Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Ein Tag im Leben einer jungen Aktivistin
«Ich bin nicht in die Schweiz gekommen, um zu schlafen»

Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Unter der Woche stehe ich um 6.40 Uhr auf. Um 7.45 Uhr bin ich im Geschäft. Ich arbeite als MPA, als Medizinische Praxisassistentin. Ich nehme Patientinnen und Patienten entgegen, stelle Rezepte aus, nehme Blut, mache Röntgenaufnahmen, assistiere bei der Wundkontrolle und so weiter.

Die Hausarztpraxis, in der ich arbeite, ist im Zürcher Kreis 4. Die Leute, die zu uns kommen, sind von überall auf der Welt. Ich selbst komme aus Eritrea. Und wenn wir eritreische Patientinnen und Patienten haben, übersetze ich während der Behandlungen auch manchmal auf Tigrinya.

Die Freundlichkeit der Leute berührt mich sehr. In der Praxis, in der ich vorher arbeitete, gab es zum Beispiel einen Mann, der mir zu jedem Termin einen Artikel über Eritrea oder Tigray mitbrachte. Er unterstrich jeweils die wichtigsten Stellen. Und einmal pflückte eine Patientin ein vierblättriges Kleeblatt für mich.

Seit etwa eineinhalb Jahren arbeite ich neben meinem Job als MPA auch als Freiwillige beim Eritreischen Medienbund Schweiz. Der Verein ist eine Art Vertretung für die Eritreerinnen und Eritreer in der Schweiz. Wir machen Videokampagnen, organisieren Vorträge und gemeinsame Abendessen.

Gerade beschäftigt uns ein Wahlkampfvideo der SVP Kanton Zürich aus dem Jahr 2019. Denn in diesem Video wird so getan, als seien Eritreer Messerstecher und Vergewaltiger. Auf der Schweizer Flagge sieht man Blutspritzer, es läuft dramatische Musik. Dann steht: «Eritreer sind nicht an Leib und Leben bedroht. Sie sind keine echten Flüchtlinge.»

Wir sind der Meinung, dass diese Kampagne rassistisch ist und die SVP die eritreische Diaspora in der Schweiz damit pauschal verurteilt. Daher haben wir Anzeige erstattet. Es hat lange gedauert, aber nun haben die Untersuchungen begonnen. Gerade sammeln wir Geld, um unsere zwei Anwältinnen zu bezahlen. Natürlich wäre es schön, wenn wir gewinnen würden. Aber mein Wunsch ist vor allem, dass man darüber spricht, dass die Rechte in der Schweiz immer wieder Ausländergruppen für ihre Kampagnen benutzt. Mal sind es die Italiener, mal die Kosovaren. Irgendwer ist immer der Sündenbock. Das ist nicht mehr lustig.

Ich spüre diese negative Stimmungsmache auch persönlich. Während meiner Lehre hat eine Lehrerin zum Beispiel die Ausländerinnen und Ausländer in der Klasse nie mit dem Namen angesprochen. Sie hat immer nur gesagt: «Frau Eritrea» oder «Frau Indien».

Ich bin mit neun in die Schweiz gekommen. Mein Vater hat den schlimmsten Weg durchgemacht. Er ist mit dem Boot über das Mittelmeer gekommen. Vorher war er im Militär, und ich sah ihn höchstens für zwei Wochen im Jahr. In Eritrea müssen die Jugendlichen nach der elften Klasse – etwa mit sechzehn – ins Militär. Mädchen werden in diesem Alter oft verheiratet, damit sie keinen Dienst leisten müssen. Als mein Vater flüchtete, war ich sechs Jahre alt. In der Schweiz konnte er Familiennachzug beantragen, und dann haben wir lange in einem Container in Zürich-Altstetten gelebt.

Ich komme aus einem Land, in dem es wenige Möglichkeiten gibt. Daher will ich meine Chance in der Schweiz nutzen. Ich bin nicht hierhergekommen, um zu schlafen. Gerade mache ich neben der Arbeit in der Praxis noch die Berufsmaturitätsschule. Am Montag und am Mittwochabend habe ich Unterricht, am Wochenende lerne ich für die Prüfungen.

Mein Ziel ist es, Psychologie zu studieren. Oder Soziale Arbeit. Vielleicht kann ich in Zukunft auch ein Projekt leiten, das dazu beiträgt, dass es weniger Vorurteile gegen Ausländerinnen und Ausländer gibt. Ich finde, Menschen sollten nicht aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft verurteilt werden. Alle Menschen sollten die Chance haben, sich selbst zu zeigen.

Protokoll: Nina Kunz