«In jeder Gemeinde gibt es Querulanten»
Er war neun Jahre eine Hälfte des Duos «Giacobbo / Müller», ist als «Der Bestatter» bekannt und tritt nun mit seinem Soloprogramm in der Region auf. Mike Müller über «Heute Gemeindeversammlung», Sexismus in der Unterhaltungsszene und No Billag.
Sie haben meine Interviewanfrage persönlich beantwortet. Haben Sie keinen Manager?Mike Müller: Nein, warum auch? Persönlich geht es doch am schnellsten. Bei grösseren Produktionen wie dem «Bestatter» gibt es natürlich ein Media-Relations-Team, das dies koordiniert. Aber sobald es darum geht, ein Interview mit mir zu machen, dann bin ich viel schneller, wenn ich direkt mit dem Journalisten spreche. Die Deutschschweiz ist ja auch ein überschaubarer Raum.
Werden Sie dann in diesem «überschaubaren Raum» auf der Strasse erkannt?Ja, das gibt es. Aber das ist in der Schweiz relativ diskret. Und in dem Quartier, in dem ich wohne, ist das sowieso nicht relevant.
In welchen Situationen stresst Sie das am meisten?Es stresst mich eigentlich selten. Wenn ich einen ganzen Tag an einem Stück gearbeitet habe, dann habe ich das Gefühl, ich hätte mein Tagwerk erledigt. Das ist das subjektive Gefühl, dass ich keine öffentliche Person mehr bin. Dann stört es mich. Ich habe es ausserdem nicht so gern, wenn man mich anfasst – oder küsst.
Ist das denn schon passiert?Ja, klar. Das sind nicht so meine Favoriten. Mit dem muss man aber leben, wenn man Fernsehen macht. Das muss man einfach dezidiert zurückweisen. Aber als Mann ist das viel einfacher.
Haben Sie auch Sexismus in der Unterhaltungsbranche erlebt?Man muss unterscheiden. Da ist der explizite Sexismus, etwa Frauen auf ihr Äusseres zu reduzieren. Selbstverständlich,das habe ich alles erlebt. Ausser Lohnungleichheit: Komik ist ein freier Markt. Wenn man ein volles Haus hat, dann hat man als Komikerin gleich viel wie ein Komiker. Dann gibt es natürlich noch den strukturellen Sexismus. In sämtlichen Leitungspositionen sind Frauen untervertreten, auch in der Unterhaltungsbranche.
Kann man die Schweizer Unterhaltungsszene nicht mit Hollywood vergleichen?Es gibt bei uns ein ganz einfaches Mittel gegen Machtmissbrauch: Es geht um viel weniger Geld.Es gibt bei uns niemanden, der so viel Macht hat, auch nicht die Produzenten. Dass Aussehen bei uns eine grosse Rolle spielt, ist ja klar. Trotzdem wird es immer wieder von Leuten in Abrede gestellt – dummes Zeugs. Eine junge, hübsche, sexy Frau ist für gewisse Erzählungen aber nötig, also ist das Aussehen ein «Asset». Das ist vielleicht noch nicht sexistisch, aber man muss auch nicht so tun, als würde das keine Rolle spielen. Wissen Sie, wie sich das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Hauptdarstellern seit 1940 geändert hat?
Ich schätze kaum.Das ist die richtige Antwort. Es gibt die Phase der jungen, hübschen Frauen, die geht heute so ungefähr bis 40. Danach haben sie ein Problem. Dann müssen sie entweder die alte Liebhaberin, die Mutter oder die Grossmutter spielen. Das ist struktureller Sexismus. Männer haben da mehr Möglichkeiten.
«Das Argument ‹uns geht es schlecht, also soll es den anderen auch schlecht gehen› finde ich recht schwach, um ein Konstrukt wie die SRG zu zerschlagen.»
