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Meinung

Kommentar zu den Verhandlungs-Appellen
Im Kreml kann sich Putin freuen 

Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas hat ein «Plädoyer für Verhandlungen» veröffentlicht und kritisiert die «bellizistischen Töne» der Unterstützer der Ukraine.  
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Wer ist schon gegen Frieden, wer hätte nicht lieber Verhandlungen als noch mehr Krieg? Jetzt, da der Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine kurz bevorsteht, werden die Stimmen für ein Ende der Kämpfe immer lauter. Der deutsche Grossintellektuelle Jürgen Habermas lanciert in der «Süddeutschen Zeitung» ein «Plädoyer für Verhandlungen». Die Alt-Feministin Alice Schwarzer und die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht sammeln innert kurzer Zeit eine halbe Million Unterschriften unter ihr «Manifest für den Frieden».

Im Kreml kann sich der mutmassliche Kriegsverbrecherpräsident freuen. Die Kakofonie in den Talkshows und Feuilletons lenkt davon ab, dass die russischen Streitkräfte gerade eine massive neue Grossoffensive vorbereiten. Kann es überhaupt Kompromisse geben, wenn ein Land ein anderes grundlos überfällt? Was die Intellektuellen und Nationalpazifisten genau verhandeln wollen, bleibt ohnehin nebulös.

Kein Wunder, denn der russische Präsident und seine Propagandisten machen jeden Tag deutlich, dass sie der Ukraine Identität und Existenzrecht absprechen. Die Bonner Professorin Ulrike Guérot fordert trotzdem salopp einen Deal, der auch Wladimir Putin «glücklich macht». Jürgen Habermas setzt auf einen für beide Seiten «gesichtswahrenden Kompromiss».  

Der Mann im Kreml sah sich jedes Mal bestätigt, seine imperialen Pläne weiter voranzutreiben.

Soll die Ukraine auf 20 Prozent ihres Territoriums verzichten, oder darf es auch etwas weniger sein? Dabei ist es nicht so, dass man mit Putin nicht schon oft verhandelt hätte. Der russische Präsident hält den Westen ohnehin für schwach und dekadent. Der Mann im Kreml sah sich jedes Mal bestätigt, seine imperialen Pläne weiter voranzutreiben. So geschehen 2008 nach dem russischen Einmarsch in Georgien oder 2014 nach der Annexion der Krim und dem russisch inszenierten Aufstand im Donbass. Dort hätte man zudem beobachten können, was ein Frieden für die Bevölkerung unter russischer Besatzung bedeutet, nämlich Deportation, Folter und Vergewaltigungen.

Das alles wird in den Aufrufen und Manifesten für «Frieden jetzt» ausgeblendet. Es ist eine sehr deutsche Debatte. Sie ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer darin kaum vorkommen, zumindest nicht als eigenständige Subjekte. Irritierend überhaupt der kolonialistische Blick. Im Osten zählt nur Moskau, während die direkten Nachbarn wie Polen oder Balten und deren Befindlichkeit nicht einmal ignoriert werden. Die Sowjetunion wird da schnell mal mit Russland gleichgesetzt. Dabei geht vergessen, dass unter den Sowjetrepubliken die Ukraine Schauplatz der schlimmsten Kriegsverbrechen von Wehrmacht und Waffen-SS war. 

Die Feministin Alice Schwarzer hat zusammen mit der Linkenpolitikerin Sarah Wagenknecht das «Manifest für den Frieden» lanciert, das bisher von einer halben Million Menschen unterschrieben wurde. 

Es gäbe also für Intellektuelle auch gute Gründe, entschlossen an der Seite der Ukraine zu stehen und zögerliche Regierungen an ihre Beistandspflicht zu erinnern. Es geht um die Existenz der Ukraine, immerhin das flächenmässig zweitgrösste Land Europas, und um die Stabilität des Kontinents. Aber nein, Jürgen Habermas und Co. kritisieren lieber «moralisch entrüstete Rufe» nach schlagkräftigen Waffen und den «bellizistischen Tenor» in der Debatte. Etwas Polemik sei deshalb hier auch erlaubt. Wie würden wir heute rückblickend einen Appell renommierter und bekannter Persönlichkeiten im Sommer 1940 an den britischen Premier Winston Churchill bewerten, doch bitte in Verhandlungen mit Adolf Hitler einzutreten?