Urteil aus Den HaagInternationaler Gerichtshof fordert Stopp der Rafah-Offensive
Die Lage der Flüchtlinge sei «desaströs», urteilen die UNO-Richter. Israels Regierung will das Urteil ignorieren.
Israel muss seine Offensive im Süden des Gazastreifens sofort stoppen. Das entschied der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag am Freitag. Die höchsten UNO-Richter folgten einem Eilantrag Südafrikas, der Urteilsspruch ist rechtlich bindend. Die Lage der Flüchtlinge in Rafah verschlechtere sich stetig und sei «desaströs», sagten die Richter. Das Gericht sei «nicht davon überzeugt, dass die Evakuierungsbemühungen» für die Zivilbevölkerung in Gaza ausreichten, um «das immense Risiko» für die Palästinenser aufgrund der Offensive in Rafah zu mindern.
Israel hatte bereits angekündigt, sich nicht an das Urteil halten zu wollen. Ein israelischer Regierungssprecher sagte am Donnerstag, dass «keine Macht der Welt Israel daran hindern wird, seine Bürger zu schützen und gegen die Hamas in Gaza vorzugehen». Der IGH selbst verfügt über keine Mittel, seine Urteile durchzusetzen, er kann aber den UNO-Sicherheitsrat um Hilfe bitten. Dort könnte eine Resolution zur Abstimmung kommen, die Sanktionen gegen Israel fordert – was aber am Veto der USA scheitern dürfte.
Zweites Urteil innert kurzer Zeit
Israel gerät durch das zweite Urteil eines internationalen Gerichtes innerhalb kurzer Zeit weiter ins internationale Abseits. Am Montag beantragte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, eine vom IGH getrennte Instanz, die Ausstellung von Haftbefehlen gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant (lesen Sie hier, wie Israels Regierung auf das Urteil reagierte). Ihnen wird vor allem das «Aushungern» der Bevölkerung in Gaza vorgeworfen. Auch drei Führer der Terrororganisation Hamas wollen die Richter wegen Kriegsverbrechen festnehmen lassen.
Die ursprüngliche Klage Südafrikas gegen Israel stammt aus dem Dezember und wirft dem Land vor, im Gazastreifen einen Genozid zu begehen. In einem Eilantrag forderte Südafrika das sofortige Ende aller Kriegshandlungen. Dem folgten die Richter damals nicht, sie ordneten aber den Schutz der Zivilbevölkerung an und forderten Israel auf, mehr humanitäre Hilfe ins Land zu lassen.
Katastrophale Bedingungen
Israel habe es bis heute versäumt, genug zum Schutz der Zivilbevölkerung zu tun, urteilten die Richter nun. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind in den vergangenen Wochen etwa eine Million Palästinenserinnen und Palästinenser aus Rafah geflüchtet und müssen nun unter katastrophalen Bedingungen im Freien oder selbst gebauten Unterkünften ausharren. Die beiden Grenzübergänge in den Süden von Rafah sind geschlossen, es kommen von dort keine Hilfslieferungen mehr in das besetzte Gebiet. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNRWA hat die Verteilung von Lebensmitteln in Rafah gestoppt, weil es keinen Zugang mehr zu seinen Lagerhäusern habe.
Der Angriff auf Rafah wurde im Februar von Netanyahu angekündigt, damals sollte es die letzte Schlacht im Kampf gegen die Hamas sein. In der Stadt an der Grenze zu Ägypten haben seit Kriegsbeginn etwa 1,3 Millionen Menschen Schutz gesucht, es war die letzte einigermassen intakte Stadt im Gazastreifen. Die europäischen Länder und die USA hatten Netanyahu seit Monaten vor einem Angriff gewarnt, für US-Präsident Joe Biden war er eine rote Linie (lesen Sie hier die Analyse zur US-Position). Israel begann Anfang Mai dennoch mit der Offensive, nannte sie aber «lokal begrenzt».
Menschenrechtsorganisationen halten das nur für eine andere Umschreibung des gleichen Ziels: der Zerstörung des Gazastreifens. Zwischen dem 4. und 20. Mai wurden nach Angaben von US-Wissenschaftlern mehr als tausend Gebäude in Rafah beschädigt oder zerstört, das entspreche fast 40 Prozent der Gebäude in Rafah.
Die israelische Zeitung «Haaretz» schreibt: «Obwohl das Eindringen am Boden als ‹begrenzt› beschrieben wurde, handelt es sich praktisch um eine Bodenoperation, die ein ähnliches Zerstörungsmuster aufweist, wie es in anderen Städten des Gazastreifens in früheren Phasen des Krieges zu beobachten war.»
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