Wie sieht es in der politischen Szene aus?Die Rechten behaupten immer, man dürfe gar nichts mehr. In manchen Fällen ist es doch gut, gewisse Sachen nicht mehr zu dürfen. Wenn nicht mehr jede Praktikantin blöde Sprüche oder Blicke auf ihren Busen oder Po über sich ergehen lassen muss, ist das okay. Wenn natürlich ein Nationalrat über eine Kollegin sagt, sie müsse sich nicht wundern, dass sie angemacht werde, wenn sie einen kurzen Rock und eine enge Bluse anhabe, dann soll er drankommen. Das passiert aber nicht, obschon er bis auf die Knochen ein alter, eitler, selbstverliebter Sexist ist. Man muss ihm eben entgegnen: «Wegen Männern wie dir hat man die Burka erfunden.»
Zu Ihrem Programm «Heute Gemeindeversammlung»: Wie sind Sie gerade auf Lokalpolitik gekommen?Gemeindepolitik hat mich schon immer interessiert. Weil dort auf der untersten Flamme – das meine ich rein hierarchisch, nicht wertend – Politik verhandelt wird. Es ist eine Form von politischer Organisation, die ein bisschen aus dem Fokus gerät durch die starke Ideologisierung und Polarisierung der nationalen Politik. Und dann bin ich natürlich Unterhaltungskünstler. Ich suche nach einem Teppich, auf dem ich mich bewegen, zu dem ich Figuren erfinden kann, die die Möglichkeiten der Komik befördern.
Wer sind diese typischen Figuren an der Gemeindeversammlung und in Ihrem Stück?Der Komiker arbeitet natürlich immer mit Klischees. Da ist der Gemeindepräsident, der ein bisschen viel Macht hat und bauernschlau ist. Dann gibt es natürlich den Querulanten. In jeder Gemeinde gibt es Querulanten. Das sind so Klischeefiguren, die man erfindet. Die Aufgabe des Autors ist dann, mit diesen Klischees so zu arbeiten, dass die Zuschauer trotz Klischee überrascht werden. Wenn man sie nur eins zu eins bedient, dann ist das nicht so dramatisch. Da kommt man beim Schreiben nicht sehr weit.
Was meinen Sie damit?Wenn bei einer Figur nach zwei Minuten klar ist, was sie bringen wird, dann ist ihre Halbwertszeit viel kleiner. Dann ist sie schneller verbrannt.
Sind Sie selbst schon einmal an einer Gemeindeversammlung gewesen?Ja, einmal, vor 35 Jahren. Das war eine Gemeindeversammlung, die Eingang gefunden hat in mein Stück. Dort hat der Gemeindepräsident wutschnaubend sein Amt niedergelegt, als eine Umzonung, die sehr in seinem Sinn gewesen ist, nicht angenommen wurde.
Das System der Gemeindeversammlung ist auch schon in die Kritik gekommen: Es sei wegen der geringen Beteiligung nicht repräsentativ und undemokratisch. Was halten Sie davon?Es ist sicher ein Problem, wenn nur noch zwei bis drei Prozent der Bevölkerung an einer Gemeindeversammlung teilnehmen. Dann fehlt die demokratische Legitimation ein bisschen. Streng legalistisch gesehen ist es aber okay. Es ist auch eine Frage, wer mobilisieren kann. In der Regel können das Vereine sehr gut. Man wirft immer den Politikern Interessengebundenheit vor. Bei der Gemeindeversammlung sieht man eben die Interessengebundenheit der Stimmbevölkerung. Das gehört zur Demokratie. Das ist zum Teil sehr schade, aber gibt es eine bessere Lösung?
Anfang nächsten Jahres kommen Sie nach Amden, Uznach und Stäfa. Warum gerade dorthin? Suchen Sie die Orte selbst aus?Zum Teil mache ich das. Amden nicht, da hat mich jemand von der Gemeinde angeschrieben und gefragt, ob ich mein Programm nicht bei ihnen spielen würde. Die Rotfarb in Uznach ist auch bekannt, dort habe ich aber noch nie gespielt. Stäfa habe sicher ich selbst angefragt, weil ich da schon andere Produktionen gespielt habe. Dann hat man natürlich Beziehungen zum Veranstalter und weiss, das ist cool. So ergeben sich die Kontakte. Nach Wädenswil ins Theater Ticino komme ich auch, aber erst in einem Jahr.
