Machtkampf zwischen Justiz und NetanyahuWar die Entlassung des israelischen Geheimdienstchefs rechtens?
Der Ministerpräsident hat den Leiter des Inlandsgeheimdienstes abgesetzt – aus Eigeninteresse? Das oberste Gericht in Israel führt einen heiklen Prozess.

- Das oberste Gericht Israels prüft die umstrittene Entlassung des Geheimdienstchefs Ronen Bar.
- Es steht der Vorwurf im Raum, Premier Benjamin Netanyahu habe so entschieden, weil der Geheimdienst in seinem Umfeld ermittle.
- Zwei Netanyahu-Berater stehen wegen mutmasslicher Verbindungen zu Katar unter Verdacht.
Am Dienstag hat Israels oberstes Gericht geprüft, ob Ministerpräsident Benjamin Netanyahu den Chef des Inlandsgeheimdienstes, Ronen Bar, entlassen darf. Es steht der Vorwurf im Raum, Netanyahu habe so entschieden, weil der Geheimdienst aktuell in seinem direkten Umfeld ermittle. Das oberste Gericht hatte die Absetzung Bars zunächst per einstweiliger Verfügung gestoppt.
In den vergangenen Wochen hatte der Ministerpräsident dennoch erklärt, er werde Bar feuern, unabhängig von der Gerichtsentscheidung. Doch wenn die Regierung die Entscheidung der Justiz ignorieren würde, käme dies einer Verfassungskrise gleich.
Seit Wochen gehen deshalb in Israel Tausende Menschen auf die Strasse. Auch die Verhandlung am Dienstag wurde von Demonstrationen vor dem Gerichtsgebäude begleitet. Parallel dazu gab es Kundgebungen pro Netanyahu.
Das Gericht wirft eine Likud-Abgeordnete aus dem Saal
Das Gericht prüfte Beschwerden gegen Bars Entlassung. Israelischen Medien zufolge reagierten die Richter zunächst skeptisch auf die Position von Netanyahus Regierung. Bis zum Nachmittag verlief die Verhandlung holprig: Die Sitzung war gleich zu Beginn mehrfach durch laute Zwischenrufe gestört worden, weshalb die Richter sie unterbrechen und Zuschauer von der Verhandlung ausschliessen mussten.
So hatte etwa der Vater eines in Gaza gefallenen Soldaten Ronen Bar vorgeworfen, an seinen Händen klebe Blut – denn der Inlandsgeheimdienst hatte einräumen müssen, dass er den Angriff der Terrorgruppe Hamas am 7. Oktober 2023 nicht hatte kommen sehen, woraufhin Israels Armee in Gaza einmarschierte. Der Mann musste aus dem Gerichtssaal gebracht werden.
Kurz nach Wiederaufnahme der Verhandlung störte dann eine Parteifreundin von Netanyahu, die Likud-Abgeordnete Tally Gotliv, mit Zwischenrufen, berichteten israelische Medien. Der Präsident des Gerichtshofs, Isaac Amit, verwies auch sie des Saales. Amit habe die Zwischenrufe als «heftig» bezeichnet. Er sagte, es sei «ziemlich empörend», dass «die Legislative keine Verfahren in der Judikative zulässt».
Das Gericht muss entscheiden, ob die Entlassung Ronen Bars unzulässig ist, weil bei Netanyahu ein Interessenkonflikt vorliegt. Denn der Inlandsgeheimdienst ermittelt derzeit gegen Vertraute des Ministerpräsidenten wegen ihrer möglichen Verbindungen zu Katar. Zwei seiner Berater, Yonatan Urich und Eli Feldstein, waren in der vergangenen Woche für mehrere Tage in Polizeigewahrsam genommen worden, auch Netanyahu selbst wurde befragt. Untersucht wird, ob Katar über Geldzahlungen an die beiden Männer Einfluss auf die israelische Regierungspolitik nehmen konnte. Als PR-Berater hatten sie offenbar auch im Auftrag von Katar Kontakt zu Journalisten gesucht, um das Image des Staates zu verbessern.
Welchen Einfluss hatte Katar auf die israelische Regierung?
Fraglich ist, ob diese Tätigkeit als «Kontakt zu ausländischen Agenten» eingestuft werden kann, was in Israel ein Straftatbestand wäre. Offen ist auch, inwiefern die Einflussnahme Katars sich auf den Ministerpräsidenten auswirkte oder ob den Beratern Korruption vorgeworfen werden kann. Schliesslich sind sie formal keine staatlichen Beamten. Dass dies nicht so sei, argumentiert jedenfalls der Anwalt von Urich – der im Übrigen auch Ministerpräsident Netanyahu in dessen Korruptionsprozess vertritt. Medienberichten zufolge steht gegen Urich ausserdem der Vorwurf der Geldwäsche im Raum.
Die Affäre, in Israel «Katargate» genannt, wird zudem von der Generalstaatsanwältin untersucht. Netanyahus Kabinett hatte zuletzt auch ihre Entlassung vorangetrieben. Gerichtspräsident Amit sagte, dass Netanyahu seine persönliche Verbindung zu den Ermittlungen gegen Urich und Feldstein selbst ins Spiel gebracht habe und damit auch seinen möglichen Interessenkonflikt bei der Entlassung Ronen Bars. Schliesslich hatte er die Ermittlungen im Anschluss an seine Anhörung bei der Polizei als «Hexenjagd» bezeichnet. Netanyahu wurde nun als Zeuge befragt, nicht als Verdächtiger.
Grosse Demonstrationen in Israel
Der Ministerpräsident sprach ausserdem davon, dass seine Mitarbeiter von der Polizei als «Geiseln» gehalten würden – ein Ausdruck, der angesichts der 59 verbliebenen Hamas-Geiseln in Gaza in Israel Empörung auslöste. An den grossen Demonstrationen in Israel wird nicht nur die Entlassung Bars kritisiert, sondern auch die Befreiung der Geiseln gefordert. Seit Israels Regierung die Waffenruhe in Gaza beendet hat, erscheint ihre Freilassung in weite Ferne gerückt.
Während in Jerusalem das oberste Gericht tagte, war Netanyahu zu einem Spontanbesuch nach Washington geflogen, um dort mit US-Präsident Donald Trump auch über die Zukunft des Gazakonflikts zu sprechen. Eine gemeinsame Presseerklärung am Montagabend fiel jedoch aus.
In der israelischen Bevölkerung ist eine überwiegende Mehrheit für ein Ende des Kriegs in Gaza. Umfragen zufolge sind auch die meisten Israelis der Ansicht, dass die Regierung der Entscheidung des obersten Gerichts Folge leisten sollte – wie auch immer sie ausfällt.
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