Interview mit Roger Federer«Ich dachte: Selfies mit Maske, das geht zu weit!»
Roger Federer spricht in Doha über seinen harten Weg zurück auf die Tour, seine Erwartungen und Wünsche und seinen Umgang mit der Pandemie.
Sie kehrten 2017 schon einmal nach längerer Absenz zurück. Können Sie aus jener Erfahrung schöpfen?
Als ich 2017 zurückkam, war ich komplett gesund. Ich stellte mir nicht mehr gross Fragen, ob es nochmals rückwärts gehen könnte. Jetzt hatte ich eine doppelte Operation, der Weg zurück war viel länger. Deshalb habe ich jetzt viel mehr Fragezeichen. Daher ist alles, was von heute bis Wimbledon kommt, als Aufbau zu betrachten. Ich brauche nochmals einen Trainingsblock (nach Doha und eventuell Dubai). Das zeigt auch, dass ich noch nicht auf dem Level von damals bin. Aber es ist gut genug, um an einem Turnier anzutreten. Ich bin selber gespannt, wie ich mich fühlen werde. Ich freue mich schon einmal riesig, dass ich hier wieder dabei sein kann. Wenn Sie mich hätten spielen sehen im Oktober, November – das sind Riesenschritte!
«Für mich ist Tennis wie Velofahren, das verlernt man nie. Wenn mich etwas beschäftigt, ist es das Knie.»
Was ist das Schwierigste an einem solchen Comeback?
Für mich ist Tennis wie Velofahren, das verlernt man nie. Ich war immer einer, der gut spielen konnte, auch wenn ich wenig spielte. Wenn mich etwas beschäftigt, ist es das Knie. Ich musste von null beginnen nach der zweiten Operation. Die nächsten drei bis fünf Monate werden interessant. Wie reagiert das Knie bei längeren Flugreisen, wenn ich einige Tage hintereinander spiele, wenn ich harte Fights habe? Diese Antworten muss ich finden. Das ist meine einzige Sorge. Ich bin momentan nicht sicher, dass das Knie hält, aber ich bin zuversichtlich, sonst wäre ich nicht hier. Ich habe alles getan, was ich tun konnte.
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Sind Sie schmerzfrei?
Die Schmerzen sind völlig unter Kontrolle. Die grösste Herausforderung ist, deinem Körper wieder voll zu vertrauen. Du hast im Spiel keine Zeit nachzudenken, diesen Luxus erlaubt dein Gegner nicht. Und er spürt auch, wenn du nicht bei 100 Prozent bist. Ich fühle, dass ich auf einem guten Level bin. Aber ich kann gar nicht in Bestform sein, weil ich keine Matches gespielt habe. Es war sehr wichtig, dass ich die letzten zwei Monate wieder um Punkte und Sätze spielen konnte. Zuerst kam (Dominic) Stricker drei Wochen nach Dubai. Die letzten zwei Wochen habe ich nun mit Dan Evans etwa 20 Sätze gespielt. Im Vergleich zu vor fünf Monaten bin ich in einer wunderbaren Situation: Ich kann fünf Tage nacheinander zweieinhalb Stunden spielen. Ich hätte nicht erwartet, dass das so schnell wieder möglich ist. Es gibt viel Positives. Aber Matches sind etwas anderes. Wenn man nervös wird, Breakbälle abwehren muss.
«Es war erschreckend zu sehen, wie schnell man alles verliert, wenn man sich nicht bewegt.»
Wieso brauchten Sie eine zweite Knieoperation?
