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«Ich war ein ‹Blue Man› und werde es im Herzen bleiben»

Wer sich unter den Latex-Glatzen verbirgt, erfährt das Publikum nicht – es spielt auch eine untergeordnete Rolle.

Marcus Weiss, Sie wurden in New York geboren, verbrachten in Feldmeilen ihre Kindheit und besuchten schliesslich in New York die Schauspielschule. Dann sind Sie dort hängen geblieben, weshalb?Marcus Weiss (50): Da ich meine Schauspielausbildung in den USA absolvierte, hatte ich die besten Chancen in den Staaten. Mein Bühnen-Deutsch war ziemlich rostig, und ich hatte auch bereits Kontakte in New York. Ursprünglich hatte ich auch ein Auge auf die Filmszene in Los Angeles geworfen – und so zeigte sich, dass ich halt schon auf dem für mich richtigen Kontinent war.

Sie haben dort – nach vielschichtiger schauspielerischer Tätigkeit – die Show der Blue Man Group eröffnet und wie Gründungsmitglied Phil Stanton in einem Interview anmerkte, damals wesentlich zum Erfolg beigetragen. Wie kam es eigentlich zum Engagement?Das ist aber lieb von Phil. Das ist das Schöne an Blue Man Group: die Mitglieder sind nicht nur professionell, sondern auch grosszügige Freunde. Als ich in New York wohnte, hatte ich einige Kollegen, die in der New Yorker Blue Man Show angestellt waren. Sie waren immer unheimlich aufgestellt, dass ich mir dachte, ich muss da vorsprechen. Das habe ich dann erfolgreich gemacht und wurde ein Mitglied der ersten Besetzung in Las Vegas. Ich habe da im Jahr 2000 angefangen und habe dann innerhalb der folgenden zehn Jahre als Blue Man in New York, Boston, Deutschland und der Schweiz gespielt.

Die Show wird ja mit verschiedenen Ensembles weltweit gezeigt. Wie viele «Blaumänner» gibt es eigentlich?Jede individuelle Show hat verschiedene Ansprüche. Aber es gibt immer zwischen vier und acht Blue Men pro Show, würde ich sagen. Gesamt wären das dann etwa 60 weltweit. Aber welchen man gerade zusieht, weiss man nie genau.

Wer so lange dabei war macht wohl nicht einfach einen Job, sondern identifiziert sich mit dem Gezeigten. Und privat ist das fast schon so etwas wie eine zweite Familie oder?Ja, bestimmt. Jede einzelne Person, mit welcher ich gearbeitet habe, sie sind immer noch wie eine Familie für mich. Um so etwas Kreatives jeden Abend zu gestalten, muss man schon eng miteinander verbunden sein. Man verbringt dann auch ausserhalb der Arbeit Zeit miteinander. Dieses Gefühl bleibt langfristig stecken und ich bin immer noch mit allen gut befreundet. Deshalb gebe ich ja auch immer noch Interviews für meine Blue Man-Familie.

Apropos Familie, Ihre eigene steht da sicher an erster Stelle. Sie und Ihre New Yorker Frau Anastasia leben mit Ihren Kindern Jacob und Lucas in den Staaten. Wie haben die Kinder auf ihren «blauen» Vater reagiert, wollten/durften sie ihm zu Hause mit viel Farbe nacheifern?Meine Frau habe ich in Las Vegas getroffen. Sie ist in der Wüste aufgewachsen. Unser erster Sohn ist in Stuttgart geboren, als ich dort mit Blue Man aufgetreten bin. Ich habe viele Bilder von ihm, wo er mir mit erschrecktem Ausdruck in die Augen starrt. Natürlich ging es in seinen frühen Jahren zu Hause ziemlich bunt zu. Er spielte auch viel Schlagzeug. Aber er war noch ganz jung, als ich aufgehört hatte. Mein jüngerer Sohn hat keine Ahnung von meiner Vergangenheit als Blue Man.

