo soziale Bewegungen.
In diesem Jahr nun steht auf Platz eins nicht mehr einer oder viele Künstler, sondern «ERC-721» das Protokoll für Non Fungible Tokens (NFTs) von Etherium, eine Software also. Die Wahl ist konsequent: Über nichts wurde in der Kunst in den letzten Monaten so viel gesprochen wie über Kryptokunst, nur spielt bei dieser das Kunstwerk selbst kaum eine Rolle. Was zählt, ist die Fixierung des Eigentums.
Pilze werden alles überleben
Schon mit Platz zwei wechselt die Liste aber die Richtung. Er gehört Anna L. Tsing, einer amerikanischen Anthropozän-Forscherin, die mit «The Mushroom at the End of the World» bekannt wurde, einer Studie über den Matsutake-Pilz, der am besten in Landschaften wächst, die vom Menschen manipuliert wurden.
Die ersten echten Künstler stehen auf Platz drei: das indonesische Kollektiv Ruangrupa, das im nächsten Jahr die Documenta leiten wird. Nur machen auch Ruangrupa keine Kunst im engeren Sinne. Sie organisieren Communities, sie sorgen für Austausch und Vernetzung. Und dieser wilde Mix setzt sich bis zum Platz 100 fort.

Es finden sich immer noch Künstlerinnen und Künstler wie Theaster Gates, Anne Imhof oder Kara Walker. Und auch die Grossplayer des Kunstbetriebs sind wieder dabei, die Galeristen David Zwirner, Iwan Wirth und Larry Gagosian oder die milliardenschweren Mäzeninnen Miuccia Prada, Maja Hoffmann und Sheikha Hoor al-Qasimi. Künstlerinnen und Künstler aus der Schweiz finden sich keine, dafür steht der Schweizer Kurator Hans-Ulrich Obrist auf Platz 40 und Marc Spiegler als Chef der Art Basel auf Platz 70.
Denker und Philosophinnen
Doch es stehen da aber eben auch Denker, die mit Kunst bis vor Kurzem gar nicht assoziiert wurden: Achille Mbembe (Platz 14), Judith Butler (37) oder der Archäologe David Wengrow, der mit dem vor einem Jahr verstorbenen Anthropologen David Graeber auf Platz 10 gelistet ist – wohl wegen ihres gemeinsamen Buchs «The Dawn of Everything», das nicht weniger sein will als eine «Neue Geschichte der Menschheit».

Allerdings wird man den Verdacht nicht los, dass auch diese Liste selbst im radikalen Geist vieler entstanden ist, die auf ihr stehen. Vielleicht ging es eher darum, eine utopische Welt zu entwerfen statt die reale abzubilden. Einer, in der die linke Künstlerin Hito Steyerl (17) mächtiger ist als der Luxusmagnat François Pinault (33). Eine, in der sich James Murdoch, der sich mit Vaters Geld bei der Art Basel eingekauft hat, hinter dem Postkolonialismus-Künstler Kader Attia einreihen muss. Und eine, in der Mark Zuckerberg auf dem letzten Platz dankbar sein darf, überhaupt erwähnt zu werden.
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