Tucker Carlsons Interview mit Putin«Ist das hier eine Talkshow oder ein ernsthaftes Gespräch?»
Moskau ist immer eine Reise wert: Der russische Präsident gewährt Ex-Fox-Moderator Tucker Carlson eines seiner seltenen Interviews. Es zeigt zwei Männer, die überraschend oft einer Meinung sind.
Wladimir Putin und Tucker Carlson, das ist natürlich ein Hingucker. Wobei diese Audienz im Original von keinem dieser Sender gezeigt wird, die beide Männer garantiert nicht mögen. Sondern seit Donnerstag, 18 Uhr in Washington und ab der Geisterstunde in der Schweiz, im persönlichen Netzwerk des Gastes, dem Tucker Carlson Network, zu sehen auf dessen Homepage und auf X, das mal Twitter hiess. Monats-Abo neun Dollar, ermässigt sechs Dollar, diesmal frei.
Carlson, falls das jemand nicht weiss, war mal der oberste Scharfmacher bei Fox News. Bis ihn der rechtskonservative Kanal feuerte, weil auch den Murdochs seine Propaganda für Donald Trumps Absurditäten zu weit ging. Putin, genau, das ist der russische Präsident, der die Ukraine überfallen lässt. Es ist das erste Mal seit der Invasion 2022, dass der Russe einen westlichen Journalisten empfängt, die Wahl fiel nicht zufällig auf Mr. Carlson.
Da sassen sie also im Kreml, und das für die Verhältnisse des Hausherrn geradezu aufeinander, nur ein kleiner, eckiger Tisch zwischen den zwei Stühlen. Kein Tisch von der Länge der Transsibirischen Eisenbahn wie während mancher Politikerbesuche in dieser Burg. Auf dem kleinen Tisch ein Wasserglas für Carlson und ein Becher für Putin, daneben bei Putin ein Handy und ein Stift, wenn der Anblick nicht täuscht. Und bald auch Putins Uhr.
Die Uhr schnallt er in den ersten Minuten vom rechten Handgelenk ab und legt sie mit leichtem Klirren auf die Platte. Sicher ein Hinweis, dass er Zeit hat, es werden am Ende um die 120 Minuten. Der Fragesteller aus Amerika trägt eine Krawatte mit goldgelben Streifen und einem zu dunklen Blau, um als ukrainisches Banner durchzugehen. Gefilmt wurde laut Carlson am Dienstag.
Putins Geschichtsstunden – hat man schon mal irgendwo gehört
«Sagen Sie uns, warum Sie glauben, dass die Vereinigten Staaten Russland aus heiterem Himmel angreifen könnten», setzt Carlson erstmal an. «Wie sind Sie zu diesem Schluss gekommen?» Ok, direkter Einstieg. «Es ist nicht so, dass Amerika, die Vereinigten Staaten, einen Überraschungsangriff auf Russland starten würden», wird Putins Russisch ins Englische übersetzt. «Das habe ich nicht gesagt. Ist das hier eine Talkshow oder ein ernsthaftes Gespräch?» Das bleibt zwei Stunden lang unklar.
Es folgen ausufernde Ausführungen und Rechtfertigungen, die ins 9. Jahrhundert zurückgehen. Putins Geschichtsstunden, hat man schon mal irgendwo gehört. Später empfiehlt Putin Verhandlungen über die Ukraine, als sein Besucher wissen will, ob dort amerikanische Soldaten in einem Kampfeinsatz landen könnten. Ob die USA das bräuchten, Tausende Kilometer von ihrem nationalen Territorium entfernt, fragt er amüsiert zurück. «Haben Sie nichts Besseres zu tun? Sie haben Probleme an der Grenze, Probleme mit der Migration, Probleme mit der Staatsverschuldung. 33 Billionen Dollar», hat er parat, die Zahl. «Wäre es nicht besser, mit Russland zu verhandeln?»
Fragen und Antwort wie bestellt, denn das ist ziemlich exakt das, womit republikanische Hardliner Wahlkampf machen und wovon auch Carlson gerne spricht. Was interessiert dieses Osteuropa, wenn die Migranten an der Südgrenze in Scharen einfallen? Einen Deal über Einwanderungsbeschränkungen und Ukraine-Hilfe liess Trump torpedieren, für Biden ein Problem, für Kiew eine Katastrophe, für Trump und Putin ein Triumph.
«Sie sollten nichts für bare Münze nehmen, was er zu sagen hat»
Joe Biden mache mit der Unterstützung der Ukraine einen historischen Fehler, erzählt Putin. Man habe kein Interesse, in Polen, Lettland oder sonst wo anzugreifen und wolle auch keine Atomwaffen einsetzen. Mit solchen Szenarien solle Steuerzahlern in Europa und den USA Geld aus der Tasche gezogen werden. Ein globaler Krieg würde die Menschheit doch nur an den Rand der Vernichtung bringen.
Er könne sich nicht erinnern, wann er mit Biden zuletzt gesprochen hätte, er könne sich nicht an alles erinnern, er habe viel zu tun. Aber es gebe gewisse Kontakte mit Washington – offenbar auch im Fall des wegen fadenscheiniger Vorwürfe der Spionage in Russland eingesperrten Reporters Evan Gershkovich vom Wall Street Journal. Nach ihm und Möglichkeiten der Freilassung erkundigt sich Carlson immerhin hartnäckig. Da wäre auch ein Angebot Putins, das auch schon länger bekannt war. Russland interessiert sich im Gegenzug für Vadim Krasikov, der nach seinem Tiergarten-Mord an einem Tschetschenen in Berlin einsitzt.
Am Ende seiner Monologe ist noch mal Putins Welt mit Historie angesagt, Nato, 1991, 2008, 2014, Ukraine. Russland sei auf dem Schlachtfeld nicht zu besiegen, das Übliche. Von so etwas würden sich die Amerikaner nicht beeinflussen lassen, hatte schon vorher ein Sprecher aus dem Weissen Haus gesagt. «Denken Sie daran, Sie hören Wladimir Putin zu», empfahl er vorher. «Sie sollten nichts für bare Münze nehmen, was er zu sagen hat.»
Nachher steht Tucker Carlson im sanften Schneefall und moderiert sein folgendes Interview an, hinter ihm die Zwiebeltürme. Bilderbuchmoskau. Man weiss nicht, ob man anschliessend erleichtert oder beunruhigt sein oder einfach nur schlafen soll.
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