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Roman von Ilona Hartmann
«Es geht um drei junge Menschen, denen man permanent eine reinhauen will»

Ilona Hartmann (34) zog aus einer Kleinstadt zuerst nach Leipzig, dann nach Berlin. Sie studierte Kulturwissenschaften und arbeitete unter anderem für «Zeit online» und die «heute-show».
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Ilona Hartmanns neuer Roman ist langweilig. 192 Seiten lang passiert fast nichts. Und genau darum ist «Klarkommen» so gut. Die Autorin erzählt von Jugendlichen, denen das Erwachsenwerden zu schnell geht. Die Erwartungen an das Leben haben, die nicht erfüllt werden. Und denen Sachen eher passieren, als dass sie sie planen. «‹Klarkommen› spinnt ein dichtes Netz aus Ereignissen, die irgendwie geiler hätten laufen können», schreibt Hartmann selbst auf X.

Der Roman ist einerseits ein Realitycheck, andererseits ein Plädoyer für das alltägliche Leben und die Banalität des Seins. Die Wirklichkeit ist eben nicht so spannend, wie wenn man davon erzählt (darum schreibt und liest man wohl Bücher). Als «Entlastungsliteratur» beschreibt es die Autorin selbst. Für Menschen, die nicht so frei und jung sein konnten, wie sie gern gewesen wären, und Angst davor haben, nicht krass genug gelebt zu haben. Der Roman beschreibt den Kontrast zwischen dem Unendlich-viele-Möglichkeiten-Haben und der Angst, sie wahrzunehmen.

Zu schwach für Punk und zu arrogant für den Rest

Eine namenlose Icherzählerin erzählt von ihrer Jugend in der Kleinstadt: vom langweiligen Abiball, vom Draussenrumsitzen, weil man nicht in die immer gleiche verstaubte Bar will, von 40-minütigen Zugfahrten in die nächstgrössere Stadt und von irgendwem, der sich irgendwie zusammenreissen muss. Die Eltern während der Scheidung oder die Kinder am Familienfest: «Die kleine Stadt und alles in ihr und um sie herum wurde dadurch zusammengehalten.»

Nach dem Abitur der Umzug in die Grossstadt. Aus Zusammenreissen wird Klarkommen. Klarkommen mit der Uni, mit neuen Freunden, mit den News und dem «apokalyptischen» Geist der Zeit. «Alles in der neuen Stadt fiel mir schwer. Ausgehen, drinbleiben, hineinfinden, mitmachen, loslassen, ausatmen», sagt die Erzählerin. In der Grossstadt ist eben doch nicht alles besser, sondern genau gleich. Nur dass es nicht mehr 40 Minuten, sondern 40 Sekunden dauert zu allem, was sie sich wünscht.

Wirklich spannend sind die Erzählungen von Nebenfiguren, die nur angeschnitten und nicht ausgeführt werden. Die Hauptfiguren haben wenig Tiefe. Das sollen und brauchen sie auch nicht, denn es sind junge Menschen, die alles haben, was sie wollen, und gleichzeitig nicht genau wissen, wie sie damit umgehen sollen.

Sie studieren irgendwas, nur um zu studieren, und machen das Einkaufen zur Freizeitbeschäftigung. «‹Klarkommen› erzählt die Geschichte von drei jungen Menschen, denen man permanent eine reinhauen will», schreibt Hartmann auf X. Und die Erzählerin sagt: «Wir waren zu schwach für Punk und zu arrogant für den Rest. Wir waren nicht rau oder cool oder schön, wir waren einfach nur auch dabei.»

Ilona Hartmann wurde durch Twitter zur Autorin. Sie hat ihren Alltag in kurze Pointen verwandelt und sich so eine Community aufgebaut.

«Klarkommen» ist Hartmanns zweiter Roman. 2020 veröffentlichte sie ihr Debüt «Land in Sicht», stark autobiografisch geprägt. Ihr neuer Roman ist jetzt fiktionaler. Was die 34-jährige Autorin mit ihren Figuren teilt, ist die Erfahrung, jung in eine Grossstadt zu ziehen und erstmals ernüchtert und überfordert zu sein.

Hartmann ist in Backnang aufgewachsen, einer Kleinstadt in Süddeutschland, 40 Autominuten von Stuttgart entfernt. «Ich habe es durchaus so empfunden, dass dort Zusammenreissen und Weitermachen, auch gegen emotionale oder körperliche Widerstände, wichtige Werte sind. Und dass ich in einem Umfeld ohne protestantische Zwänge erst mal orientierungslos war, war ja zu erwarten», sagt sie.

Eine Coming-of-Age-Geschichte, die gar nie richtig anfängt

Den Roman liest man auch gern wegen Szenen, in denen man sich selbst erkennt: der «cremigste Hummus der Welt», der beim Nachmachen doch nicht so cremig wird, der Wollpullover, der schon nach dem ersten Waschen eingeht, und die Liste mit 30 Dingen, die man in der Grossstadt machen wollte, «um sich mehr Lebensfreude anzutrainieren», die dann doch ziemlich anstrengend wirkt.

Als Leserin ist einem das Gefühl vertraut, in solchen Situationen und mit dem Leben erstmals klarkommen zu müssen. Für Hartmann ist «Klarkommen» «die Fähigkeit, das Leben unter Einbezug aller Unmöglichkeiten lebenswert zu machen – aber eben ohne Verbissenheit, ohne Verdrängung und ohne diese grundlegende Härte gegen sich selbst».

Ilona Hartmann wurde bekannt, als X noch Twitter war. Sie hat ihren Alltag in kurze Pointen verwandelt (auch die Interview-Anfrage zu diesem Text?) und sich so eine Community aufgebaut.

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Auf Twitter folgen ihr 26’000 Menschen, auf Instagram mittlerweile sogar 75’000 (für ihr Debüt hat ihre spätere Lektorin ihr auf Instagram eine Direktnachricht geschrieben und sie gefragt, ob sie einen Roman schreiben wolle). Diese humorvolle Kurzform trifft man auch in «Klarkommen» wieder an. Der Roman ist in kurze Kapitel gegliedert, die Kapiteltitel sind nicht nur Form, sondern auch Teil des Inhalts. Das kürzeste Kapitel, «Kneipenjahre», besteht nur aus zwei Worten: «Gabs nicht.» Die Sprache ist direkt, unterhaltsam und nah am Alltag.

Bücher von jungen Menschen über junge Menschen, die ihre Identität suchen und von der Provinz in die Grossstadt ziehen, wurden schon vorher geschrieben. Es gebe nur 36 verschiedene Geschichten auf der Welt, stellt auch eine Figur im Roman einmal fest. Und alle Serien, Bücher und Filme liessen sich auf eine davon herunterbrechen: «Bösewicht gegen Held, Rächer gegen Verbrecher, zwei Liebende gegen ein Hindernis und so weiter.»

Hartmann wagt etwas Neues: «Klarkommen» ist eine Coming-of-Age-Geschichte, die keinen Abschluss findet, ja, genau genommen gar nie richtig anfängt. Diese Langeweile auszuhalten, macht den Roman besonders.

Ilona Hartmann tritt mit «Klarkommen» am 14. April 2024 im Exil in Zürich auf.

Ilona Hartmann: Klarkommen. Park x Ullstein, 2024. 192 S., ca. 33.90 Fr.