Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Chaos im italienischen Fussball
Juventus ist völlig von der Rolle

Um zehn Punkte zurückgerollt: Juventus mit Stürmer Federico Chiesa steht in der Serie A nicht mehr auf Rang 2, sondern nur noch auf Platz 7. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Italiens Fussball erlebt ein barockes Jahr, selbst für seine hohen Standards in diesem Genre. Und zwar in jeder Hinsicht, auf und neben dem Rasen und bis zuletzt. 

Drei Spieltage vor dem normalen Saisonende hat die italienische Sportjustiz Juventus wegen einer Affäre um unlautere Transfergeschäfte zehn Punkte abgezogen und die Tabelle der Serie A auf den Kopf gestellt. Juve stürzte am Montagabend vom zweiten auf den siebten Platz ab, die Teilnahme an den europäischen Wettbewerben ist durcheinandergewirbelt. Nicht zum ersten Mal: Juve waren im Januar schon einmal fünfzehn Punkte weggenommen und dann wieder gutgeschrieben worden, in einem kaum mehr vermittelbaren gerichtlichen Hin und Her. Doch bevor diese sportjuristische Geschichte eine nähere Betrachtung verdient, kann man sich fragen, ob das Chaos um die Sanktionen nicht die gesamte Meisterschaft konditioniert hat – für alle, zuerst aber für Juve selbst natürlich.

Die Juventini liefen sich gerade warm für ihr Auswärtsspiel gegen den kleinen toskanischen Verein Empoli, als sie von der Sanktion des Berufungsgerichts des italienischen Fussballverbands erfuhren. Das Gericht hatte gewartet, bis die Börse geschlossen hatte. Doch das Spiel mochte es nicht abwarten.

Juve verlor 1:4, völlig von der Rolle. Trainer Massimiliano Allegri sprach danach von einem «völlig normalen mentalen Absturz» seiner Mannschaft.

Für den Trainer wars ein «völlig normaler mentaler Absturz»: Massimiliano Allegri beim 1:4 gegen den kleinen FC Empoli. 

Ein Wechselbad der Gefühle erleben auch die vielen Millionen Tifosi des Vereins. Manche finden, die Welt habe sich mal wieder gegen sie verschworen: Nur so lasse sich erklären, dass allein ihre Juve für buchhalterische Tricks bezahle, die ja auch andere Vereine aufführten, wenn vielleicht auch nicht in demselben Mass. Das etwas selbstkritischere Lager unter den Fans hielte es für angebracht, wenn die Verantwortlichen zur Kasse gebeten würden, also die alte Führungsriege um den mittlerweile abgetretenen Präsidenten Andrea Agnelli. Sie, die Fans, und die Spieler bezahlten für das Geschäften dieser Herrschaften. Nun, so leicht sind die beiden Welten natürlich nicht auseinanderzuhalten.

Es kommen viele Indizien zusammen

Juve wird vorgeworfen, es habe über Jahre systematisch die Marktwerte von Spielern künstlich aufgepumpt und damit ihre Bücher geschönt. Die Italiener sprechen von «Plusvalenze». Meistens waren es Spiegeloperationen. Juventus kaufte Spieler X für 20 Millionen Euro und verkaufte seinen Spieler Y an denselben Verein für ebenfalls 20 Millionen. In den Bilanzen wurde der Verkauf in ganzer Höhe ausgewiesen, auf der Plusseite. Der Kauf dagegen wurde über fünf Jahre oder mehr gestreckt, damit er nicht so stark ins Gewicht fiel.

Für Spiegeloperationen braucht es immer einen Gegenpart. Und so merken die Juventini zu Recht an, dass auch andere Clubs dafür belangt werden müssten. Nur: Kein anderer Verein schien daraus ein derart massives System gebaut zu haben wie das Juventus von Andrea Agnelli. Die Turiner Staatsanwaltschaft hat dafür offenbar eine Menge belastendes Material gesammelt: Telefongespräche etwa und das famos gewordene «Schwarzbuch von F. P.», die Initialen stehen mutmasslich für Fabio Paratici, so hiess Juves damaliger Sportchef.

Haben sie die Bücher geschönt? Der damalige Sportchef Fabio Paratici (links) und der mittlerweile zurückgetretene Präsident Andrea Agnelli bei einer Medienkonferenz 2021. 

