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Autorin Katharina Volckmer
Sexuelle Spannungen im Grossraumbüro

Katharina Volckmer (37) promovierte in Oxford und arbeitet heute in London bei einer renommierten Literaturagentur.
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Jimmie arbeitet in einem Londoner Callcenter. Dort muss er die Anrufe für ein Reisebüro entgegennehmen von Leuten, denen entweder nicht passt, dass der Sextourismus in Marokko nicht mehr das ist, was er einmal war, oder wie man sich denn bitte nahtlos bräunen solle, wenn weit und breit kein FKK-Strand in Sicht sei. Jimmie reagiert auf die Beschwerden eher unkonventionell. Er gibt den Leuten seltsame Ratschläge, irgendwo zwischen unterdrückten sexuellen Fantasien und brutaler Offenheit.

Das gibt, wenig überraschend, Ärger mit seinem Chef, in den er dummerweise verknallt ist. Jimmie hadert mit seinem Körper und seiner italienischen Mutter, ist eigentlich ein Einzelgänger im Grossraumbüro, der in jedem Anruf Anlass zur Erregung findet und sich fremde Leute beim Sex vorstellt.

Wenn eine Frau das romantische Spa-Wochenende nur für eine Person möchte, versteht Jimmie das, denn: «Das Wort ‹love› an jeder Wand, die Buchstaben triefend vor Flüssigkeiten nie endender Lust. Schwierig, sich selbst aus so einer Lage herauszuvögeln.»

Kein grosser Verlag traute sich

Die deutsch-britische Autorin Katharina Volckmer ist bereits 2021 mit ihrem ersten Roman «Der Termin» durch ihren eigenwilligen Ton aufgefallen. Er ist oft wahnsinnig witzig und verstörend originell. Hier ist nichts suchend, nein, die Sätze donnern auf einen hinunter, und man liest ihre Romane in einem Zug weg.

Aber kein grosser deutscher Verlag wollte den ersten und jetzt auch den zweiten Roman übersetzen. Zu obszön? Die kleinen unabhängigen Verlage wagten jedenfalls, was sich die grossen Publikumsverlage nicht trauten. Ihr Debüt «Der Termin» erschien im Kanon-Verlag und «Hallo, mein Name ist Jimmie, was kann ich für Sie tun?» im März-Verlag.

Die Autorin wird mit Thomas Bernhard verglichen

«Der Termin» ist ein Buch wie ein Wutanfall. Eine junge Frau kommt zum jüdischen Arzt Dr. Seligman mit dem Wunsch nach einem jüdischen Penis. Sie erzählt ihm von Sexrobotern und Jesusautomaten und Lego-Konzentrationslagern, denn sie leidet nicht nur an einem Körper-, sondern auch an einem Hitlerkomplex. Volckmer lässt ihre Erzählerin radikal über den neurotischen Umgang der Deutschen mit dem Holocaust monologisieren. Der befürchtete Shitstorm blieb aus. Im Gegenteil: Die Kritik war mehrheitlich begeistert.

Ian McEwan sagt über die Autorin, sie sei eine Draufgängerin erster Güte. Und der Kritiker der FAZ schrieb: «Schonungslose wie skandalträchtige Mentalitätsliteratur vom Rang eines Thomas Bernhard». Ein Foto von Thomas Bernhard steht zwar bei der Autorin auf dem Londoner Schreibtisch, aber wo sind die weiblichen Vorbilder? Vielleicht Miranda July für ihr Lebensthema der weiblichen Lust und ihre expliziten Masturbationsfantasien und Joy Williams, was das groteske Erzählen angeht?

«Triumphierender Phallus»? – Nein danke

Bei erotischen Fantasien oder expliziten Sexszenen kann schnell viel schiefgehen. Aber weil immer wieder gute Romane erscheinen, die grauenhaft schlechte Sexszenen enthalten, hat die britische Literaturzeitschrift «Literary Review» den Bad Sex in Fiction Award ins Leben gerufen. 2019 wurde er zum 27. Mal verliehen und danach abgeschafft, man wollte die Menschen in Zeiten einer Pandemie nicht auch noch mit schlechtem Sex beelenden.

Michel Houellebecq hat die Shortlist 2019 knapp verpasst. In seinem Roman «Serotonin» schrieb er: «Sie wartete, bis wir im Wasser waren ... um ihre feuchten Körperteile meinem triumphierenden Phallus anzubieten.» Das muss man sich einmal vorstellen: Ein triumphierender Phallus? Die Jury fand dann aber, die Sexszenen seien im selben Ton wie der Rest des Romans geschrieben, und liess den Autor leer ausgehen.

Er könnte sich bei Katharina Volckmer einiges abschauen. Reduziert und unverkitscht schreibt sie eine grossartige Szene, als Showdown von «Hallo, mein Name ist Jimmie, was kann ich für Sie tun?». «Meine Finger in dir bewegen sich schneller, rein und raus, und ich nehme dich in den Mund, deine Lippen sind schon prall und geschwollen. Ich will dich schmecken und dann tiefer nehmen. Ich packe jetzt deine Backen, Alex, und du greifst meine Haare und presst dich tiefer in meinen Mund. Du umschlingst mich mit deinen Beinen, und mein Mund nimmt dich heftig. Meine Spucke tropft auf deine Fotze.» Telefonsex im Callcenter, als wären es die 90er-Jahre.

Katharina Volckmer schreibt gewandt über Ausscheidungen, Körper, die sich nirgends repräsentiert sehen, Traumata und Intimität. Und wir fühlen uns ertappt, weil wir doch gerne eine Gesellschaft hätten, die von allen Tabus befreit ist – stolpern dann aber doch über unsere Hemmungen. Wie man überzeugend über sexuelle Spannungen schreiben kann? So.

Katharina Volckmer: Hallo, mein Name ist Jimmie, was kann ich für Sie tun? Aus dem Englischen von Milena Adam. März-Verlag, 2024. 208 S., ca. 34 Fr.