Isabella Rossellini im Porträt«Ich bin überall auf der Welt eine Fremde. Das ist gut so»
Die Tochter berühmter Eltern hat einen Auftritt in Alice Rohrwachers Film «La chimera» – das ist nur eine von zahlreichen Aktivitäten der Schauspielerin, Bäuerin und Verhaltensforscherin.
Strahlend. Kreativ. Intelligent. Die italienische Regisseurin Alice Rohrwacher zählt Eigenschaften ihrer Darstellerin Isabella Rossellini auf und kann gar nicht aufhören. Bescheiden. Wunderschön. Was aber sagt die so mit Komplimenten Bedachte dazu: «Ach, ich bin doch einfach alt.» Und lacht dazu mit tiefer Stimme.
Isabella Rossellini ist 71 Jahre jung. Sie tourt mit einem Theaterstück um die Welt, das sie selber geschrieben hat. Im Jahr 2023 ist sie in nicht weniger als vier Filmen zu sehen, 2024 kommen drei weitere dazu. «Alles nur Nebenfiguren», winkt Isabella Rossellini ab. Aber was spielt das für eine Rolle, wenn ihre Auftritte so markant sind wie jetzt gerade der als Signora Flora «La chimera»?
«Es war ein Traum, dass sie zugesagt hat», sagt Alice Rohrwacher, die sich mit Filmen wie «Corpo celeste» und «Lazzaro felice» einen festen Platz im europäischen Avantgardekino geschaffen hat. Die Regisseurin erklärt: «Ich glaube, ich bewundere niemanden auf der Welt so sehr wie Isabella Rossellini. Sie ist das Kind zweier Kinoikonen. Und hat es trotzdem geschafft, ihre eigene Identität zu finden, was ganz bestimmt nicht einfach war. Auch sie ist eine Ikone, auf ihre eigene Art.»
Isabella Rossellini ist die Tochter der schwedischen Schauspielerin Ingrid Bergman, die sieben Jahre nach ihrem Erfolg mit «Casablanca» ihre Hollywoodkarriere beendete und nach Italien zog. Der Grund: Während der Dreharbeiten zu «Stromboli» (1950) verliebte sie sich in den italienischen Regisseur Roberto Rossellini, mit dem sie weitere sechs Filme drehte und neben Isabella noch zwei Kinder hatte. Die Ehe war kompliziert, Isabellas Neffe Alessandro hat über die Schwierigkeiten der Familie einen Dokumentarfilm gedreht, in dem er von einer Krankheit namens «Rossellinitis» spricht, die durch einen «gebrochenen Moralkompass» geprägt sei.
Von Lancôme gefeuert und später wieder engagiert
Aber Isabella Rossellini ging früh ihren eigenen Weg, wurde bekannt als Model, drehte den Kultfilm «Blue Velvet» mit David Lynch, war mit Martin Scorsese verheiratet. Als sie 42 Jahre alt war, beschied ihr das Kosmetikunternehmen Lancôme, dessen Gesicht sie lange war, sie sei zu alt für diesen Job. «Sie sagten mir: ‹In der Werbung geht es um Träume, nicht um die Realität, deshalb müssen Sie gehen›», erzählt Isabella Rossellini.
Aber das Erstaunliche: Jahrzehnte später hat der Konzern sie zurückgerufen, eine Frau führt nun das Unternehmen, und sie bestand darauf, die Zusammenarbeit zu erneuern. «Wollen Sie nicht lieber Meryl Streep oder Helen Mirren fragen?», antwortete Isabella Rossellini bescheiden auf das Angebot. Aber die neue Chefin duldete keine Diskussion.
«Das hat mich echt berührt. Lancôme ist keine politische Bewegung, die müssen Kosmetik verkaufen. Aber offenbar gibt es heute das gesellschaftliche Bedürfnis, Schönheit jenseits der sexuellen Begehrlichkeit zu definieren. Sonst würde niemand eine alte Schachtel wie mich engagieren.»
