Kolumne «Fast verliebt»Bereit für die Zukunft?
Warum wir niemals etwas in Angriff nehmen, wenn wir abwarten, bis wir ganz und gar bereit sind. Es ist Zeit – legen Sie los!
Zeit ist ein komisches Konzept. Gerade um die Jahreswende spüre ich es wie die Erbsenprinzessin die Erbse: Dann schlafe ich manchmal schlecht. Ich denke daran, was ich erreicht habe. Und was ich noch erreichen will. Bedrückenderweise liegt da diese doofe Erbse unter der Matratze: die Tatsache, dass wir endlich sind. Der Sand der Zeit rieselt durch die Uhr, und irgendwann ist es rum.
Mir kommt es so vor, als würden wir in dieser einen Sekunde des Jahreswechsels, in dieser einen Sekunde, die den 31. Dezember des alten Jahres vom 1. Januar des neuen Jahres trennt, alle eine Zeitreise machen. Wir sitzen in einer Zeitfahrmaschine und düsen durch diese wabbelige, komische, scheinbar endlose, aber doch endliche Masse, die wir Zeit nennen. Von jetzt auf gleich: Raus aus der Vergangenheit, rein in die Zukunft.
In einer Light-Version machen wir dabei alle so ein klitzekleines bisschen den Zyklus von Tod und Neugeburt durch. Gerade war da noch diese abgehängte, erschöpfte Endjahresenergie (halb wahr, halb ausgelöst durch die Überzuckerung der Weihnachtszeit). Und dann ist da plötzlich der Neuanfang, die frische Januarluft: Ein jungfräuliches Jahr liegt vor uns! Die Zukunft ist da.
Aber sind Sie auch bereit dafür? Sind Sie bereit für Ihre eigene Zukunft? «Heute ist der erste Tag vom Rest Ihres Lebens»: Das klingt auch ein bisschen gruselig, oder?
Vor vielen Jahren war ich mit einem jungen Schauspieler befreundet. Direkt nach der Ausbildung wurde er an einem der renommiertesten Theater im deutschsprachigen Raum angenommen. Aber er hatte andere Träume. Film, Kino — Hollywood! Ich fand das nie albern. Ich mag Menschen, die den Mut haben, etwas vom Leben zu wollen und gross zu träumen. Und der Junge hatte es in sich!
Aber er hatte auch ein Problem: Er fühlte sich nie bereit. Zwischen sich und den Moment, in dem er seinen Traum in Angriff nehmen wollte, stellte er immer irgendeinen Popanz: Er muss noch abnehmen. Er will noch mal mehr Muskeln aufbauen. Jetzt geht es gerade nicht, weil seine Freundin gegangen ist und er jetzt Liebeskummer hat. Aber irgendwann! Eines Tages! Wenn er so weit ist! Dann nimmt er es in Angriff. Dann bewirbt er sich bei einer erstklassigen Agentur und dann müssen sich alle mal anschnallen.
Aber der Tag, an dem er sich stark genug, schön genug, fähig genug … kurzum: gut genug, fühlte für seinen Traum, der kam nie. Heute ist er über 40 Jahre alt, hat ein Kind bekommen, verliert die Haare und der Moment, ein Filmstar zu werden, war ehrlich gesagt schon mal besser.
Was ist es bei Ihnen: Was müssen Sie unbedingt tun?
Endlich Nähen lernen, Ihre Schwester anrufen, mit dem Fahrrad der Donau entlang, ein Testament aufsetzen, ein Baby bekommen: Irgendeine Erbse liegt doch immer unter der Matratze. Ignorieren Sie sie nicht.
Es ist Zeit. Legen Sie los.
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