Erst diese Erkenntnisse der Ermittler brachten den italienischen Fussballverband dazu, Juventus im Januar mit einem Abzug von fünfzehn Punkten zu bestrafen. Die Turiner gingen in Berufung und konnten eine Suspendierung der Strafe erwirken. Das könnten sie nun erneut versuchen, wieder beim zuständigen Gremium im nationalen italienischen Olympiakomitee. Doch die Aussichten sind gering, dass sie damit durchkommen: Das Gremium hat die Grundannahme der «systematischen» Verletzung von Artikel 4 des Kodex des Fussballverbands bereits als hinlänglich belegt erachtet. Im Artikel 4 geht es um sportliche Loyalität. Juventus soll mit seinen Machenschaften alle hintergangen haben.

Die Strafe muss wehtun

Viel diskutiert wurde über die undurchsichtigen Kriterien, die die Richter einmal zu fünfzehn, dann zu zehn Punkten Abzug bewegt haben könnten. Das Sportgericht folgt dem Prinzip, dass die Sanktion den fehlbaren Verein empfindlich treffen muss – und treffen würde es ihn nur, wenn der Punkteabzug die Teilnahme an einem auch wirtschaftlich wichtigen internationalen Wettbewerb vereiteln würde, den er sich sportlich erspielt hätte. Im Fall von Juve waren das die europäischen Wettbewerbe, vorab die Champions League. Damit das Prinzip des beigefügten Harms erfüllt ist, musste Juve also durch den Abzug auf einen Tabellenplatz ohne europäische Glorie zurückfallen.

Die Sportrichter hätten härter sein können: minus elf, wie das der Untersuchungsrichter des Fussballverbands gefordert hatte, oder minus zwölf Punkte. Minus zehn gilt nun als einigermassen milde Strafe. Hätte Juve nämlich gegen Empoli gewonnen, wäre es schon wieder sehr nahe dran gewesen am vierten Platz. Stattdessen ist die Königsklasse aber praktisch ausser Reichweite.

Doch da gibt es noch andere Unwägbarkeiten. Der europäische Verband Uefa hat seinerseits eine Untersuchung gegen Juventus eingeleitet. In Nyon könnte man zum Schluss gelangen, dass die Turiner sich unsportlich verhalten und ihre Regeln des Financial Fairplay verletzt haben. Dann könnte die Uefa den Club für ein Jahr von allen ihren Wettbewerben ausschliessen.

Ausserdem beginnt in ein paar Wochen ein weiterer Prozess, der die Aussichten für die kommende Saison trüben könnte. Diesmal geht es um sogenannte «Manöver rund um die Spielersaläre» während der Pandemie. Juve gaukelte offenbar nur vor, dass seine Angestellten 2020 auf vier Monatsgehälter verzichteten, um dem Verein zu helfen. Das galt damals als vorbildlich, ja als beispielhaft. In Wahrheit aber soll der Club mit den Spielern heimlich ausgemacht haben, dass sie drei dieser vier Löhne im neuen Geschäftsjahr zurückerstattet erhalten würden. Die Öffentlichkeit, die Aktionäre, die Börse – alle erfuhren aber aus einem Communiqué des notierten Vereins, Juve könne dank der Geste seiner Belegschaft etwa neunzig Millionen Euro sparen. Eine sehr unschöne Geschichte.

Gut möglich, dass Juventus in dieser Affäre einen Vergleich mit der Gegenseite anstreben wird in der Hoffnung, mit einer Geldstrafe davonzukommen. Im anderen Fall besteht die Gefahr, dass die siegesverwöhnten Turiner mit Minuspunkten in die nächste Saison starten müssen, mit einem Hemmschuh, schon wieder. Und ob sie dann wohl ihre vielen Stars halten wollen und können? 

In einer früheren Version stand, dass Juve auch Platz 5 zur Teilnahme an der Champions League reichen könnte. Das ist nicht korrekt. Sollte Inter den Final gegen Manchester City gewinnen und sich gleichzeitig über die Liga für die Königsklasse qualifizieren, geht der Startplatz aufgrund der massgebenden Uefa-Fünfjahreswertung an den ukrainischen Meister (und nicht an den Fünften der Serie A).