Ich möchte nicht im Detail darauf eingehen, was da genau passierte. Ich kann mich nicht erinnern, dass etwas falsch lief nach der ersten Operation. Das Knie bockte einfach, und etwas Neues kam dazu. Ich machte ein MRI, und der Arzt sagte: «Sorry, da braucht es noch eine zweite OP.» Da führte leider kein Weg daran vorbei. Sonst hätte ich es vermieden. Ich bin kein Fan von Operationen, das ist ja bekannt. Die ersten vier Wochen nach der ersten OP liefen völlig normal. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass ich zu sehr forciert hatte mit Daniel (Troxler, dem Physiotherapeuten). Pierre (Paganini, der Fitnesstrainer) war da noch gar nicht involviert, und Tennis spielte ich über Monate nicht. Als ich nach der zweiten OP nochmals zwei Wochen an Krücken gehen musste, waren nicht mehr viele Muskeln übrig. Kurz vor der ersten OP hatte ich noch die Fünfsätzer in Australien gehabt, ich ging als Spitzensportler in diesen Eingriff rein. Bei der zweiten OP war das anders. Es war erschreckend zu sehen, wie schnell man alles verliert, wenn man sich nicht bewegt.
«Ich will Skifahren mit Kindern und Freunden, Fussball und Basketball spielen, auch nach der Karriere.»
Kamen Gedanken an einen Rücktritt auf?
Nach der zweiten Operation war ich schon im Tief, ich konnte nicht glauben, dass sie nötig geworden war. In diesem Moment stellte ich alles infrage. Wimbledon war abgesagt, die Pandemie stark. Aber ich wusste: Egal, ob ich zurückkomme oder nicht – und dieses Ziel hatte ich immer –, ich wollte einfach gesund werden, auch für mein Privatleben. Ich will Skifahren mit Kindern und Freunden, Fussball und Basketball spielen, auch nach der Karriere. Ich wollte nicht mit dem Australian Open und dem Match in Africa aufhören müssen, sondern es selber entscheiden können. Ein Rücktritt war nicht wirklich ein Thema. Wenn mich das Knie aber nun noch monatelang beschäftigen würde, wäre klar, dass diese Diskussion aufkommen müsste. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt, daran zu denken. Frühestens im Herbst, wenn ich genug gespielt habe, um alles analysieren zu können. Jetzt bin ich einfach froh, dass ich so weit gekommen bin mit meinem Team, den Ärzten, den Trainern. Ich weiss, dass sie beeindruckt waren, wie ernst ich die Therapie nahm. Das war für mich aber selbstverständlich. Es war eine Herausforderung, ich mag Herausforderungen und freue mich auf das, was kommt.
«Ich habe einfach das Gefühl, dass die Geschichte noch nicht vorbei ist.»
Was war Ihre Hauptmotivation für Ihr Comeback? Weitere Grand-Slam-Titel zu holen?
Ich habe einfach das Gefühl, dass die Geschichte noch nicht vorbei ist. Es ist schwer zu erklären, und es gibt nicht nur einen Grund – ausser, dass ich das Tennis mag und gern unterwegs bin. Ich werde herausfinden, wie mir das Leben auf der Tour jetzt noch gefällt, mit der Quarantäne, den Masken, dem schwierigen Reisen. Mit der Therapie, die noch nicht fertig ist. Ein Grund ist sicher auch, dass ich wieder gegen die Besten spielen will, an den grössten Turnieren, um Titel mitspielen möchte. Und hoffentlich spiele ich genug lange, damit ich auch wieder volle Stadien sehen kann.
Wie wird es für Sie sein, vor keinen oder nur wenigen Zuschauern zu spielen?
Da bin ich selber gespannt. Ich hatte genug Zeit, Matches zu sehen ohne Fans und zu überlegen, wie das ist. In den ersten Runden macht es noch keinen grossen Unterschied. Wir spielen ja auch viele Trainingsmatches ohne Zuschauer. Aber ab den Viertelfinals, wenn du langsam um den Titel spielst, wird es schon sehr komisch sein. Es geht um viel, und niemand schaut zu. Mir taten die Spieler etwas leid. Persönlich bin ich einfach happy, wieder spielen zu können. Ich habe gehört, dass in Doha 2000 Zuschauer dabei sein können. Das ist schon sehr gut. Schon 100 Leute können für eine gute Stimmung sorgen.
Trauen Sie sich in Doha den Titel zu?
