Tom Lüthis verkorkstes Jahr«Ich kam mir wie eingesperrt vor»
Der Emmentaler Tom Lüthi blickt auf seine missratene Saison in der Moto-2-Klasse zurück – und gibt sich für 2021 kämpferisch.
Immer wenn man glaubte, es könne nicht mehr schlimmer kommen, wurde man eines Schlechteren belehrt. Die Aussage, die in diesem Jahr für viele Leute gilt, trifft auch auf Tom Lüthi zu. Zuletzt im GP von Europa in Valencia am Sonntag: Auf Platz 13 startete er ins Rennen, verlor aber zusehends Rang um Rang und hatte schliesslich keine Chance auf WM-Punkte. Es blieb der 19. Platz – und einmal mehr die Erkenntnis, dass sein Motorrad nicht konkurrenzfähig ist.
Das ist ganz bitter für einen Mann, der an diesem Sonntag seinen 300. GP bestreitet und damit in einen erlauchten Kreis aufsteigt, dem bislang einzig die Italiener Loris Capirossi, Andrea Dovizioso und Valentino Rossi angehören. Für einen Mann, der im Vorjahr im gleichen Dynavolt Intact Team überzeugt hatte und mit legitimen Ambitionen auf den WM-Titel in die Saison gestartet war. Die letzten drei Weltmeisterschaften in der Moto-2-Klasse hatte der Emmentaler in den Top 3 beendet. 53-mal hatte er seit 2010 auf dem Podest gestanden, allein in der Vorsaison achtmal. Ein Dutzend Mal wurde für ihn in dieser Zeit der Schweizerpsalm für den Tagessieger intoniert.
Dieses Jahr gabs nun gar nichts zu jubeln – zwei 5. Plätze bilden die bescheidene Saisonbestmarke. Dementsprechend gross ist die Erleichterung, dass das Jahr bald zu Ende ist. Lüthi meldet aus Valencia: «Ich bin auf der Zielgeraden und froh darüber, auch wenn der Anblick nicht so schön ist.» Die Corona-Saison hat ihren Tribut gefordert, seit der Wiederaufnahme Mitte Juli gab es nur fünf freie Wochenenden, vierzehn Grands Prix wurden in dieser Zeit ausgetragen. «Es ging Schlag auf Schlag, die Saison war wirklich speziell. Wir können uns aber glücklich schätzen, dass wir überhaupt noch fahren konnten», sagt Lüthi.
«Es ist nicht einfach, die Motivation hochzuhalten, wenn man keine Chance hat, vorne dabei zu sein, und natürlich wurde die Stimmung intern immer schlechter.»
Gerade bei den fünf Doppelrennen war die Situation schwierig. Aufgrund der Corona-Krise waren die Fahrer an der Rennstrecke kaserniert, die normale Abwechslung fehlte völlig. Lagerkoller sei da schon einmal aufgekommen, gibt Lüthi zu, vor allem, wenn das erste Wochenende schlecht verlaufen sei: «Phasenweise kam ich mir wie eingesperrt vor.»
Die Kommunikation als Hauptproblem
Dieses Gefühl wurde durch die schlechten Resultate verstärkt. Aus dem konstanten Podestaspiranten war plötzlich ein Mitfahrer geworden, der weit hinter den Spitzenpositionen und den eigenen Ansprüchen um Schadensbegrenzung kämpfte. Lüthi verhehlt nicht, dass er mental zu beissen hatte: «Es ist nicht einfach, die Motivation hochzuhalten, wenn man keine Chance hat, vorne dabei zu sein, und natürlich wurde die Stimmung intern immer schlechter.» Insgesamt sei es ihm aber doch gelungen, damit umzugehen: «Ich habe meine Ziele revidiert, heruntergeschraubt und versucht, jedes Wochenende kleine Schritte nach vorne zu machen.»
Auch am Team gingen die Geschehnisse nicht spurlos vorüber, die ideale Abstimmung wurde nie gefunden, auch bei den Deutschen litt die Motivation. Lüthi gibt sich diplomatisch, ist bemüht, keine Schuldzuweisungen zu machen: «Es ist immer schwieriger, im Misserfolg die Kommunikation aufrechtzuerhalten, als wenn man im Flow ist. Und im Flow waren wir nie.» Positive Ansätze gab es. Da waren zum Beispiel die Fortschritte im zweiten Rennen in Spielberg oder ein gutes fahrerisches Gefühl in Barcelona – mehr allerdings nicht.
Unmittelbar vor Wiederaufnahme der Weltmeisterschaft hatte Lüthi noch gesagt, er sei zuversichtlich bezüglich einer baldigen Vertragsverlängerung. Je länger die Saison dauerte, desto klarer wurde aber, dass dies Wunschdenken gewesen war. «Wir sind einfach nicht weitergekommen. Es ist wie im Leben», sagt Lüthi, «manchmal braucht es einen Wechsel, man muss einen frischen Wind spüren mit einem anderen Team und anderen Leuten.»
So unterschrieb er Ende September für zwei Jahre beim Stop and Go Racing Team aus Spanien, einer kleinen und familiären Equipe, wo bisher Remy Gardner der Leader war. Lüthi freut sich entsprechend, weiss aber auch, dass mit dem Neuanfang nicht zwingend alles besser wird: «Leider ist das keine Garantie. Wenn aber das gegenseitige Vertrauen zwischen Team und Fahrer stimmt, ist vieles möglich.»
Mit südländischer Lockerheit zu alter Stärke
Zur Vorbereitung auf ein besseres Jahr gehört diesmal noch mehr als sonst eine intensive Nachbetrachtung. Der 34-Jährige wird gemeinsam mit Racing Coach Alvaro Molina über die Bücher gehen, angetrieben von einer Überzeugung: «Wenn man es richtig macht, kann man am Misserfolg wachsen.»
Er sagt es entschlossen, und es wird noch klarer, dass er eine solche Saison nicht noch einmal erleben will. Den Glauben in seine eigenen Fähigkeiten hat er jedenfalls nicht verloren: «Ich habe noch hohe Ziele, sonst hätte ich den Teamwechsel nicht mehr gemacht und würde nicht weiterfahren. Ich will wieder Rennen gewinnen. Ich weiss, dass ich mehr kann, und spüre noch Feuer und Energie in mir.»
Die Mentalität ist bei einem spanischen Team natürlich anders als bei einem deutschen. Lüthi glaubt, dass dies auch Vorteile mit sich bringen kann: «Die Vorgehensweise wird sicher südländischer. Manchmal ist es auch nicht schlecht, wenn man etwas lockerer ist. Das fehlt im Norden eher etwas.»
Unmittelbar nach dem letzten Saisonrennen folgen die ersten Tests. Vorerst geht es aber um einen halbwegs versöhnlichen Abschluss mit dem Intact-Team. Lüthis unmittelbare Zielsetzung ist klar: «Wir wollen hier in Valencia grosse Fortschritte gegenüber dem ersten Wochenende erzielen und dann auf der neuen Strecke in Portimao so gut wie möglich fahren.»
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