Was sind die Blue Men für Wesen, sind es überhaupt Männer und werden sie auch von Frauen verkörpert?Wir sagen gerne, dass die Blaumänner nicht ausserirdisch, sondern «inner»-irdisch sind. Sie kommen vom Herzen, und das spürt man. Die verkörpern das Universale der Menschheit, sozusagen. In Boston gab es eine Frau, die mehrere Jahre Blue Man war, in der Schminke und dem Kostüm konnte man keinen Unterschied zwischen ihr und einem männlichen Blue Man erkennen. Das ist das Wichtige, dass man den Blue Man als Wesen sieht, nicht als Frau oder Mann.

Weshalb eigentlich die Bezeichnung «Blue Man», wegen der besonders berauschenden Wirkung des Dargebotenen?Das wäre cool, aber nein. Der Name kommt von der Farbe. Die Farbe Blau wirkt beruhigend und man fühlt sich davon angezogen. Dies wird dann das Wesentliche der Figur Blue Man.

Wie ist die Entstehungsgeschichte dieser Performance?Einer der Gründer, Chris Wink, hatte als Kind oft blaue Männer gezeichnet, die in einer Stadt umherirrten. Als er dann mit anderen Künstlern in den Achtzigern ein «Happening» in New York's Central Park organisierte, verkleideten sie sich alle als kahlköpfige Figuren. Das war eine Inspiration für die drei Gründer der Truppe. Sie haben dann kleine Stücke um diese Figur entwickelt, und das hat schliesslich zu einer kompletten Show geführt. Alle drei hatten verschiedene künstlerische Interessen, sowie Malen, Musik, Komödie, und Schauspielerei. Diese unterschiedlichen Gebiete erkennt man noch heute in den Shows.

Welche Geschichte wird erzählt. Gibt es einen roten Faden?Das Gefühl der Show ist, dass diese Blaumänner sich mitten in einer Situation befinden, die sie nicht kennen. Sie wissen nicht, in welcher Umgebung sie sich befinden, oder wer diese Wesen sind, die sie so komisch anschauen (das Publikum). Innerhalb der Show versuchen sie auf verschiedenen Arten, sich mit dem Publikum zu verbinden. Es ist ein Multimedia-Abenteuer, welches ich gerne als «Mummenschanz meets Street Parade» bezeichne.

Hat dieses Abenteuer eine Botschaft?Für mich ist die Botschaft, dass wir uns alle miteinander verbinden können. Ob es durch Technologie ist – oder trotz der Technologie – wir können unsere Herzen immer für einander öffnen.

Welche Eigenschaften des Blue Man hat Marcus Weiss adoptiert?Ich fühlte mich schon immer anderen Menschen gegenüber sehr offen. Das hat wahrscheinlich auch Blue Man Group gespürt und mich deshalb angestellt. Der Blue Man improvisiert auch viel, wenn er durchs Leben geht. Das mache ich auch sehr gern.

«Die Blue Man Group ist ein Multimedia-Abenteuer, welches ich gerne als ‹Mummenschanz meets Street Parade› bezeichne.»

Marcus Weiss

Worin liegt die Herausforderung in Rolle und Stück?Gerade weil die Show zu einem grossen Teil improvisiert ist, weiss man nie genau, was passieren wird. Die Show ist sehr interaktiv mit dem Publikum, und dieses reagiert immer wieder anders. Da muss man extrem präsent sein. Es ist gleichzeitig eine Herausforderung und eine Riesenfreude.

Sie sind als Schauspieler, Clown, Lehrer und vieles mehr aktiv. Auch die Figur des Blue Man ist künstlerisch sehr vielschichtig. Hat das auf Sie abgefärbt?Ich arbeite zurzeit als freischaffender Schauspieler, Clown, Lehrer und Regisseur. Hauptsächlich in Las Vegas und Los Angeles (nicht mehr in New York). Ich habe von Blue Man Group gelernt, dass wenn es um das Künstlerische geht, kann man jeden Aspekt vom Leben ins Werk einbeziehen kann. Mit viel Reflektion über das Leben wird das Leben für mich hinreissend, für mich wie auch für die Menschen um mich herum.