Nein, nein. Höchstens im Traum. Wenn ich hier ein oder mehrere Spiele durchziehen kann, bin ich schon happy. Die Erwartungen sind sehr tief. Ich hoffe, ich kann mich überraschen. Die Leute denken, ich würde nur an Titeln gemessen. Aber das ist nun wirklich eine andere Situation.
«Bisher bin ich von Covid-19 verschont geblieben. Gut, ich war auch nicht gross unterwegs.»
Wie haben Sie die Pandemie bisher erlebt? Sind Sie von Covid-19 verschont geblieben?
Ja, ich bin bisher verschont geblieben. Gut, ich war auch nicht gross unterwegs. Aber klar, du kannst so vorsichtig sein, wie du willst, und es erwischt dich trotzdem. Wir haben viele neue Wörter kennen gelernt: Quarantäne, Isolation, Pandemie, Corona, Covid-19. Unglaublich, was alles dazugekommen ist! Als Familienvater musste ich meinen Kindern erklären, was das Ganze bedeutet. Die Freunde nicht zu sehen und die Grosseltern, den anderen nicht zu nahe zu kommen, keine Hände mehr zu schütteln. Aber man gewöhnt sich an alles im Leben. Und natürlich musste ich darauf achten, dass ich das richtige Verhalten vorlebe. Vor allem mit den Masken. In der Schweiz dauerte es ja länger, bis es eine Maskenpflicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln gab. Es war nicht immer leicht. Anfangs dachte ich: Selfies mit Fans mit Maske, das geht zu weit! Vor allem, wenn wir draussen stehen. Aber wenn heute einer kommt, sage ich: «Sorry, ich muss die Maske anbehalten.» Ich will mit gutem Beispiel vorangehen. Die Pandemie geht einfach immer weiter. Ich denke, ich erlebe sie ähnlich wie alle anderen. Bis jetzt haben wir sie gut überstanden.
Wie reagierten Ihre Kinder, als Sie abreisten nach Doha?
Ich bin immer froh, wenn die Kinder sagen: Geh nicht! Das heisst, sie haben mich gern, lieben mich. Aber ich sagte zu ihnen: Ich war jetzt so lange zu Hause. Und ich komme ja bald wieder.
«Es wird auch interessant sein, wie ich das Leben in der Blase erlebe. Die Familie kann ja nicht mitreisen.»
Haben Sie einen langfristigen Plan? Und wie sehr machen Sie Ihre Karriere von den Resultaten abhängig?
Die Resultate sind erst einmal sekundär. Es geht darum: Wie geht es dem Knie? Wie fühle ich mich auf der Tour? Der erste Schritt zurück zur Normalität wird bis und mit Wimbledon sein. Ich will die Turniere bis da nützen, um wieder auf 100 Prozent zu kommen. Wenn ich weniger gute Resultate habe, ist das nicht so schlimm. Aber wenigstens kann ich dann wieder nach vorn schauen, auf Wimbledon, die US-Tournee. Es wird auch interessant sein zu sehen, wie ich das Leben in der Blase erlebe. Die Familie kann momentan ja gar nicht mitreisen. Ich werde mir überlegen müssen: Wie lange kann ich weg sein von zu Hause? Wie viele Turniere kann ich spielen? Ist es besser, drei Turniere am Stück zu spielen? Es steht noch alles in den Sternen. Ich muss Match für Match nehmen. Zuerst spiele ich Doha, dann wird sich entscheiden: Was ist mit Dubai? Nach Dubai gibt es einen Aufbau von vier bis sechs Wochen. Im Minimum. Ich hoffe, dann bin ich noch explosiver, noch schneller, noch besser unterwegs. Ich werde jedes Gefühl, jedes Resultat in die Diskussionen einfliessen lassen.
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Wie stark verfolgten Sie das Tennis in Ihrer Abwesenheit?
