Wahre Herkunft der CarbonaraKommt das italienische Nationalgericht aus Amerika?
Ein italienischer Professor will herausgefunden haben, dass die Carbonara aus den USA stammt. Die Aufregung in seiner Heimat ist gross.
Die Italiener und ihr Essen. Es sei hier gleich die pauschale und empirisch unhaltbare These gewagt, dass den Italienern neben der Familie nichts wichtiger ist, nichts heiliger als ihre Küche. Viel wichtiger noch als ihre Mode, das Design, sogar als der Fussball.
Und so rauscht jedes Mal eine Welle der Empörung durchs Land, wenn sich jemand erfrecht, ein bisschen an den Grundpfeilern gastronomischer Selbstverständlichkeiten zu rütteln, an der Herkunft von Gerichten, an der Tradition von Rezepten. Besonders gross gerät die Welle, wenn das Gerüttel aus dem Ausland kommt und, Gott behüte, aus Frankreich.
Diesmal aber rüttelt ein italienischer Professor. Alberto Grandi, 56 Jahre alt, aus Mantua, unterrichtet Geschichte der Ernährung an der Universität von Parma. Vor ein paar Tagen gab er der «Financial Times» ein Interview. Die Zeitung wollte von Grandi wissen, was er denn vom Versuch der italienischen Regierung halte, die Cucina Italiana bei der Unesco als immaterielles Weltkulturerbe registrieren zu lassen. Und so stand Grandi der Sinn danach, mal mit ein paar Mythen aufzuräumen, wie sie auch in den Bewerbungsunterlagen stehen.
Zubereitet wurde die Pasta mit dem, was die amerikanischen Supermärkte hergaben.
Die Pasta alla carbonara etwa, ein Paradegericht der römischen Küche, komme ursprünglich aus Chicago, sagt Grandi. Erfunden hätten sie italienische Emigranten, die das Vaterland zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts verlassen hatten, weil sie Hunger und Misere litten. Zubereitet wurde die Pasta mit dem, was die amerikanischen Supermärkte hergaben. Nach Italien kam die Carbonara erst später, vielleicht 1953. Es gibt auch die These, wonach Soldaten aus den USA, die im Zweiten Weltkrieg in Italien stationiert waren, eine rudimentäre Carbonara erfunden hätten und dafür Zutaten zusammenwarfen, die sie kannten: Spaghetti, Bacon, Ei, Pfeffer. Italienische Köche hätten sie nur verfeinert.
Aber darf man das sagen? Darf man eher nicht, jedenfalls nicht im Ausland. Roms rechte Regierung vermutet gar eine antiitalienische Verschwörung dahinter, eine Kampagne gegen die Kandidatur des Landes bei der Unesco. Matteo Salvini, Vizepremier des Landes mit instinktiven Reflexen, spürt «Neid»: Das Ausland neide den Italienern ihre grossartige Küche. Das mag insgesamt sogar stimmen. Aber wie das mit dem Italiener Grandi zusammengeht? Der redet schon lange so. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel «Denominazione di origine inventata», eine ironische Abwandlung des Herkunftssiegels «Denominazione di origine controllata»: erfundene Herkunft also. Es gibt auch einen gleichnamigen Podcast.
«Küche ist Kontamination»
Diskutiert wird darin selbst die Pizza, die in Neapel ja zunächst als Süssspeise populär wurde. Ist sie überhaupt so einzigartig, wie die Neapolitaner sie gern hätten? Oder haben sie die Italiener nur sehr gut verkauft? Und was ist mit dem Parmigiano Reggiano? Kann es sein, dass ihn die Käser in Wisconsin ursprünglicher herstellen als die Käser rund um Reggio Emilia, weil sie von den emilianischen Emigranten gelernt haben? Grandi sagt, es gebe eben keine Identität zu Tische, schon gar keine pure: «Küche ist Kontamination.» Verschmelzung – oder wie man auch sagt: Fusion. Die Puristen hassen das Konzept.
Auf dem italienischen Fernsehsender Nove gibt es eine populäre Gameshow, sie heisst «Little Big Italy», es läuft die sechste Staffel. Der Römer Francesco Panella, Sohn einer bekannten Wirtsfamilie, reist durch die Welt auf der Suche nach den besten italienischen Restaurants im Ausland, die ihm drei italienische Expats, die er «meine Schutzengel» nennt, in den jeweiligen Städten vorschlagen. Gerade waren Dublin, Wien und Tel Aviv dran.
Grandi sagt, viele sakrosankte Rezepte seien in Wahrheit oft jung, keine 30, 40 Jahre alt und recht zufällig gereift.
Die Teilnehmer bewerten sich gegenseitig. Am Ende vergibt Panella eine Note für «Italianità» – 1 bis maximal 10 Punkte, mit der er den Zwischenstand gern und willkürlich über den Haufen wirft. Es ist der Ritterschlag des Cheftraditionalisten, des Oberpuristen. Nichts lässt er durch, nicht die geringste Abweichung vom Kanon. Panna, Sahne also, geht gar nie. Pecorino in der Carbonara? Auf ewig unverhandelbar. Pancetta statt Guanciale in der Amatriciana? Ein Sakrileg, ein Störmanöver in der gastronomischen Liturgie.
Das ist lustig, schrullig. Manchmal ist der Reflex aber auch etwas traurig – wie jeder Puritanismus, gerade wenn er in dümmlichen, geschichtsvergessenen Nationalismus kippt. Grandi sagt, viele sakrosankte Rezepte seien in Wahrheit oft jung, keine 30, 40 Jahre alt und recht zufällig gereift. Von wegen Ewigkeit.
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