Gut, das mit der Schachtel müsste noch diskutiert werden, Isabella Rossellini ist auf ihre Art immer noch wunderschön. Aber bezeichnend ist, dass sie stets ihren eigenen Weg gefunden hat. Vielleicht auch, weil sie eine Weltenbürgerin ist. «Meine Mama war Schwedin, der Papa Italiener. Ich lebte in Italien, in Frankreich, in den USA. Ich habe in jeder Sprache, die ich spreche, einen Akzent», sagt Isabella Rossellini. Und: «Ich bin überall auf der Welt eine Fremde. Das ist gut so.»
Das Sexleben der Bienen und der Muscheln
Wobei: Sie hat seit Jahren einen festen Wohnsitz, einen Bauernhof auf Long Island im US-Bundesstaat New York. «Als ich nur noch wenige Rollen als Schauspielerin bekam, zog ich aufs Land und legte mir ein paar Tiere zu. Ich dachte, das sei perfekt für meinen Ruhestand, wusste nicht, wie viel Arbeit damit verbunden ist.» Die Farm dient heute auch als – ziemlich exquisites – Gästehaus.
Das ist aber noch lange nicht alles. Isabella Rossellini ging im Alter von über 55 auf die Universität und schloss ein Studium in Ethologie ab, beschäftigte sich also mit dem Verhalten von Tieren. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse wiederum setzte sie in Kunst um: Sie drehte eine Serie von Kurzfilmen namens «Green Porno», wo sie sich auf ihre unverkennbare Art mit dem Sexualleben von Bienen, Fischen und Schnecken befasste. Und dabei die Hauptrolle spielte.
«Es hat Spass gemacht, Gruppensex von Muscheln zu imitieren oder den mehrere Meter langen Penis eines Tieres namens Gezeiten-Seepocke auszufahren», sagt Rossellini. Sie habe dabei nur einen Fehler gemacht: Die Videos gibt es gratis auf Youtube, sie verdient damit keinen Cent. Deshalb hat sie sich mit eigenen Produktionen auf die Bühne verlegt. Ihr aktuelles Stück heisst «Darwin’s Smile». Auch darin geht es um tierisches und menschliches Verhalten. Der Mix aus Wissenschaft, Schabernack und philosophischen Gedanken ist auch 2024 an einigen Spielstätten in Italien und Deutschland zu sehen.
Das Thema interessiere sie seit der Kindheit, sagt Rossellini: «Ich habe schon früh gefordert, dass richtige Tierfilme gedreht werden müssten.» Mickey Mouse zum Beispiel sei einfach ein Mann, der als Maus verkleidet sei. «Aber ernst genommen wurde ich eigentlich nicht. Weil ich eine Frau bin? Vermutlich schon, aber heute ist das anders.»
Auf jeden Fall arbeitet Rossellini liebend gern mit Regisseurinnen zusammen wie jetzt mit Alice Rohrwacher. In «La chimera» spielt sie, versteckt unter einer grauen Perücke, eine Frau, die in ihrer zerfallenden Villa eine seltsame Mischung von Menschen beherbergt. Einer ist ein Grabräuber, und damit wird auch ein filmgeschichtlicher Bogen geschlagen: In «Viaggio in Italia» (1954), dem Meisterwerk ihres Vaters Roberto Rossellini mit ihrer Mutter Ingrid Bergman in der Hauptrolle, gibt es eine Schlüsselszene, in der bei Ausgrabungen in Pompeji ein Liebespaar gefunden wird, das beim Vulkanausbruch vor beinahe 2000 Jahren eng umschlungen verschüttet wurde. Und heute zu Tränen rührt.
Das ist die Kunst von Alice Rohrwacher und Isabella Rossellini in «La chimera». Der Film beschäftigt sich mit alten Gräbern. Aber sein Blick ist ganz in die Zukunft gerichtet.
«La chimera»: Jetzt im Kino.
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