Weil ich in der Spielvereinigung bin, verfolgte ich alles genau. Besonders, wie schwer es war, den Turnierbetrieb wieder in Schwung zu bringen, wie ja auch in anderen Sportarten, im Fussball, der Formel 1. Dass die Tour wieder begann, war ein grossartiger Erfolg von den Turnierdirektoren. Aufhören ist einfach, aber alles wieder zum Laufen zu bringen, war schwierig. Das zu erleben aus der Ferne, war beeindruckend. Die Pandemie war hart für alle. Man wird ja jeden Tag damit konfrontiert. Ich bin einfach froh, dass wieder Tennis gespielt wird, auch als Zuschauer. Wie das US Open mit dem Sieg von Dominic Thiem endete, ohne Fans, brach mir aber etwas das Herz, auch für ihn und Zverev. Nadal beeindruckte mich in Paris, Medwedew war Ende Saison fantastisch, Rublew war stark, Djokovic war in Melbourne wieder stark. Ich schaute ziemlich viel Tennis – wenn auch nicht gerade stundenlang. Ich will wissen, was läuft, checkte die Resultate täglich mehrmals. Und zwar auch die Resultate der Challenger-Turniere und der Doppelkonkurrenzen. Ich war beeindruckt, wie hoch das Niveau war ohne Fans.
Wie gross war Ihre Wehmut, als Sie Tennis schauten?
Wehmut hatte ich keine. Wenn ich weiss, ich kann das Turnier nicht gewinnen, kann ich gut abschalten. Dann schaue ich wie ein Fan. Und in Australien zwei Wochen im Zimmer zu sein, vermisste ich nicht gross. Ich dachte nicht: Oh, das hätte ich jetzt auch noch gern erlebt! (schmunzelt) Ich bekam aber sehr viel mit, war bei den Calls der Spielervereinigung dabei, gab meine Inputs als Aussenstehender. Jetzt kommt das Ganze auch auf mich zu. Nur schon die Ankunft in Doha war sehr speziell. Unglaublich, was sich alles verändert hat!
«Am US Open hatte Djokovic einfach unglaubliches Pech. Und mit der Adria-Tour meinte er es ja eigentlich gut.»
Wie haben Sie die ganzen Kontroversen um Novak Djokovic erlebt mit seiner Adria-Tour, seiner Disqualifikation am US Open, der neuen Gewerkschaft?
Es bringt nichts mehr, wenn ich das nochmals gross aufrolle. Am US Open hatte er unglaubliches Pech (bei seiner Disqualifikation). Das weiss jeder. Natürlich musst du dich kontrollieren. Aber das kann fast jedem passieren, wenn du kurz mal emotional wirst. Mit der Adria-Tour meinte er es ja eigentlich gut. War es zu früh dafür? Ja, wahrscheinlich. Ich habe Novak schon lange nicht mehr gesehen oder gehört. Er probiert sein Bestes für die Spieler. Es passte einfach nicht, als er Präsident der Spielervereinigung war und gleichzeitig die neue Organisation gründete. Das müssen wir zusammen nochmals anschauen. Du musst nicht immer gleicher Meinung sein. Aber wichtig ist, dass man sich gegenseitig austauscht. Die negativen Nebengeräusche sind natürlich nicht ideal fürs Tennis. Inzwischen hat sich alles wieder etwas beruhigt. Es wird wieder über Resultate und Rekorde gesprochen. Das ist gut so. Es wird sich zeigen, was alles läuft mit der Spielervereinigung, der neuen Gewerkschaft und der ATP. Ich bin nicht hier in Doha, um Politik zu machen. Mein Fokus gilt meinem Comeback.
Sie trainierten in On-Schuhen. Werden Sie auch darin spielen?
Meine Pause gab mir Zeit, dieses Projekt voranzutreiben. Einen Tennisschuh kannst du nicht über Nacht bauen. Ich habe jetzt hier in Doha mit dem On-Schuh trainiert, mal schauen, ob ich am Mittwoch auch damit spiele. Bis jetzt fühlt er sich perfekt an. Es wäre für mich eine grosse Sache, wenn ich damit spielen könnte. Ich habe da viel Leidenschaft reingesteckt. Es ist noch ein halber Prototyp. Es ist eine spannende Sache.
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