Angriffiger AuftrittGefallener Hoffnungsträger wehrt sich gegen Putin-Fans
Jean-Daniel Ruch ist wegen eines angeblichen Komplotts nicht Staatssekretär geworden. Nun tritt der scheidende Botschafter mit Rednern auf, die Russlands Präsidenten huldigen.

Fast wäre Jean-Daniel Ruch der erste Staatssekretär für Sicherheitspolitik der Schweiz geworden. Doch nach drohenden Enthüllungen über sein Privatleben verzichtete der jurassische Lebemann im Herbst 2023 auf das neu geschaffene Amt. Und er wird Ende Juni auch seine lange Diplomatenkarriere vorzeitig beenden.
Statt aktuell den Bundesrat und Verteidigungsministerin Viola Amherd in einer unstabilen Weltlage zu beraten, hält Jean-Daniel Ruch nun einen Vortrag. Für seinen ersten öffentlichen Auftritt in der Schweiz seit der Affäre um seine Person hat er einen besonderen Rahmen gewählt: eine Veranstaltung von Aufrecht Zürich, einem politischen Ableger der Corona-Skeptiker, die nun gerne Russland verstehen würden. So steht es in der Ankündigung des Anlasses vom Freitagabend. Thema: «Russland, die Schweiz, die Neutralität».
Putin «hervorragend», Nawalny «Krimineller»
Vor Fast-Staatssekretär Ruch betritt Blogger Peter Hänseler die Bühne des Stadtsaals in Kloten. Hänseler, der in Moskau lebt und auch für die «Weltwoche» schreibt, soll vor rund 300 zahlenden Besucherinnen und Besuchern das «Weltgeschehen aus Sicht eines Russland-Schweizers» erklären. Von Wladimir Putin ist er hell begeistert. In seinem Blog hat Hänseler ihn diese Woche gelobt als «Präsidenten, welcher Russland hervorragend durch Jahre der Krise geführt hat». Die Russen hätten Putin bei der Wiederwahl vergangenes Wochenende «das Vertrauen ausgesprochen, das er sich redlich verdient hat».
Den im sibirischen Straflager umgekommen Oppositionsführer Alexei Nawalny bezeichnete Hänseler hingegen in einem Artikel als «Kriminellen, welcher sich vom Westen im Kampf gegen Russland instrumentalisieren liess». In Kloten behauptet Hänseler, Russland habe sich bemüht, dass der Krieg in der Ukraine nicht eskaliere.
Ruch wird deutlich
Jean-Daniel Ruch widerspricht. Der langjährige Botschafter der Eidgenossenschaft an weltpolitischen Brennpunkten (in Belgrad, in Tel Aviv und bis vor kurzem in Ankara) hält zum Angriff Russlands auf sein Nachbarland unmissverständlich fest: «Es ist eine Aggression.» Er schaut in die Richtung des russischen Botschafters in Bern, der weit vorne im Publikum sitzt, und sagt: «Ich weiss, es ist jetzt eine kalte Dusche.» Aber was Russland im Februar getan habe, erfülle perfekt die Definition einer Aggression.

Ruch betont die Wichtigkeit des Völkerrechts und fordert einen «Waffenstillstand jetzt!». Er bedauert, dass Russland die Schweiz nicht als Mediator akzeptiert, und kritisiert, dass bei der jüngsten Präsidentenwahl keine internationalen Wahlbeobachter zugelassen worden sind. Zum Tod Nawalnys sagt er: «Eine Person, die im Gefängnis stirbt, ist nie ein gutes Zeichen.»
Während es bei Vorredner Hänseler immer wieder viel Applaus gab, bleibt es während Ruchs Rede über weite Strecken still. Gar zu Gemurmel und Widerspruch aus dem Publikum kommt es, als der Noch-Diplomat sagt, dass die Schweiz ihre Neutralität beibehalten habe.
Standing Ovations für Putins Mann
Nach Ruch redet Russlands Botschafter in Bern, Sergei Garmonin, lange zu angeblichen ukrainischen Kriegsverbrechen. Auf sein eigentliches Thema, die «Neutralität der Schweiz aus Sicht Russlands», kommt er erst gegen Schluss zu sprechen – und er sieht die Sache diametral anders als Ruch. Er kritisiert, dass die Schweiz alle EU-Sanktionen gegen Russland übernommen hat, und erhält Szenenapplaus, als er fragt: «Wie viele Sanktionspakete hat die Schweiz gegen die USA und Grossbritannien erlassen?»
Weniger zieht seine fiktionale Erzählung von Tessiner Aufständischen, welche die Macht in der Schweiz übernehmen und Italienisch als einzige Sprache einführen.

Zum Ende seiner Rede erteilt Putins Mann in Bern den Friedensbemühungen der Schweiz erneut eine Absage, was das Publikum eifrig beklatscht. Garmonin tritt unter Standing Ovations ab.
Jean-Daniel Ruch gehört zu jenen, die sitzen bleiben. Noch bis in den Sommer hinein steht er auf der Lohnliste des Aussendepartements, aber erfüllt keine spezifischen Aufgaben mehr. Zurück im heimatlichen Jura hat er bereits ein Buch geschrieben über seine Zeit als Diplomat – publiziert wurde es noch nicht. Zum Inhalt will er sich am Rande der Klotener Veranstaltung nicht äussern.
Komplott? Kampagne
Wie Ruch denkt, lassen Aussagen des jurassischen Nationalrats Pierre-Alain Fridez erahnen, der kürzlich im «Quotidien Jurassien» für seinen langjährigen Bekannten eine Lanze brach. Fridez hält es für plausibel, dass Ruch einem Komplott zum Opfer fiel.
Er sei überrascht gewesen, sagte der Sozialdemokrat im Interview, dass der Bundesrat einen Diplomaten wie Ruch überhaupt zum Staatssekretär ernannt habe: Ruch sei kritisch eingestellt zu einer Annäherung an die Nato, er vertrete eine aktive Auslegung der Neutralität und habe für das Aussenministerium einst auch mit der radikalen Palästinenserorganisation Hamas verhandelt.
Sicherheitspolitiker Fridez fragt sich, ob Ruch sich in pro-israelischen Kreisen Feinde gemacht habe, die sich nach dem Hamas-Massaker in Israel vom 7. Oktober 2023 gegen ihn wandten. Oder ob Nato-freundliche Kreise über seine Ernennung beunruhigt waren. Beweise dafür, so betont Fridez, habe er keine.
Eine ganz andere Ansicht vertrat in derselben Zeitung Charles Juillard, jurassischer Ständerat der Mitte: Er sagt, dass Ruch darüber gestolpert sei, dass er vor seiner Wahl zum Staatssekretär «Informationen über sein Leben verborgen» habe. Mit den Informationen aus dem Privatleben habe man Druck auf ihn machen können.
Ruch hatte intern zuerst eher abstrakte Vorwürfe bestritten, dann aber den Verzicht auf das Staatssekretariat erklärt, als die Sache in einer Medienanfrage konkreter wurde.
Juillard vermutet nun weniger ein Komplott gegen Ruch, sondern sieht in den Vorgängen eher einen Destabilisierungsversuch gegen seine Parteikollegin, Verteidigungsministerin Amherd, die Ruch zum Staatssekretär machen wollte.
Ruch selber will sich nicht zu den Spekulationen äussern.
Fehler gefunden?Jetzt melden.