Kriegt man die blaue Farbe eigentlich nach all den Jahren (sinnbildlich) wieder raus?Die Ölfarbe kriegt man schon aus den Kleidern. Aber, ja, aus der Seele nicht. Ich identifiziere immer noch ganz stark mit meiner blauen Vergangenheit. Es war eine Lebensart, die trage ich immer noch mit mir. Ich schaue die Welt immer noch mit blauen Augen an.

Ist es gerade die Abwechslung, das immer wieder Neue, Herausfordernde bei Ihren verschiedenen Projekten, was reizt?Auf eine Art schon. Ich erzähle immer gerne verschiedene Geschichten. Als Schauspieler erforsche ich gerne was es heisst, Mensch oder menschlich zu sein. Ich sehe die Schauspielerei als Kunst, und meine Person ist mein Medium. Ich male mit meiner Fantasie, meinem Körper, und meiner Stimme. So kommuniziere ich meine Weltanschauung.

Eine solche Show ist wohl auch körperlich sehr anstrengend. Machen Sie spezielles Fitnesstraining und wobei tanken Sie neue Energie?Ja, bestimmt. Ich gehe mehrmals die Woche ins Fitnessstudio. Obwohl meine zwei kleinen Söhne mich den ganzen Tag auf Trab halten.

Worin – ausser im Familien-leben – finden Sie einen Ausgleich zur künstlerischen Arbeit?Ich gehe gerne Kaffee trinken mit Kollegen. Ich spüre da immer meine europäischen Wurzeln. Einfach Zeit zu nehmen, um zu plaudern. Das ist wichtig in diesen oft hektischen Zeiten.

Unter der Schminke, als Blue Man, erkannte Sie kaum Jemand. Ärgerte Sie das manchmal, wenn Sie nach der Show ins Foyer traten und keiner drehte sich um und fand lobende Worte? Oder bietet es gar die Chance, sich freier auf der Bühne künstlerisch ausleben zu können?Es war eher schön, dass man sich ausserhalb der Show anonym bewegen konnte. Ich war aber immer sehr enthusiastisch gegenüber meinem Job, und erwähnte es oft in Konversationen, einfach weil ich gerne darüber sprach. Klar, die Anonymität gab eine grosse künstlerische Freiheit auf der Bühne. Man trug eine Maske, und das wirkte unheimlich befreiend.

Bis 29. Oktober gastiert die Blue Man Group im Theater 11 in Zürich-Oerlikon. Werden Sie sich das vor Ort ansehen?Ich kann leider nicht persönlich dabei sein, aber ich weiss, dass das Publikum begeistert sein wird. Alle, die als Blue Man aktiv sind, lieben ihre Arbeit. Und das spürt man sofort, wenn man die Show sieht. Und inhaltlich hat es etwas für jeden: Musik, Komödie, Drama. Wenn da jemand ohne Grinsen rauskommt, wäre ich erstaunt.

Sie haben vor einigen Jahren mal den Wunsch geäussert, dass die Blue Man Show in ihrem «Heimatort» Feldmeilen gezeigt wird. Wann ist es soweit?Das wäre wahnsinnig toll. Vielleicht in der Badi? Eine kleine Privatshow für zwei Dutzend Leute? Ich vermisse meine Heimat.

Wenn wir schon in die Zukunft blicken, an welchen beruflichen Projekten arbeiten Sie. Was wäre eine wirklich grosse, «nahrhafte» Heraus-forderung?Ich bin dieses Jahr für drei Bühnenstücke als Schauspieler gebucht, und danach führe ich noch Regie bei einem Vierten. Ich habe eine Idee für einen Podcast, welcher sich um lustige Konversation unter Vätern dreht. Dann träume ich auch noch davon, Theater in Europa zu gestalten, besonders in der Schweiz. Oder auch ein Theaterlager in den Schweizer Alpen. Das wäre doch was.

Blue Man Group Bis 29. Oktober. Di/Do/Fr, 19.30 Uhr. Mi, 18.30 Uhr.Sa, 16/19.30 Uhr. So, 14/17.30 Uhr. Hallenstadion, Zürich-Oerlikon. Tickets: www.musical.ch, Infos: www.blueman.com.