Wie wählen Sie Ihre Projekte aus?Was man als Komiker machen kann, ist, seinen Weg so wenig zu steuern wie möglich. Man sollte die Einstellung haben: «Ich arbeite nur mit den Leuten zusammen, die ich interessant finde, und mache nur die Projekte, die mich auch wirklich interessieren, ohne zu stark an eine Karriere zu denken.»
Das ist aber ein Privileg. Ist es als Neuanfänger nicht schwer, sich finanziell über Wasser zu halten?Ich habe es auch dann schon gemacht, ehrlich gesagt. Man entscheidet sich einfach für den Beruf zu einer Zeit, in der man nicht weiss, ob man Erfolg hat. Schauspiel ist bei Anfängern nicht unbedingt gut bezahlt. Ich habe auch schon Sachen abgelehnt, als ich das Geld gebraucht hätte. Ich habe dann einfach etwas anderes gearbeitet. Ich habe alles Mögliche gemacht: Ich bin Taxifahrer gewesen, habe in der Metallindustrie oder bei einem Putzinstitut gearbeitet oder unterrichtet.
Sie spielen ja die Hauptrolle bei der SRF-Serie «Der Bestatter», auch «Giaccobo / Müller» wurde neun Jahre vom SRF ausgestrahlt. Was sagen Sie als SRF-Veteran zur No-Billag-Initiative?Meine Haltung ist sehr klar. Grundsätzlich finde ich die Argumentation der Operation Libero am schlagkräftigsten: Wieso streichen wir einen Verfassungsartikel, der besagt, dass es eine umfassende Informationspflicht gibt? Gibt es da eine Not? Ist die SRG wirklich ein Unternehmen, das die Staatsmeinung vertritt? Ich habe jetzt neun Jahre Late Night gemacht. Offenbar hat es von der Politik Versuche gegeben, die Sendung zu beeinflussen, aber das ist nicht einmal bis zu uns durchgedrungen. Wir haben immer komplett unabhängig von der Politik agieren können. Anders ist eine Late-Night-Sendung gar nicht möglich. Mir ist schleierhaft, was schlecht sein soll, wenn sich die Politik nicht direkt einmischen darf.
Trotzdem scheint es Menschen zu geben, die das anders sehen.Man kann von Staatsfernsehen reden, das macht der Chefredaktor der NZZ, Eric Gujer. In einem Leitartikel mag das gehen; ob es einer liberalen Zeitung gut ansteht, demagogischen Unsinn zu erzählen, ist etwas anderes. Ich hoffe, seine Mitarbeiter lachen kräftig über ihn. Man muss sehen, dass Verleger einigermassen ratlos sind, wie man den Print finanzieren soll. Aber das Argument «uns geht es schlecht, also soll es den anderen auch schlecht gehen» finde ich recht schwach, um ein Konstrukt wie die SRG zu zerschlagen. Eine SRG mit Werbegeldern zu finanzieren, ist einfach medienökonomischer Unsinn. Unterhaltung herzustellen, ist etwas sehr Teures. Da muss man nicht denken, das würde ein Privatsender machen können. Auch nicht Netflix – diese Rechnung ist schnell gemacht. Das ist schweizerischer Grössenwahn.
Das Argument vieler lautet aber auch: Wieso soll ich für etwas zahlen, das ich gar nicht schaue? Was sagen Sie dazu?Zweifellos ein starkes Argument, aber staatspolitisch ist es egoistisch. Ein Problem ist sicher die Pro-Kopf-Gebühr, die technisch eigentlich eine Steuer ist. Das war aber ein Volksbeschluss, und der ist zu akzeptieren.
Mike Müller tritt mit seinem Programm am 6. Januar im Gemeindesaal Amden, am 12. Januar im Rössli, Stäfa, und am 10. Februar in der Rotfarb, Uznach, auf. 2019 ist Müller in Wädenswil zu Gast. Die neue Staffel vom «Bestatter» startet am 2. Januar auf SRF.
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